»Dann wären wir verpflichtet, Sir, uns Einlaß zu verschaffen. Vielleicht ist Mr. Chandels das Opfer eines Unglücksfalles geworden.«
»Ich habe tatsächlich ein Stöhnen gehört«, wiederholte Rander. »Glauben Sie, ich würde mir absichtlich etwas vormachen?«
»Wenn Sie gestatten, Sir, würde ich mir gern einmal die Bauart dieses Schlosses ansehen.«
Parker wartete die Erlaubnis nicht ab, sondern baute sich vor der Tür auf. Er zog sein umfangreiches Schlüsselbund hervor, wählte fachmännisch einen bestimmten, schmalen, gezackten Schlüssel und steckte ihn in das Schloß.
Mike Rander zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß Parker das Schloß bezwang. Und wirklich, Rander hatte seinen Gedanken noch nicht ausgedacht, als Parker höflich zur Seite trat und seine schwarze Melone lüftete.
»Bitte einzutreten, Sir!« Er stieß leicht gegen die Tür, die sofort aufschwang und den Weg in Will Chandels’ Wohnung freigab.
Mike Rander betrat die kleine Diele, wollte hinüber zum Wohnraum gehen und blieb dann jäh stehen.
»Kommen Sie, Parker!« rief er mit entsetzter Stimme. »Mein Gott, ist der arme Teufel zugerichtet worden …!«
Parker folgte seinem Herrn.
Selbst er, der schon viel gesehen hatte, blieb betroffen stehen. Der Mann, der dort auf dem abgeschabten Teppich lag, war nur noch ein menschliches Wrack. Er schien offensichtlich mit starken Kabelenden zusammengeschlagen worden zu sein.
Und dieser erbarmungswürdige Mensch lebte noch. Er hatte die beiden Männer gesehen. Seine Augen weiteten sich. Ob aus Angst oder Hoffnung, war nicht zu erraten. Seine Lippen bewegten sich.
Parker kniete neben dem Mann nieder.
»Wer hat Sie derart zugerichtet?« fragte Parker mit leiser, eindringlicher Stimme. »Sind es die ›Strandhaie‹ gewesen?«
Der Mann nickte schwach.
»Sind es zwei muskelstarke Schläger gewesen?«
Der Mann nickte erneut.
»Sind es Angestellte von Mrs. Ruth Soldan?«
Erneutes Nicken. Der Mann schloß erschöpft die Augen. Durch seinen Körper ging ein feines Beben und Zittern.
»Ist er … tot?« fragte Rander leise.
»Erfreulicherweise nur eine Ohnmacht«, stellte Parker nach einer kurzen Untersuchung fest. »Man sollte ihn allerdings auf dem schnellsten Weg zu einem Arzt schaffen, Sir.«
Rander stieg über den bewußtlosen Mann hinweg und griff nach dem Hörer des Telefonapparates. Mit knappen Worten informierte er die Polizei und bat um einen Krankenwagen.
»Wie geht es ihm?« fragte Rander, als er zurück zu Parker gekommen war.
»Herzlich schlecht, Sir. Dem Zustand der Wunden nach zu urteilen, dürfte dieser Mann schon vor fast einer Stunde derart zugerichtet worden sein.«
»Es waren Ihre beiden Muskelmänner, ja?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir. Diese beiden Gangster dürften ihn als tot zurückgelassen haben.«
»Ob es Will Chandels ist?«
»Ich glaube ja, Sir. Seine Papiere lauten auf diesen Namen. Wenn Sie erlauben, möchte ich versuchen, noch einmal Kontakt mit ihm aufzunehmen.«
»Klar, versuchen Sie’s …!«
»Mr. Chandels … Mr. Chandels … Wo befindet sich Ihre Freundin, Miss Hastings?«
Parker mußte seine Frage noch einige Male wiederholen, bis Chandels endlich reagierte. Seine Augenlider flatterten, dann öffneten sich seine Lippen.
»Carol …«, flüsterte Chandels. »Carol, paß auf …!«
»Wo ist Carol?« fragte Parker mit scharfer, eindringlicher Stimme.
Will Chandels schüttelte den Kopf. Unmerklich zwar, doch immerhin zu sehen. Entweder wußte er es nicht, oder er wollte es nicht sagen.
»Niemals …!« schrie Chandels dann mit überraschend klarer und lauter Stimme. »Niemals … Kein Wort …!«
Sein etwas angehobener Kopf fiel zurück. Die gnädige Ohnmacht nahm wieder Besitz von ihm.
»Quälen Sie ihn nicht länger«, meinte der junge Anwalt. »Ich glaube, er ist gerade wegen Miss Hastings zusammengeschlagen worden. Er hat ihren Aufenthaltsort nicht verraten.«
»Oder ihn nicht nennen können, Sir. Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich mich gern unten in der Segelmacherei umsehen. Vielleicht kann ich dort eine Spur aufnehmen.«
Rander nickte nur. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete in Ungeduld auf das Erscheinen der Polizei. Josuah Parker verließ die kleine Wohnung und ging nach unten …
*
»Chandels ist zusammengeschlagen worden?«
Der krummbeinige Artie Lonsdale sah Parker aus zusammengekniffenen, listigen Augen ungläubig an. Er nahm die einfache Nickelbrille von der Nase und putzte sie gedankenvoll mit einem Stück Segeltuch.
»Sie haben nichts gehört?« erkundigte sich Parker.
»Nichts … Hätte ich auch gar nicht hören können. Ich bin ja erst vor ’ner Viertelstunde in die Werkstatt gekommen.«
»Wurde Mr. Chandels häufiger in seiner Wohnung besucht?«
»No, eigentlich kaum. Höchstens mal von seiner Freundin.«
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
»Vor Tagen …! Sagen Sie, sind Sie von der Polizei?«
»Ich bin Privatdetektiv«, erklärte Josuah Parker.
»Privatdetektiv? In Filmen sehen die aber immer anders aus.«
»Hier haben wir es, verzeihen Sie diesen Ausdruck, mit der nackten Wirklichkeit zu tun.«
»Und gerade die habe ich mir anders vorgestellt.« Artie Lonsdale schüttelte den Kopf und sah den Butler ungläubig an. »Ich kann nicht verstehen, warum man Chandels das angetan hat. Ist doch immer ein netter Bursche gewesen.«
»Möglicherweise war er zu nett, zu nachgiebig.«
»Verstehe ich nicht.«
»Haben Sie schon etwas von den ›Strandhaien‹ gehört?«
»Die Zeitungen überschlagen sich ja. Alle Spalten sind voll davon.«
»Wenn mich nicht alles täuscht, geht Mr. Chandels Zustand auf das Konto dieser Gangster. Erfreulicherweise haben diese Gangster aber einen Fehler begangen.«
Artie Lonsdale antwortete nicht, sondern sah Parker nur abwartend an.
»Will Chandels wurde als tot zurückgelassen«, führte der Butler weiter aus. »Doch er lebt noch. Er konnte einige wichtige Aussagen machen.«
»Eben …?«
»Vor wenigen Minuten erst«, antwortete der Butler. »Diese Hinweise sind derartig wichtig, daß ich aus verständlichen Gründen darüber nicht sprechen möchte.«
»Interessiert mich auch nicht. Chandels war ein netter Kerl, aber ich hab’ wenig Kontakt mit ihm gehabt. Er ist ja doch meist unterwegs gewesen.«
»Ich glaube, ich darf Ihre wertvolle Zeit nicht länger in Anspruch nehmen«, meinte der Butler, lüftete seine schwarze Melone und wollte die Werkstatt des Segelmachers verlassen. Er hatte den Ausgang noch nicht ganz erreicht, als ein etwa zwanzigjähriger junger Mann hereinkam. Er trug einige Bierbüchsen im Arm.
»Ist es noch zu früh?« rief er Lonsdale zu. »Oder kann ich jetzt bleiben?«
»Klar …!« brummte der Segelmacher. Er wirkte verlegen.