Er kümmerte sich nicht darum, daß er beobachtet wurde. Kinder und Erwachsene hatten sich vor der Trümmerstelle versammelt und schauten ihm schweigend zu. Parker spürte förmlich das feindliche Schweigen, dessen Ursprung wohl in der großen Angst begründet war. Die Einwohner von Wech-Lake fühlten sich alle irgendwie bedroht. Derjenige, der etwas wußte, der schwieg sicher, um nicht das Schicksal Renners teilen zu müssen.
Parker schritt das gesamte Grundstück ab. Er stand lange vor den Resten des Schuppens, schritt durch den verwilderten Garten und erreichte einen verfallenen Brunnenschacht, der erstaunlich massiv im oberen Teil ausgemauert worden war. Dann stieg das Gelände sehr steil an und ging in Felstrümmer über. Nördlich des Steilhanges erhob sich eine Schutthalde, die aber mit mannshohen Sträuchern und Bäumen bewachsen war.
Zur Verblüffung der Zuschauer zog der Butler einen Zollstock aus den unergründlichen Manteltaschen und begann zu messen. Er wußte zwar selbst nicht, was er ausmaß, aber er besorgte das mit einer Gründlichkeit, die die eines Geometers noch übertraf. Dann kritzelte er sinnlos Zahlen in sein Notizbuch, nickte mehrmals beifällig und trippelte zurück in Stimsons Hotel.
»Dieser Brief ist für Sie abgegeben worden«, sagte Stimson, der auf den Butler gewartet zu haben schien. Parker öffnete ihn und zog das Schreiben hervor. Er las mit innerer Genugtuung, daß er sich bis gegen zwanzig Uhr aus Wech-Lake absetzen sollte. Für den Fall, daß er blieb, verhieß ihm der Briefschreiber den sofortigen Tod! Unterschrieben war das Schreiben nicht, aber das hatte Parker auch nicht erwartet …
Er fragte erst gar nicht, wer ihm diesen Brief zugestellt hatte. Er massierte sich wortlos sein Kinn und übersah die fragenden Augen Stimsons.
»Schlechte Nachrichten?« fragte der Hotelier neugierig.
»Sie können mir meine Rechnung machen«, erwiderte Parker, »ich muß dringend verreisen.«
»Wann wollen Sie fahren?« fragte Stimson.
»In einigen Stunden«, sagte Parker »Können Sie mir einen netten Zug nach Minneapolis aussuchen?«
Stimson war bestens informiert. Er nannte einige günstige Abfahrtszeiten und beeilte sich, die Rechnung aufzustellen. Parker zahlte und ging nach oben, um sein Gepäck zu richten. Er war bester Laune und zündete sich zur Feier der Stunde eine Zigarre an. Nach knapp sechzig Minuten erschien er wieder und schritt gravitätisch zur Bahnstation. Er informierte den Zugbeamten und wartete dann ergeben auf das Erscheinen des Zuges, der in einer Viertelstunde fällig sein mußte. Der Expreß erschien pünktlich.
Parker stieg ein und ließ sich von dem Negerwaiter in sein Schlafwagenabteil bringen. Dort setzte er sich und sann seinem Fall nach. Er hatte selbstverständlich nicht die Absicht, Wech-Lake für immer den Rücken zu kehren. Seine Abfahrt geschah nur aus taktischen Gründen, um gewisse Leute in Sicherheit zu wiegen oder aber sie nervös werden zu lassen. Parker hielt viel von der Psychologie. Er liebte es, seine Gegner in Zwangslagen zu bringen. Er bugsierte sie unmerklich in Situationen, in denen sie so oder so Farbe bekennen mußten.
Seiner Meinung nach war gewisses Licht in die Sache gekommen. Er glaubte zu wissen, wer als Chef der Gangsterbande in Betracht kam, aber natürlich fehlten ihm noch alle Beweise. Er war nur auf Vermutungen angewiesen. Hinzu kam, daß er die geheime Werkstatt der Gangster ausfindig machen mußte. Erst dann war er in der Lage, mit Sicherheit sagen zu können, daß wirklich Falschdrucke hergestellt wurden.
Als der Expreß Minneapolis erreicht e hatte, kletterte der Butler aus dem Zug und setzte sich in das Bahnhofsrestaurant. Hier aß er, frei aller Vergiftungssorgen, ausgiebig und telefonierte anschließend mit der Kanzlei Mike Randers. Die verlangten Auskünfte hatte man in der kurzen Zeit noch nicht einholen können; aber er erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß Mike Rander, der bekannte Strafverteidiger, längst abgereist sei, um Parker zu unterstützen.
Nach Klärung dieser Fragen rief der Butler einen Autoverleih an und ließ sich einen Stationswagen zum Bahnhof bringen. Es handelte sich um einen Jeep, der nur sehr geräumig karossiert worden war. Parker verstaute seine Koffer auf der Ladefläche, beglich die Sicherheiten und die Wagenmiete und schlängelte sich vorsichtig durch die belebte Innenstadt. Jeder, der ihm folgen wollte, hatte Zeit und Gelegenheit, sich an ihn zu hängen. Darauf legte der Butler besonders großen Wert. Als er das Weichbild der Stadt verlassen wollte, steigerte der Butler allerdings die Geschwindigkeit des Wagen s. Er fuhr brillant und brauchte keine Rücksicht auf ängstliche und nervöse Mitreisende zu nehmen.
Unterwegs hielt er einige Male und orientierte sich. Er ließ Wech-Lake südlich liegen und fuhr sofort auf einigen Umwegen hinauf zum Camp Clive Blanders. Es war gegen Morgen, als Parker dort erschien. Er ließ den Wagen unter einer Baumgruppe stehen und erkletterte einen steilen Hügel. Von dort aus beobachtete er durch ein scharfes Glas die Vorhänge im Camp.
Er sah einige Male Blander, der zusammen mit seiner rechten Hand, Heswell, herumkommandierte, dann später aber wieder im Bürohaus verschwand. Bei der Gelegenheit machte Parker einen Schacht aus, der ihn an eine Mine erinnerte. Dieses Gebäude befand sich in unmittelbarer Nähe der Konservenfabrik, an die wiederum große Weiden grenzten, auf denen sehr viel Vieh zu sehen war. Parker ging mit sich zu Rate, ob er diesem Gelände einen kurzen Besuch abstatten durfte. Es war eigentlich noch ein wenig zu hell. Parker riskierte es dennoch.
Er verließ den Beobachtungshügel und pirschte sich mit aller gebotenen Vorsicht an das Ziel seiner Wünsche heran. Er nutzte jede Deckung geschickt aus und hatte es bald geschafft. Die Leute, die in der Konservenfabrik arbeiteten, hatten genug mit ihrer Arbeit zu tun, um sich mit ihm befassen zu können. Parker hatte endlich den hohen Stacheldrahtzaun erreicht, der das Gebäude umgab. Nur diesen Zaun brauchte er noch zu überwinden, dann …
Doch er hatte einiges Pech.
Er hörte hinter sich das Knicken eines Astes, wollte herumwirbeln, kam aber nicht mehr dazu. Ein Pistolenlauf preßte sich gegen seinen Rücken, und eine leise Stimme forderte ihn höflich, aber sehr nachdrücklich auf, die Arme hochzunehmen. Parker kam diesem Wunsch nach, doch er lächelte erfreut.
*
»Mister Rander«, sagte der Butler und drehte sich langsam um, »ich kann nicht umhin, Ihnen mein Kompliment auszusprechen … Ich muß gestehen, daß ich Sie nicht gesehen habe.«
Mike Rander, der bekannte Strafverteidiger aus Chikago, der von sich aus den Fall angefaßt hatte, lächelte seinem Butler zu und versenkte die Waffe wieder in seiner Rocktasche. Rander trug Räuberzivil und sah wie ein Landstreicher aus. Mißbilligend stellte der Butler fest, daß sich Rander nicht rasiert hatte.
»Wir wollen keine Zeit verlieren«, sagte Rander, »ich glaube, daß wir ohnehin nicht mehr an den Schacht herankommen können. Es ist schon zu hell.«
»Ich hatte seinerzeit einmal das Vergnügen, dem Duke of Rindbergh dienen zu dürfen«, begann Butler Parker. »Er vertrat die Meinung, daß es nie zu spät sei … allerdings handelte es sich damals um ein Börsenmanöver, bei dem er sein Vermögen einbüßte.«
»Kommen Sie schon«, sagte Rander auflachend, »ich merke, daß Sie Wech-Lake auch nicht umkrempeln können. Sehen wir uns den Schacht einmal an, doch ich glaube, daß wir keine Sensationen erwarten dürfen.«
Die beiden so ungleichen Männer arbeiteten sich schnell und geschickt über den Zaun und erreichten das Schachthaus, dessen Eisentore geöffnet waren. Sie duckten sich, als sie einen Mann erkannten, der auf einem großen Eisenstuhl saß und an einigen überlangen Hebeln herumhantierte. Er dirigierte damit die Förderanlage und bewies auch gleichzeitig, daß zumindest diese Anlage noch in Betrieb war.
Butler Parker schüttelte den Kopf. Was er sah, paßte nicht in das Bild, das man ihm vorgezeichnet hatte. Als er sich an Mike Rander wenden wollte, da wurden sie beide angesprochen. Parker erkannte sofort die Stimme Clive Blanders.
Sie drehten sich langsam zu dem Mann herum, der leichtes Sommerzeug trug und sie anlächelte. Blander war waffenlos, aber seine rechte Hand Heswell trug eine Waffe in der Hand. Der zweite Begleiter Blanders hatte sich mit einer Maschinenpistole ausgerüstet.
»Das