Der Portier mußte annehmen, daß Mike Rander tatsächlich gegangen war. In Wirklichkeit aber blieb der Strafverteidiger in der Nähe des Apartmenthauses. Er wollte feststellen, ob Miss Hastings informiert wurde, ob sie Konsequenzen aus dieser Unterhaltung zog.
Und ob sie es tat!
Nach etwa dreißig Minuten erschien sie im Eingang. Sie stellte einen kleinen Lederkoffer und eine Reisetasche ab, wollte also offensichtlich verreisen.
Mike Rander hatte Glück, ein leeres Taxi zu erwischen. So war es für ihn eine Kleinigkeit, sich an die Fersen von Carol Hastings zu heften. Sie stieg in ein Taxi, das offensichtlich vom Portier herantelefoniert worden war und ließ sich hinüber nach Miami bringen.
Sie fuhr jedoch nicht nach El Portal, wo ihr Freund wohnte, sondern stieg im südlichen Teil der Stadt vor einem Motel aus, zahlte den Fahrer aus und verschwand mit ihrem spärlichen Gepäck im Büro des Motels.
Mike Rander hatte den Eindruck, daß die junge Dame mit dem tizianroten Haar geflüchtet war. Vor wem oder was sie sich fürchtete, wollte und mußte er herausbekommen.
*
Parkers Trick bewährte sich.
In den Morgenausgaben brachten die Zeitungen einen Bericht über die ›Strandhaie‹. Sie bezogen sich auf die Aussagen eines gewissen Mr. Ben Zalakoff, der kurz hintereinander um die Teilbeträge von dreihundert und fünfhundert Dollar erleichtert worden war. Zum erstenmal erfuhr die Öffentlichkeit Einzelteile über die Gangster. Mr. Ben Zalakoff hatte kein Blatt vor den Mund genommen und die Dinge beim Namen genannt. Die Polizei, so hieß es gleichlautend in allen Berichten, habe sich der ›Strandhaie‹ bereits angenommen und läge gut im Rennen.
»Dieser Artikel wird bei den ›Strandhaien‹ wie eine Bombe einschlagen«, sagte Rander zu seinem Butler. Beide Männer hatten ausgiebig gefrühstückt. Sie warteten im Grunde nur darauf, daß die ›Strandhaie‹ sich meldeten. Auch sie mußten die Artikel gelesen haben. Sie wußten jetzt, daß Mr. Ben Zalakoff nicht nur um dreihundert, sondern noch einmal um fünfhundert Dollar erleichtert worden war.
Bevor Parker antworten konnte, kam der ersehnte Anruf. Parker nahm den Hörer hoch und meldete sich.
»Ich habe Sie unterschätzt, Parker«, sagte die freundliche Stimme. »Ich hätte wissen müssen, daß Sie geldgierig sind.«
»Ich weiß leider nicht, mit wem ich das Vergnügen habe und wovon Sie sprechen.«
»Das wissen Sie verdammt gut!« Die freundliche Stimme klang nun nicht mehr sehr freundlich. »Durch Ihre Geldgier ist unser Geschäft an die große Glocke gehängt worden, und dafür werden wir uns revanchieren.«
»Ich würde zu gern wissen, wovon Sie eigentlich sprechen.«
»Sie haben sich die fünfhundert Dollar unter den Nagel gerissen«, war die scharfe Antwort. »Haben Sie nicht deutlich gesagt, Ihr Boß würde mehr zahlen, ohne mit der Wimper zu zucken? Haben Sie nicht gesagt, Sie würden diese Kleinigkeiten regeln? Ich hätte besser aufpassen und zuhören sollen.«
»Falls ich wirklich etwas getan habe, was Ihr Mißfallen erregt, so werden Sie mir nichts nachweisen können«, antwortete Parker würdevoll. »Ich möchte grundsätzlich betonen, daß nicht nur Sie allein berechtigt sind, Geld an sich zu bringen.«
»Sie wollen uns die Schuld in die Schuhe schieben«, brauste der Mann mit der jetzt unfreundlichen Stimme auf. »Dafür werden Sie zahlen müssen, Parker. Es gibt einen Weg, um Ihre Haut zu retten.«
»Und der wäre, wenn ich neugierig sein darf?«
»Gestehen Sie der Polizei, daß Sie die fünfhundert Dollar an sich gebracht haben! Sagen Sie, daß Sie die ›Strandhaie‹ nur vorgeschoben haben!«
»Genau das Gegenteil ist der Fall«, erwiderte der Butler. »Nach meinen vorliegenden Informationen ist Mr. Ben Zalakoff erst vor wenigen Minuten erneut von den ›Strandhaien‹ angeschrieben worden. Diesmal verlangt die obskure Organisation tausend Dollar. Ich fürchte, ich werde das Geld auszahlen müssen.«
»Wir sprechen uns noch!«
Parker legte den Hörer zurück, nachdem der Mann mit der unfreundlichen Stimme das Gespräch jäh abgebrochen hatte. Rander, der zugehört hatte, konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Sie haben sich da eben ein paar Todfeinde gemacht«, meinte er. »Ich wittere stürmische Tage für uns, Parker.«
»Die man sich vielleicht in der Nähe des Delphinenballetts vertreiben könnte«, antwortete Parker trocken. »Es dürfte interessant sein zu erfahren, ob Miss Hastings weiterhin dort auftritt.«
»Sie wollen mich doch nur ablenken, oder?«
»Ich halte Miss Hastings für ungemein wichtig, Sir. Es könnte immerhin sein, daß sie Ihnen einige Mitteilungen über die ›Strandhaie‹ machen kann.«
»Wichtiger ist, wer dieses Ballett leitet.«
»Eine Mrs. Ruth Soldan, wie ich inzwischen erfahren konnte, Sir. Wenn Sie mich beurlauben, Sir, würde ich mir die Trainingsstunden dieses Balletts gern einmal aus der Nähe ansehen.«
»Gut, ich kümmere mich um Carol Hastings, Parker. Lassen Sie sich nicht von einer jener Wassernixen verführen.«
»Gegen solche Dinge dürfte ich einigermaßen gefeit sein, Sir. Welche Nixe würde sich schon mit einem alten Mann, wie ich einer bin, abgeben? Ich mache mir keine übertriebenen Hoffnungen mehr.«
»Sie untertreiben wie üblich«, frotzelte Rander. Dann wurde er wieder ernst. »Denken Sie daran, daß sich im Gefolge dieser Wassernixen durchaus Haie befinden können. Ich warne Neugierige!«
Josuah Parker war sichtlich interessiert und angenehm berührt auf die jungen Nixen, die sich im Swimmingpool tummelten. Sie trugen reizvolle Bikinis, waren ungemein geschmeidige und erfahrene Schwimmerinnen. Nach den rhythmischen Takten einer Tonbandmusik wirbelten sie durch das kristallklare Wasser, formierten sich zu Gruppen, strebten auseinander und fanden sich unter Wasser wieder. Sie tanzten, oder besser gesagt, sie schwammen ein gekonntes Ballett.
Auf einem Sprungbrett hoch über dem Wasser stand eine Frau von etwa vierzig Jahren. Sie hatte sich sehr gut gehalten und sah noch durchaus angenehm und reizvoll aus. Über Handmikrofon und Tonverstärker erteilte sie Korrekturen, mahnte, lobte und wurde auch ein wenig ärgerlich, wenn die Schwimmfiguren nicht mit jener Exaktheit ausgeführt wurden, die sie anstrebte. Wenn sie ärgerlich war, klang ihre Stimme ein wenig schrill.
Diese Frau, es konnte nach Parkers Schätzung nur die Chefin des Balletts, Mrs. Ruth Soldan, sein, war groß und schlank. Ihr Haar war braun, kurz geschnitten und frisch onduliert. Sie sah aus wie eine Frau, die genau weiß, was sie will.
Wegen der starken Sonne hatte Parker seinen Universal-Regenschirm entfaltet und schützte sich damit gegen die sengenden Strahlen. In dieser heiteren und nassen Umgebung sah er aus wie ein verirrter Königspinguin, der sich in diesem fremden, ungewohnten Milieu durchaus wohl fühlte.
Die Wassernixen waren trotz der Ermahnungen ihrer Chefin nicht ganz bei der Sache. Immer wieder schauten sie zu Parker hinüber. Sie kicherten und prusteten vor Lachen. Sie verschluckten sich beim Tauchen und kamen aus der Richtung. Als Mrs. Ruth Soldan gezwungenermaßen eine Pause einlegte, versammelten sie sich am Rand des Beckens und ließen den Butler nicht aus den Augen.
Mrs. Soldan kletterte verärgert vom Sprungturm herunter und schritt energisch auf Parker zu.
»Was haben Sie hier zu suchen?« fragte sie wütend. »Sie halten den ganzen Betrieb auf. Wer hat Sie überhaupt hereingelassen?«
»Ich bitte sehr höflich um Entschuldigung, falls ich stören sollte«, erwiderte Parker und legte einen solch gekonnten Kratzfuß auf die Steinfliesen, daß die Wassernixen hell auf lachten.
Mrs. Ruth Soldan kam sich veralbert vor.
»Also, verschwinden Sie«, sagte sie gereizt. »Oder soll ich Sie an die frische Luft setzen lassen?«