DUNKLER FLUSS. Nicholas Bennett. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicholas Bennett
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350373
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Zweige knackten. Martin behielt recht, nicht wahr? Sarah hatte tatsächlich behauptet, ihr Ex wahrte Respekt, stand damit aber allein da in Patsys Clique. Er kommt nicht zur Sache, hieß es weithin. Zu unreif für dich.

      Martin, so dachte sie jetzt, kam direkt zur Sache. Seine Hände schienen auf einmal überall auf ihr zu sein.

      »Nicht«, stöhnte sie auf eine Art, die das Gegenteil ausdrückte. Martin fing an, ihren Hals zu küssen. Er drückte sie gegen den Baum, presste den Mund auf ihre Lippen, und sie sprach darauf an. Dadurch ermutigt begann er, sich durch ihren dicken Wintermantel zu fummeln.

      »Warte«, sagte sie leise lachend und machte sich daran, die Knebelknöpfe zu öffnen. »Lass mich.«

      Aus dem Dunkel zwischen den Bäumen flüsterte plötzlich jemand ihren Namen.

      Sie zuckten zusammen und klammerten sich erschrocken aneinander, dann blickten sie in den finsteren Wald. Es gab nichts zu sehen, nur die Schattenumrisse der silbrig glänzenden Weiden im schwachen Licht des Mondes. Gerade schoben sich abermals Wolken vor ihn, sodass die beiden praktisch blind waren. Jetzt fand Martin diesen Ort auf einmal gar nicht mehr so berauschend. Als seine Erektion abklang, musste er plötzlich dringend pinkeln.

      »Wer zum Teufel war das?«, piepste Patsy. Martin schaute mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit. Es war unmöglich, irgendetwas zu erkennen.

      »Hallo? Wer ist da?« Niemand antwortete.

      »Komm«, wisperte Martin. »Gehen wir wieder.«

      Zuerst musste er Patsy vom Baum wegziehen, dann liefen sie los, ohne auf Hindernisse zu achten, und streckten die Hände vor sich aus, um Äste und böse Geister abzuwehren. Patsy blieb stehen und ging an einem anderen Baum in die Hocke. Ängstlich schlang sie ihre Arme um die Knie, während beide lauschten. Sie hielten vor Angst den Atem an.

      Nichts.

      Schließlich packte er ihr Handgelenk und zerrte sie weiter in die Richtung, aus der sie gekommen waren, wie er glaubte – vor etwa einer halben Stunde? Dort wähnte er Laternen und Verkehr. Martin wusste, ihnen geschah nichts, wenn sie nur in Bewegung blieben. Bis zur Straße konnte es schließlich nicht mehr weit sein. Er fuhr hektisch mit dem Kopf herum.

      »Wo war noch gleich die Straße?«, fragte er keuchend.

      »Ich weiß es nicht.«

      »Oh, scheiße.«

      Sie schwiegen erneut und hielten einander unbewusst fest.

      »Hörst du Autos, Patsy?«

      Einmal mehr hielten sie die Luft an und lauschten angestrengt. Nichts.

      »Das muss aber der richtige Weg sein.«

      Links von ihnen vernahmen sie abermals knackende Zweige. Dann Schritte.

      »Oh mein Gott!«, schluchzte Patsy.

      Martin strengte sich an, etwas im Blauschwarz auszumachen. Immer noch nichts – doch, Moment: Jetzt bildete er sich ein, dass er in zwanzig Fuß Entfernung eine reglose Gestalt zwischen den Bäumen ausmachen konnte. Doch so sehr er auch gegen die Dunkelheit anblinzelte – wieder nichts. Reine Einbildung, dachte er. Die Finsternis spielte ihm nur Streiche, so wie damals, als er sich als Kind bei ausgeschaltetem Licht gefürchtet hatte. Nichtsdestotrotz trat genau dieses Kind in ihm jetzt wieder zum Vorschein.

      »Los, Patsy, wir müssen verschwinden. Hier ist es nicht sicher.«

      Ihr Gesicht war ein Musterbeispiel für Angst: Verständnislos aufgerissene Augen, die immer wieder zu den Seiten schnellten wie in Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Grauens und ein leicht offenstehender Mund mit herabgezogenen Mundwinkeln.

      »Pass auf.« Martin schluckte bemüht und versuchte, tapfer zu bleiben. »Ich glaube, ich weiß, wer das ist.«

      Patsys Miene nahm übertrieben hoffnungsvolle Züge an.

      »Wer …«

      Martin schüttelte verärgert den Kopf. »Mein Bruder und seine Freunde.«

      »Warum?«

      »Sie wussten, dass ich mit dir herkommen wollte. Ich habe ihnen davon erzählt.«

      Erleichterung und überschwängliche Zuversicht lagen nun in ihrem blassen Gesicht im Widerstreit.

      »Du … du … Mistkerl.«

      Auch Martin war fast erleichtert, eben weil Patsys Angst sichtlich nachließ. Selbst bei so wenig Licht erkannte er rote Flecken auf ihren Wangen, Zeichen verlegener Wut. Es entsprach aber der Wahrheit: Er hatte den anderen von seiner geplanten Liebesnacht erzählt. In der Pubertät machten sich Brüder gern gegenseitig gern etwas vor und gaben an.

      »Hör mal, es tut mir leid, aber …«

      »Aber was?« Ihm war klar, dass er Patsy in die Irre führte. Er versuchte, sie zum Weitergehen zu bewegen, obwohl er sich selbst nichts vormachte: Sein Bruder war heute Nacht nicht im Fickforst. Denn er besuchte ein Konzert unten im Süden, gemeinsam mit seinen Kumpels.

      Patsys Name drang ein weiteres Mal aus der Dunkelheit an ihre Ohren.

      Eine Männerstimme, oder doch die einer Frau? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall klang sie heiser.

      Patsy entzog sich ihm, bevor er seine Lüge gestehen und ihr sagen konnte, dass Greg gerade in irgendeinem Londoner Pub saß, wo er für einen Gig vorglühte. Sie lief der Stimme aus dem Dunkeln entgegen. Er wollte sie festhalten, streifte aber nur ihren Dufflecoat. Dabei rutschte er auf einer hervorstehenden, glitschigen Baumwurzel aus, und weg war sie.

      »Greg, du elender Perverser, kannst du dir deinen Kick nicht woanders holen?«

      »Patsy, warte!« Martin stürzte ihr hinterher. »Es kann nicht Greg sein, er ist …«

      Er rannte gegen einen herunterhängenden Ast und schrie auf, als ihm das Gestrüpp ins Auge stach. Als er nun in die Schwärze starrte, sah er wegen seiner Tränen noch weniger. Weiter vor ihm trampelte Patsy immer noch durch das Unterholz.

      »Wo bist du, du Bastard?« Sie sprang blindlings zwischen den Bäumen herum. »Komm schon, zeig dich! Hast du Angst, oder was? Tja, ich nicht, ich …«

      Patsys Schimpfen endete abrupt. Martin hörte einen gedämpften Knall und dann ein Rascheln, als würde etwas Schweres durch das Dickicht geschleift.

      »Patsy?« Seine Stimme war kaum hörbar, doch er wusste, dass dies ohnehin keine Rolle spielte.

      Denn Patsy war verschwunden!

      Martin blieb auf der Stelle stehen. Er strengte alle seine Sinne an, hatte aber keinen blassen Schimmer, wo sie abgeblieben sein könnte.

      »Patsy!« Er klang schwach und ängstlich. Sein Alter wurde plötzlich unerheblich, übrig blieb einzig und allein der kleine Junge, der sich fürchtete. Er ging vorwärts, ohne Luft zu holen. Wohin er auch schaute, überall war es dunkel. Die Wolken hatten auch das letzte Licht ausgelöscht. Er streckte die Hände aus wie ein Blinder ohne Gehstock.

      Das stimmte doch alles hinten und vorn nicht, es musste einfach ein Scherz sein. Martin lächelte.

      Aber sicher doch: Patsy wollte ihn bestimmt nur hinters Licht führen. Er lachte versehentlich auf und schlug sich schnell mit einer Hand auf den Mund. Natürlich musste sie einen Komplizen dabei haben. So dachte sie, ihm eine Lehre dafür erteilen zu können, dass er versucht hatte, einen Freund zu hintergehen. Es ergab plötzlich alles einen Sinn. Sie hatte sich von Anfang an dagegen gesträubt, richtig? Sie hatte ihn fortwährend darauf hingewiesen, doch er war einfach nicht darauf eingegangen. Dies war nun also seine verdiente Strafe … Gut, sollte es eben so ein.

      »Patsy, ich weiß, was du vorhast! Du kannst jetzt wieder rauskommen!« Sein Tonfall zeugte von der entspannten, aber auch übermütigen Stimmung einer Person, die realisiert hatte, dass alles – jawohl alles – nur ein einziger Riesenwitz war. »Ha-ha, sehr komisch, verflucht komisch …«

      »Martin.«

      Er nahm seinen