Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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Sie zog ärgerlich vor sich hinbrummend ab.

      Und nun lachten die Kinder alle, ein hilfloses, wildes, wahnsinniges Lachen. Und Gant, der Sterbenskranke, schritt auf und ab zwischen ihnen, klagte laut über den erbarmungslosen Gott, stachelte sie vorsichtig zum Lachen, zum Wiederlachen, zum Immerwiederlachen an. Ein schlaues Grinsen spielte um seinen wehleidigen Mund.

      Ein Luftzug aus der Küche fuhr in Elizas Kammer.

      Eliza rieb sich im Schlaf die Augen, lächelte. Ihre verbrauchten Hände tasteten suchend im Bett. Als sie den Platz neben sich leer fand, erwachte sie. Sie erinnerte sich.

      Mein Jüngster, mein Ältester, letzte bittre Frucht meines Leibes, Du Dunkler, so fern, so einsam, wo bist Du? Sie erinnerte sich an sein Gesicht. Todessohn, Teilhaber meiner Gefahr, letzte Prägung aus meinem Fleisch, Du, der Du in mich eingerollt warst, den ich in meinem Schoß wärmte. Fort? Von mir abgeschnitten? Wann? Wo?

      Die Küchentür ging. Ein Lieferjunge schmiß das Wurstpaket auf den Tisch. Eine Negerin schürte das Feuer im Herd. Nun war Eliza wach.

      Ben tat es in aller Ruhe, aber ohne die geringste Verstohlenheit. Er gestand nichts, er bestritt nichts. Die Sitzschaukel auf der Veranda knirschte leis, sein dünnes Lachen stieß leis in die Dunkelheit. Mistress Pert lachte liebenswürdig, behaglich. Sie war dreiundvierzig, eine stattliche Frau mit guten Manieren, die ziemlich viel trank. Wenn sie betrunken war, wurde ihre Stimme leis, dunkel und faserig; sie lachte dann mild und ungewiß und ging mit der bedächtigen Schwere der Alkoholiker. Sie war gut angezogen, stand gut im Fleisch, sah aber nicht sinnlich aus. Sie hatte angenehme Gesichtszüge; ihr weiches Haar war braun wie altes Eichenholz. Ihre Augen waren blau und ein wenig verschwommen. Sie lachte mit einem glückselig kullernden Gluckern. Sie war allgemein beliebt in der Familie; Helene nannte sie Fatty.

      Ihr Gatte war Handlungsreisender in der Drogenbranche; er bereiste Tennessee, Arkansas und Mississippi. Dreimal im Jahr kam er auf vierzehn Tage nach Altamont. Ihre Tochter Katherine, beinah so alt wie Ben, kam jeden Sommer auf ein paar Wochen nach Dixieland; sie war Volksschullehrerin in einem Dorf in Tennessee. Ben war mit beiden Kavalier.

      Mistress Pert gluckte sanft, wenn sie mit ihm sprach. Sie nannte ihn »Old Ben«. Er saß bei ihr auf der Sitzschaukel im Dunkeln, redete ein bißchen, summte ein bißchen vor sich hin, lachte manchmal ein bißchen in dünnem Moll, schwieg lange und rauchte viele Zigaretten in tiefen Lungenzügen. Manchmal brachte er eine Flasche Whisky mit, die tranken die beiden stillschweigend aus. Vielleicht machte sie das ein wenig gesprächiger als sonst. Jedenfalls: laut waren sie nie. Dann und wann standen sie einmal gegen Mitternacht von der Sitzschaukel auf, gingen auf die Straße hinaus und verschwanden unter den laubigen Bäumen. Dann kamen sie beide die ganze Nacht nicht heim.

      Eliza, die einen Haufen Wäsche in der Küche bügelte, horchte auf. Sie ging in den ersten Stock und sah in Mistress Perts Zimmer nach. Mit nachdenklich verzognem Mund kam sie wieder herunter.

      Sie mußte sich über solche Sachen mit Helene aussprechen. Es bestand ein merkwürdiges, trotziges Mitteilungsbedürfnis zwischen den beiden. Sie lachten und waren bitter zusammen.

      »Aber gewiß!« antwortete Helene. »Ich weiß das schon die ganze Zeit.« Trotzdem war sie neugierig und skeptisch in ihrem unschuldigen Kinderglauben. »Glaubst Du, daß er es wirklich mit ihr hat? Sicher nicht, Mama, sie ist ja alt genug, um seine Mutter zu sein.«

      Über Elizas weißes, nachdenklich und vorwurfsvoll verzognes Gesicht huschte ein wissendes Lächeln. Um es zu verbergen, wischte sie sich schnell die Nase. Sie kicherte.

      »Ich will Dir was sagen«, erklärte sie, »der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Er schlägt seinem Vater nach.« Dann flüsterte sie: »Es steckt im Blut.«

      Helene lachte heiser, kratzte sich verlegen am Kinn, sah auf den ungejäteten Garten hinaus.

      »Armer, alter Ben«, sagte sie, und Tränen traten ihr in die Augen. »Immerhin, Fatty ist eine Lady. Ich mag sie gern. Mir ist's gleich, ob's die Leute wissen«, fügte sie trotzig hinzu. »Das geht niemanden sonst was an. Und sie benehmen sich still, das muß man zugeben.« Sie schwieg eine Weile, dann bemerkte sie: »Die Frauen sind verrückt auf ihn. Sie haben die Stillen gern, nicht wahr? Ben ist ein Gentleman.«

      Eliza schüttelte gewichtig den Kopf. »Ja, ja, was Du nicht sagst«, flüsterte sie und schüttelte wieder den Kopf. »Sie sind immer zehn Jahre älter, mindestens!«

      »Armer, alter Ben«, wiederholte Helene.

      Eliza schüttelte wieder den Kopf. »Ja, ja«, sagte sie, »ein so stiller, trauriger Mensch, ja, ja …« Sie wollte sprechen, aber die Worte blieben ihr im Mund stecken. Nun waren auch ihre Augen feucht.

      Sie dachten über Söhne, über Liebhaber nach. Sie wurden zutraulich aus lauter Mitteilungsbedürfnis. Sie tranken den Kelch ihrer gemeinsamen Sklaverei und dachten an diese Gantschen Männer, die immer Hunger kennen würden, immer Fremdlinge sein würden im eignen Land, Wanderer, die ihren Weg verloren haben. O verloren.

      Frauenhände waren hungrig auf sein sprödes Haar. Frauen, die aufs Zeitungsbüro kamen, um Anzeigen aufzugeben, fragten nach ihm. Die Stirn in ernste Falten gelegt, saß er da und überlas mit monotoner Stimme, was sie geschrieben hatten. Seine hageren, behaarten Handfesseln stießen an die gestärkten Manschetten. In den sehnigen, nervösen, von Nikotin wie altes Elfenbein gefärbten Fingern hielt er den Bleistift. Er stilisierte die Anzeige um. Den Kopf gebeugt, die Stirn noch ernster gerückt, strich er aus, zog er zusammen, stellte er um. Ausdrucksvolle Damenfinger zuckten. »Wie gefällt Ihnen der Wortlaut jetzt?« fragte er. Geistesabwesende Antworten. Augen in sprödes Kraushaar verwirrt. »Sehr viel besser. Danke schön.«

      Gesucht: Stirnrunzelnder Mannknabenkopf für verständnisvolle Finger reifer sympathischer Frau. Unglücklich verheiratet. Anschrift: Mrs. B. J. X. Postfach 74. – Acht Cent das Wort bei einmaligem Erscheinen des Inserats. Zärtliches: »Oh, danke schön, Ben.«

      Der fette Jack Eaton, Redakteur des Anzeigenteils, kam ins Büro des Lokalredakteurs. »Ben«, sagte er grinsend, »eine von Deinem Harem ist draußen. Sie hätte mir fast den Kopf abgerissen, als ich ihr das Inserat abnehmen wollte. Frag sie doch bitte, ob sie 'nen Freund hat!«

      »Oh, nun hör Dir das an, bitte«, kicherte Ben. Er warf die Zigarette weg und ging nach vorn ins Inseratenbüro. Eaton blieb einen Augenblick beim Lokalredakteur, um zu lachen.

      O seltner Ben Gant! Im Hochsommer, wenn Dixieland überfüllt war, hausten Ben und Eugen öfters zusammen in Gants Haus. Sie hatten das große Vorderzimmer, in dem sie beide geboren waren. Spät am Abend kam Ben heim. Einen Berg Kissen in den Rücken gestopft, lag er in dem alten breiten Bett und las. Er las laut und stolpernd, aber mit sehr ebenmäßiger, ruhiger Stimme, die Baseballgeschichten von Ring Lardner. Die Aussprache unbekannter Vokabeln machte ihm Schwierigkeiten.

      Das flache Verandadach vorm Fenster war noch warm von der Sonne und roch nach Teer. Üppige, spinnwebige Traubenperkel hingen dicht in den breitblättrigen Reben.

      Ben las mühsam, hielt einen Augenblick später inne und kicherte. Wie ein Kind, stirnrunzelnd und beflissen, tastete er nach dem Sinn. Frauen liebten seine stirnrunzelnde, langsame Beflissenheit. Schnell war Ben nur in Augenblicken der Wut, und wenn er sein »Oh, nun hör Dir das an, bitte!« zu seinem Engel sprach.

      XXII

      Als Eugen das zweite Jahr in Leonards Schule ging, besorgte Ben ihm Arbeit als Zeitungsträger. Eliza murrte; sie schalt den Jüngsten faul; sie klagte darüber, daß er so gut wie nichts im Hause schaffe. Tatsächlich war er nicht faul; er war unwillig. Er haßte die nutzlose Boardinghouse-Plackerei. Sie verlangte keine schwere Arbeit von ihm, aber die Anforderungen, die sie an ihn stellte, kamen oft und unerwartet. Hätte sie ihm die Verantwortung für eine tägliche Besorgung aufgebürdet, dann hätte er sich willig in den Dienst geschickt und die Pflicht eifrig erfüllt. Aber in ihrem Betrieb ging alles drunter und drüber; er sollte bald da, bald dort zur Hand gehn, er sollte sich ständig für beliebige Besorgungen bereit halten; und das paßte ihm nicht.

      Ihr ganzes Sein drehte sich um Dixieland. Sie war die Sklavin ihres Besitzes. Eugen sah es mit Grauen. Wenn sie ihn Brot holen schickte, dann war er trübselig, weil das Brot von Fremden