»Weil diese Männer auf ebenem Grund angegriffen wurden, auf freier Fläche.« Hunter war entspannt und seiner Sache sicher. »Tiger tun so etwas nicht. Sie greifen von erhöhter Position oder aus dem Hinterhalt an. Ein Tiger bringt sich nie in eine Lage, in der er die Beute jagen muss. Tiger jagen nicht.«
»Tiger jagen der Beute nicht hinterher? Wieso?«
Hunter zuckte die Achseln und nahm weitere Ausrüstung aus seinem Rucksack. »Das weiß keiner. Möglicherweise Instinkt. Vielleicht, weil sie so schwer sind. Aber wenn einen ein Tiger nicht mit drei oder vier Sprüngen erwischt, dann entkommt man ihm vermutlich.«
Ihm kam eine Idee und er zeigte auf eines der etwas unscharfen Bilder. »Sehen Sie diese Spuren?«, fuhr er fort. »Dieses … Ding … hat sich schnell bewegt und in gerader Linie. Es ist als … ich weiß nicht recht … als hätte es versucht, etwas zu erreichen.« Durch seine eigene Idee neugieriger geworden, sortierte Hunter einige der Fotos und brachte sie auf dem Tisch in eine neue Reihenfolge. »Sehen Sie das? All diese Männer wurden nacheinander umgebracht. Es hat sich durch sie hindurchbewegt, schnell getötet, und ist dann zum nächsten weiter, während es seinen Weg in der gleichen Richtung fortsetzte.« Er schwieg eine ganze Weile. Als er wieder sprach, tat er es mit tonloser Stimme. »Ich bin mir nicht sicher, dass das ein Tier war.«
Dixon machte langsam einen Schritt nach vorn, beinahe vorsichtig. »Mr. Hunter, das muss ein Tier gewesen sein. Das kann doch zweifellos kein Mensch getan haben.«
»Glauben Sie, was Sie wollen.« Hunter wirkte unbeeindruckt. »Aber ich habe noch nie ein Tier gesehen, das auf diese Weise getötet hat. Tiere haben Gründe, wie Angst oder Wut oder Verteidigung, wenn sie töten. Und darauf gibt es hier keinen Hinweis. Zumindest keinen, den ich sehen kann. Es hat niemanden zerfleischt, was auf Wut deuten würde. Es hat nicht gefressen. Es hat einfach nur getötet und sich dann das nächste Opfer vorgenommen.« Mit einem leisen, erschöpften Seufzer stand er auf. »Sie wollten meine Einschätzung hören, Gentlemen. Das ist sie.«
»Was ist mit den Spuren?«, beharrte Dixon. »Sind Sie sicher, dass es keine Bärenspuren sind?«
»Nein, das ist keine Bärenspur. Nicht mal nahe dran. Das können Ihnen Ihre eigenen Leute auch sagen.« Hunter starrte ihn an. »Wenn ich mich irgendwie festlegen müsste, würde ich sagen, es sind menschliche Spuren.«
Dixon blinzelte. »Haben Sie jemals ein Tier solche Spuren hinterlassen sehen?«
»Nein.«
»Nie?«
»Nein.«
Dixon schien leicht aufgebracht, warf aber einen schnellen Blick in Richtung Tür. »Sehen Sie, Mr. Hunter. Uns wurde gesagt, dass Sie ein Experte im Spurenlesen sind. Und bitte sagen Sie mir nicht, das wären Sie nicht. Wir haben Sie überprüft.«
Hunter lachte leise.
»Ja, das tun wir bei jedem«, fuhr Dixon fort, als hätte er den Gesichtsausdruck schon tausende Male gesehen. »Nathaniel Hunter. Aufgewachsen in der Wildnis Wyomings. Ihr Vater ist gestorben, bevor Sie geboren wurden, und ein alter Trapper und eine indianische Frau vom Stamm der Sioux haben Sie aufgezogen. Der Trapper hat Ihnen bereits als Kind beigebracht, Spuren zu lesen, und Sie sollen angeblich der beste Fährtensucher weltweit sein. Eine Art Legende. Man sagt, Sie können einen Geist im Nebel verfolgen, und Sie wurden schon von der Polizei eingesetzt, um Kinder in der Wildnis zu finden, wenn alle anderen versagt hatten. Und Sie haben Tiere aufgestöbert, die so kurz vor der Ausrottung stehen, dass es nur noch eine Handvoll davon gibt. Dann, als Sie 20 waren, haben Sie am Amazonas eine Baumart entdeckt, die eine bessere Behandlung von Hirnhautentzündung ermöglicht. Sie haben die Entdeckung für etwa 20 Millionen an ein Pharmaunternehmen verkauft. Und seitdem haben Sie noch ein weiteres Dutzend Pflanzen entdeckt, die gegen verschiedene Viruserkrankungen helfen. Ja, und ich weiß auch, dass diese alte Hütte nicht Ihre einzige Behausung ist. Sie besitzen ein Penthouse in New York, gefüllt mit Kunst und alten Büchern im Wert von etwa 20 Millionen Dollar, eine Wohnung in Paris, die so vollgestopft ist mit seltenen Artefakten, wie das Smithsonian. Sie können reisen, wohin Sie wollen; tun, was Sie wollen. Sie sind der Hauptgeldgeber des Tipler-Instituts.« Dixon schüttelte den Kopf. »Sie stecken voller Überraschungen, Hunter. Sie haben all die Kohle und geben kaum einen Cent für sich selbst aus. All die Luxusapartments sind leer und Sie verbringen den Großteil Ihrer Zeit hier in dieser alten Hütte.« Er schnaubte. »Sie haben viele Facetten, okay, aber worüber sich alle einig zu sein scheinen, ist, dass Sie eine Art Wildnisguru sind. Also haben Sie sicher einen Verdacht, was das sein könnte. Auch, wenn es nur eine Vermutung ist.«
Hunter sah Dixon in die Augen und gab sich wenig Mühe, dabei freundlich auszusehen. »Ich habe die Bilder bereits untersucht«, sagte er. »Die Spuren sehen vage nach einem Bären aus, aber sie sind zu sehr verwischt und verweht, also kann man es schwer sagen. Und das Ding läuft auf zwei Beinen, demnach bewegt es sich nicht wie ein Bär, der entweder rennt, galoppiert oder geht. Das Ding hier, was immer es auch sein mag, wiegt vermutlich über hundert Kilo und ist rechtshändig. Es sieht häufig nach rechts und macht alle 15 Meter eine Pause. Es läuft vornübergebeugt, wenn es sich bewegt, als würde es schleichen. Und wenn es sich dreht, dann auf beiden Füßen gleichzeitig. Beim Töten schlägt es von rechts nach links und legt sein Gewicht auf das linke Vorderbein, wie ein Boxer.«
Verblüffte Stille.
Maddox war der Erste, der die Stimme wiederfand. »Das können Sie alles aus diesen Fotos herauslesen?«
Hunter nickte.
»Aber … wie?«
Hunter wedelte mit der Hand in Richtung der Bilder. »Genau hinsehen, Verschleifung und Verdichtung, Abrollspuren, Muster, Winkel der Spuren zur Laufrichtung, Krümmung. Einfache Dinge, Colonel.«
»Aber unsere Spurenleser … konnten uns das nicht alles sagen.«
Hunter seufzte. »Nun, ich bin mir sicher, Sie haben gute Leute, Colonel. Aber das ist es, was ich erkenne. Glauben Sie’s oder lassen Sie’s.«
Maddox schwieg für einen Moment, drehte sich um, lief durch den Raum und rieb sich das Kinn. Er schien nachzudenken. Nach einer Weile sah er Dixon an. »Mr. Dixon, kann ich kurz mit Ihnen reden. Unter vier Augen.«
Dixon, dessen Augen selbst hier drin durch eine Sonnenbrille verdeckt wurden, sah für einen langen Moment Hunter an, bevor er sich umdrehte und den Raum durchquerte. Hunter lehnte sich auf den Tisch und sah sie an, während sie sich flüsternd unterhielten. Er wusste nicht, worüber sie redeten, aber ihm kam ein Gedanke. Er hatte keine Lust, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
»Mr. Hunter.« Maddox kam langsam auf ihn zu. Er schien seine Worte sorgfältig zu wählen. »Ich würde Ihnen einen Vorschlag machen, und ich hoffe, dass Sie ernsthaft darüber nachdenken, bevor Sie antworten.« Er hob den Kopf, wirkte aufrichtig, soweit Hunter das beurteilen konnte.
Er nickte. »Schießen Sie los.«
»Diese, äh, diese Situation«, fuhr Maddox fort, »ist nicht ganz das, wonach es aussieht. Ich bin mir sicher, Sie halten den Tod unserer Soldaten für eine Tragödie. Und bedenken Sie, das waren alles gute Männer. Männer mit Familien. Aber da steckt noch mehr dahinter.«
Hunter schwieg.
»In Wahrheit, Mr. Hunter, hat diese Kreatur, was immer es auch ist, in den letzten Tagen mehrfach getötet – größtenteils Militärpersonal, Leichen, die wir auf gewisse Weise im Keller behalten können. Aber es scheint nach Süden unterwegs zu sein. Und bald wird es, wenn es auf dem jetzigen Kurs bleibt, eine von Zivilisten bewohnte Gegend erreichen.«
»Wieso können Sie diese Kreatur nicht finden, indem Sie ihre Position mit Triangulation mithilfe der Infrarotsignatur bestimmen?«, fragte Hunter. »Die Technologie für eine Jagd dieser Art ist mit dem Global Imaging System verfügbar. Sie könnten vermutlich die Hitzesignatur isolieren.«
»Wir sind ja keine Idioten, Mr. Hunter. Das haben wir schon versucht. Aber es gibt eine Menge – eine Unmenge – an großen Tieren in der Gegend. Elche, Bären, Hirsche, Wölfe, so viele Tiere, dass es unmöglich ist,