DUNKLER FLUSS. Nicholas Bennett. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicholas Bennett
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350373
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dich um.«

      Die Wolken gaben nun den Mond wieder preis. Patsys Körper lag regungslos vor ihm. Ihr war anscheinend überhaupt nicht nach Scherzen zumute. Vage nahm Martin zur Kenntnis, dass sich seine Blase entleerte. Er spürte nun den leichten, geduldigen Atem des Killers auf den Härchen in seinem Nacken.

      Martin drehte sich langsam um.

      – 3 –

      Brighton, 16. Januar 2001

      Am Morgen wirkte die Treppe harmlos, und er fühlte sich ziemlich dämlich, insbesondere nach seinem offenen Gespräch mit Paul, der wie üblich heiter und ruhig geblieben war. Centre Ville hatte schon geöffnet und brachte wie blöde Kaffees oder gefüllte Croissants an die Kundschaft. Die gut aussehende Bedienung kam emsig durch die Hintertür aus dem Restaurant gelaufen. Er lächelte sie an, als er die erste Treppe in Angriff nahm, doch sie streifte ihn im Gegenzug nur mit einem eisigen Blick. Kein Wunder, dachte er. Ich sehe bestimmt aus, wie der letzte Dreck.

      Vor seiner Wohnungstür lauerten weder Gespenster noch Mörder mit einem Hackebeil. Er sperrte auf, ging hinein und begab sich dann sofort ins Bad. Eine schöne, lange Sitzung in der Wanne war angebracht. Während das Wasser einlief, kochte er sich Kaffee, nahm ein broschiertes Buch vom Couchtisch und drückte PLAY auf seinem CD-Spieler. Dann kehrte er ins Bad zurück.

      Nachdem er sich in der Wanne niedergelassen hatte, brachte er nicht mehr genügend Konzentration zum Lesen auf. Sein kleiner Streit mit Paul ging ihm nicht aus dem Kopf. Der Kerl hatte einfach nicht von seiner Vermutung abrücken wollen, Opfer eines schlechten Scherzes geworden sei; er war sich sicher gewesen, dass Weaver gemeinsam mit anderen versucht hatte, ihm Angst einzujagen. Paul suhlte sich in jenen Niederungen des bekifften Verfolgungswahns und der verschwörerischen Komplotte, wo Zauberei Wissenschaft war und diese nur Scheinerklärungen der Wahrheit. Das endlose Angebot von Kinofilmen und Fernsehserien der Marke Akte X im Verbund mit immer mehr Literatur über Ufos und der andauernden Besessenheit von Roswell reichten völlig aus, um Paul davon zu überzeugen, eine »Offenbarung« stehe unmittelbar bevor. Die Außerirdischen gingen unter uns um, mehr noch, das taten sie schon seit Anbeginn der Zeit, und der gesamte Verlauf der Geschichte war nichts weiter als ein aufwendiges, aber scheiterndes Experiment – und so weiter und so fort. Paul zählte zu den intelligentesten Menschen, die Weaver je kennengelernt hatte, schien aber wie viele solcher Menschen auf dem schmalen Grat zwischen jenen dicht zusammenhängenden Zuständen zu wandeln: Genie und Wahnsinn.

      Weaver schlug das Buch zu und legte sich einen warmen Waschlappen über die Augen. Sie waren eine Zeit lang um einen Streit herumgekommen, bis Paul schließlich die falsche Bemerkung gemacht hatte.

      »Die Ironie, David, besteht darin, dass du für diesen dummen Witz deine beste Arbeit abgeliefert hast«, waren seine Worte. Er war so gekränkt gewesen, dass er die hochheilige Regel des Studios gebrochen hatte: Niemals gegenseitig die Qualität der Arbeiten bewerten; kein Ego-Gehabe, keine Sorgen um die Meinung des jeweils anderen. Das war gut gegangen, bis heute.

      »Ich habe es nicht gemalt, verdammt noch mal!«, brüllte Weaver zu seiner Verteidigung. »Scheiße, Mann: Denkst du nicht, ich würde vor Freude aus allen Wolken fallen, wenn ich es gewesen wäre? Du weißt, wie es mir schon seit ein paar Monaten geht, ich kann kaum Punkte in einem Zahlenbildrätsel verbinden, um Himmels willen!«

       Fuchsteufelswild war er gewesen, böse wie schon lange nicht mehr, soweit er sich erinnern konnte. Er nahm die Gandalf-Figur in die Hand, die er zuletzt bemalt hatte. »Ich meine, sieh dir das an. Zieh dir das rein!« Er hielt sie Paul unter die Nase, der dabei zusammenzuckte. Er steckte Auseinandersetzungen nur schlecht weg. »Das ist das Beste, was ich in den letzten Monaten zustande gebracht habe!« Er hätte den Miniaturzauberer am liebsten gegen die Wand geworfen und erkannte in diesem Moment, dass auch der andere die unterschwellige Gewalt spürte: Paul war zurückgetreten, offensichtlich ängstlich in Anbetracht der Art, wie er auf den Boden schaute. »Ach Mensch, Paul, es tut mir leid, aber ich habe das Ding eben nicht gemalt.«

      Daraufhin schwieg er. Er war zu weit gegangen.

      Paul fand seine Schachtel Marlboros und zündete sich eine an, dann nahm er auf der Kante seines Sofas Platz und kratzte sich am Kopf. »Schätze, du gehst jetzt besser, David. Ruf mich in ein paar Tagen oder so mal an. Wir brauchen wohl beide etwas Zeit zum Runterkommen. Du musst mit einigen Dingen in deinem Leben aufräumen, und ich glaube, mir geht es nicht anders.«

      »Du hast doch gut reden«, rief Weaver. »Dir versucht schließlich niemand, den Kopf zu verdrehen, richtig?«

      Paul zog an seiner Kippe und betrachtete ihn nachdenklich. »Ach ja? Ich fühle mich momentan echt zum Kotzen.«

      »Aber hier geht es doch gar nicht um dich, oder?« Weaver wurde wieder lauter. »Jemand ist mitten in der Nacht vor meiner Wohnungstür gewesen – jemand, der verrückt genug war, um wer weiß wie lange darauf zu warten, dass ich nach Hause komme. Ich kann mir nicht einmal erklären, wie oder weshalb er sich Zugang verschafft hat, komme dann hierher, und finde das Bild eines Jungen, der aussieht wie ein Dämon, auf Leinwand gemalt innerhalb weniger Stunden mit meinem Zeug, und du fühlst dich zum Kotzen?«

      Paul strafte ihn mit einem kühlen Blick.

      »Stell dir mal vor, Weaver: Falls, und ich meine wirklich, falls nicht du selbst derjenige gewesen bist, der das getan hat …« Er wies mit einer Hand auf das Gemälde. »… ist heute Nacht jemand in den Keller eingebrochen und nur wenige Fuß an mir vorbeigegangen, während ich schlief …« Weaver erschauderte. »Genau, du verstehst anscheinend, was ich meine. Dann hat er diesen – ich weiß nicht – dieses abgefuckte Traumbild fabriziert und sich wieder aus dem Staub gemacht.«

      Weaver fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und wich dem Blick seines Freundes aus.

      »Also ja, zufällig fühle ich mich ein bisschen mies«, spottete Paul mit gespielt freudiger Stimme. »Ich schlage vor, du ziehst Leine und stellst dir die Frage, weshalb du es darauf anlegst, mir so etwas zuzumuten.«

      »Dir so etwas zuzumuten«, brummte Weaver. Das brachte die Befindlichkeit in Brighton kurz nach der Jahrtausendwende auf den Punkt: Sich für etwas Besseres zu halten passte wie die Faust aufs Auge zu dieser Stadt. Hey, Mann, wir engagieren uns ja, aber bring uns bloß nicht dazu, an uns selbst zu zweifeln. Nur keine Anstrengung, okay? Wir werden uns schon um alles … aber nein, eigentlich kümmern wir uns einen Scheiß – fadenscheinige Freundschaften, Klüngel und Sippen. Mensch, Alter, wo ist dein Mut zum Anderssein? Wo bleibt der Wille, dich schräg zu benehmen? Na ja, tut mir leid, falls ich meine Individualität nicht auf die gleiche Weise ausdrücken kann wie du, dachte er wütend. Hatte Paul je bemerkt, dass sein Nasenpiercing, die gefärbten Haare, die bunten Tätowierungen und Klamotten von Oxfam auch nichts weiter als eine Art von Uniform waren?

      Weaver glaubte es nicht.

      Er spielte mit dem Gedanken, sich zu rasieren, ließ es aber letztlich bleiben. Er wollte den Tag sowieso verpennen, also war es unnötig. Als ihm auffiel, dass die CD durchgelaufen war, staunte er darüber, wie lange er schon in der Wanne gelegen haben musste. Er hörte einen Augenblick lang in die Stille hinein und konzentrierte sich dann auf eine Stimme, die er aus dem Café im Erdgeschoss vernehmen konnte.

      Seltsam, normalerweise bekam er überhaupt nichts davon mit.

      irinsaueeckesirinsaueirins

      Sie klang leicht dumpf, wie vom anderen Ende eines Korridors oder aus einem Tunnel heraus. Was auch immer es war, anscheinend wurde es lauter. Nein, das stimmte nicht.

      Er stieg aus der Wanne.

      Es kam vielmehr näher, eine Art von Sprechgesang.

      eckesirinsaueeckesirinsaue

      Schlagartig drängte sich der Anblick des Gemäldes wieder in ihm auf, die grapschende Gestalt mit dem unkenntlichen Gesicht.

      Er spürte, dass er panisch wurde. Lähmende Furcht ließ ihn verharren, plötzlich war er mit einem Badetuch in den Händen, an das er sich klammerte, wie erstarrt. Das war doch albern. Er schüttelte den Kopf, um sich zusammenzureißen, und hatte Mühe, ruhig zu atmen.

      Der