Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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sich gut an den Wahltag; das lag nun schon Jahre zurück. Stolz schritt er an der Seite seines Vaters, als Gant zum Wahllokal ging. Die kampfbereiten »Trocknen« waren übereingekommen, ihre tathafte Gesinnung zum Tragen einer kleinen weißen Schleife im Knopfloch kundzutun. »Weiß« wegen »Reinheit«. Die Gegenkämpfer, die »Nassen«, trugen Rot.

      Von heftigen Posaunenstößen in den protestantischen Kirchen angekündigt, tagte der Tag der Sühne für die Armee zäher, wohlgedrillter Sinaleo-Streiter. Jene »Nassen«, die die Vorhutgefechte im Heim und das schwere Geschützfeuer von der Kanzel siegreich überstanden hatten – – ihre Zahl (ei! ei!) war gering – –, gingen kühn, das Leuchten der ihnen abgesprochenen Mannesehre im Gesicht, in den Tod; eine wackre Schar, die in verzweifeltem Getümmel, vom Mob auf allen Seiten umringt, fällt.

      Sie wußten nicht, wie herrlich ihre Sache war. Sie wußten nur, daß sie dem Willen einer von Pastoren verhetzten Gemeinde, der vernichtendsten Gewalt in ihrem kleinen Daseinskreis, trotzen müßten. Niemand hatte ihnen gesagt, daß sie für Freiheit stünden. Und so standen sie ruppig und eigensinnig, den starken, braunen Geruch ihrer Schande um die Nase, für den Dämon Alkohol, diesen Götzen mit dem Hopfen-und-Malz-Maul, den blutgeäderten Augen, der roten Nase, diesen bitterbösen Sittenverderber, der das schöne Geld aus den losen Beuteln lockt. Sie traten an, Weinlaub im Haar, einen guten Whiskynebel im Atem, ein tapfres Lächeln um den entschlossnen Mund.

      Als sie zur Urne schritten und wie umzingelte Ritter nach Waffenbrüdern Umschau hielten, da standen wie Jägerinnen mit gespannten Bogensehnen die Damen aus den Kirchenvorständen der Stadt, umgeben von den gierigen Kohorten der Sonntagsschüler, auf dem Plan. Diese Zöglinge des Kindergottesdiensts – in weiße Engelsgewänder gekleidet, kleine Sternenbanner in den kleinen Händen – waren gierig wie eine Meute, das Ihre zu tun.

      »Da kommt einer«, sagten die Damen. »Los! Kinder!« Und die Pygmäen berannten ihren Gulliver, kreischend, heißhungrig, monströs, wie es nur mit Schlagworten verhetzte Kinder sein können. Sie umringten das Opfer in einem wilden Elfentanz und piepsten ein schrilles Lied:

      »Wir sind einer liebenden Mutter Schatz

      Männer und Frauen von morgen.

      Wollt Ihr um des Augenblicks leere Lust

      Uns stürzen in währende Sorgen?

      O gedenkt doch der Schwestern, der Eh'fraun, der Mütter

      Des Säuglings im Elend: gedenkt ihrer wohl!

      Denkt nicht an Euch selber! Denkt an die Betroffnen!

      Wählt gegen den Dämon Alkohol.«

      Ein Schauder überlief Eugen. Mit keuschem Stolz blickte er zu Gants weißer Schleife empor. Sie gingen, an unglücklichen, vom Wogenprall der Unschuld umbrandeten Alkoholikern vorbei, die mörderisch auf »einer liebenden Mutter Schatz« herniederlächelten.

      Wenn die Rangen mein wären, würde ich ihnen den kleinen Popo versohlen, dachten sie für sich.

      Das Wahllokal war ein Lagerschuppen aus Wellblech. Am Eingang empfing Gant die eifrigen Glückwünsche der Damen von der First Baptist Church, unter anderen seiner Schwägerin Pett Pentland, Wills Gattin, die mit schwer-gepudertem Gesicht über den hohen Fischbeinkragen hinweg lächelte und elegant mit den langen Röcken ihres grauen Seidenkleids rauschte, Sie hatte Gant sehr gern.

      »Wo steckt Will?« fragte er.

      »Gibt den Whiskyfabrikanten zu verdienen, anstatt sein Scherflein zu Gottes Werk beizusteuern«, sagte Pett mit echt-christlicher Bitterkeit. »Wir beide wissen ja, was es mit diesem querköpfigen Pentlandcharakter auf sich hat«, fügte sie vielsagend hinzu.

      Er nickte und sah unter sich: »Ja, ja, Pett, wir haben unser Teil zu tragen.«

      Ein Geruch von getrockneten Wurzeln und Sassafras kam aus dem Schuppen und stieg ihm in die Nase.

      »Wenn es darauf ankommt, für eine gute Sache Zeugnis abzulegen«, erklärte Pett Pentland einigen Damen, »dann kann man stets auf Will Oliver Gant rechnen.«

      Gants Feldherrnblick streifte die Bergketten von Pisgah.

      »Alkohol ist ein Fluch«, bekannte er. »Alkohol hat unzählige Millionen Menschen ins Elend gestürzt.«

      »Amen, Amen«, flötete, ihre breiten Hüften schwingend, eine von den Damen, nämlich Gants Nachbarin, Mistress Tarkinton.

      »Alkohol hat Krankheit, Armut und Leid über Hunderttausende von Heimstätten gebracht. Alkohol hat das Herz von Ehefrauen und Müttern gebrochen, Alkohol hat armen, unschuldigen Kindlein das Brot vom Munde gestohlen.«

      »Amen, Amen!«

      »Alkohol hat …« begann er wiederum, da erblickte er zu seinem Unbehagen das breite, rote Gesicht Tim O' Doyles und das backenbärtige Antlitz des Majors Ambrose Nethersole. Diese zwei prominenten Stadtväter standen nicht zwei Meter weit weg und hörten aufmerksam zu.

      »Fahr fort!« feuerte ihn Nethersole mit seinem Unkenbaß an. »Aber gib acht, daß Dir der Whisky nicht aufstößt!«

      »Bei Gott!« erklärte Tim O'Doyle und wischte sich den Kautabakspeichel aus dem Mundwinkel, »ich hab ihn so besoffen gesehn, daß er das Fenster für die Tür hielt. Wenn er kommt, stellen sie einen Extrakellner ein, um die Flaschen aufzukorken. Er gibt den Schankhaltern Trinkgelder, daß sie morgens eine Stunde früher aufmachen.«

      »Hören Sie nicht hin, meine Damen, ich bitte Sie«, sagte Gant feindselig. »Sie sind die Niedrigsten unter den Niedrigen, sie gehören zur whiskybesudelten Hefe der Menschheit, zu denen, die des Namens Mensch nicht mehr würdig sind, so tief ist die Entwicklungsstufe, auf die sie zurückgesunken sind.«

      Mit einer tiefen Verbeugung zog er den Schlapphut und trat in den Schuppen.

      »Bei Gott«, sagte Ambrose Nethersole beifällig, »das Reden hat er wenigstens nicht verlernt.«

      Es dauerte keine sieben Wochen, da jammerte Gant schon bitterlich über seinen ungestillten Durst. Mehrere Jahre lang ließ er sich das zulässige Quantum für Heimkonsum – neun Liter Whisky im Monat – aus Baltimore kommen. Und was das übrige anlangt … es waren die Tage der »Blinden Tiger«. Die Stadt war gespickt mit diesen illegalen Schankstätten, wo es hauptsächlich schlechten Roggenwhisky und den scharfdestillierten Maisbranntwein der Farmer, den »Mondschein«, gab. Gant, der Dahinsiechende, war und blieb ein Säufer.

      Ein schmales Rinnsal Lust sickerte noch trag und trübe durch das ausgetrocknete Bachbett seiner Lebensgier und verlor sich armselig in trockner, zielloser Unzucht. Hübschen, jungen Sommerwitwen in Dixieland schenkte er Geld, Unterwäsche und Seidenstrümpfe, welch letztere er den Damen persönlich in seinem staubigen, kleinen Büro anzog. Unentwegbar zärtlich lächelnd streckte Mistress Selborne das üppige Bein aus und ließ ihn die grünen, blumenbestickten Strumpfbänder, die er ihr schenkte, über Wade und Knie streifen. Mit dem verschmitzten Lächeln des Nachgenießers leckte er seinen Daumen, als er es erzählte.

      Helene war weg, und Gant vermietete das Obergeschoß des Hauses in der Woodson Street an eine Strohwitwe. Sie war neunundvierzig, hatte hochfrisiertes, hennagefärbtes Haar, ein bleiernschlaffes, tiefgefurchtes Gesicht, das sie stark schminkte. Sie hatte dicke, speckfleckige Arme, einen hochkorsettierten Busen, architektonisch auswuchtende Hüften.

      »Sieht mir aus, als wär da was zu machen«, bemerkte Gant hoffnungsvoll.

      Sie hatte einen vierzehnjährigen Sohn, einen Jungen mit olivenfarbnem, rundem Gesicht, einem weißen Körper und dünnen Beinen, der sich ständig die Fingernägel abbiß. Er hatte schwarzes Haar, sehr dunkle Augen, ein traurig-verstohlenes Wesen. Er war eingeweiht; zur gegebnen Stunde wußte er aus dem Haus zu verschwinden.

      Gant kam nun früher heim als sonst. Die Witwe räkelte sich auf der Terrasse im Schaukelstuhl. Er verbeugte sich tief, nannte sie »Madam«. Keusch wie ein Kätzchen unterhielt sie sich mit ihm. Sie machte ihm Augen. Sie war so frei, im Wohnzimmer, wo er nun schlief, aus- und einzugehen. Eines Abends trat sie bei ihm ein … Sie kam gerade aus dem Bad, roch nach teurer Seife und trug einen hochroten Kimono.

      Ein hübsches