Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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Nase.

      Sie trat näher. Mit einem lustigen Seitenblick auf ihn schlug sie den Kimono auf und zeigte Gant ihre dünnen, seidenbestrumpften Beine und die klobigen Hüften, die in blauen, gefältelten Seidenhöschen staken.

      »Hübsch, was?« zwitscherte sie. Dunkel herausfordernd. Als er einen Schritt vorwärts tat, schlüpfte sie weg. Eine Schwergewichtsmänade, die die bacchantischen Verfolger lockt. Er hatte auch ihre Brüste gesehn:

      »Ei! Und ein Paar Pippinchen!« rief er aus. Vom nächsten Morgen ab kochte sie ihm Frühstück. Eliza beobachtete die beiden von Dixieland aus mit bitteren Blicken. Er hatte kein Talent für Heimlichkeiten. Seine Morgen- und Abendbesuche in der Pension waren nicht mehr so lang, seine Tiraden nicht mehr so scharfzüngig.

      »Bilde Dir ja nicht ein«, sagte Eliza, »daß ich nicht weiß, was bei Dir im Hause vorgeht.«

      Er machte ein Schafsgesicht, grinste, leckte den Daumen. Sie versuchte zu reden, konnte nicht, bewegte lediglich die Lippen. Sie wandte sich wieder zum Herd, spießte ein Beefsteak in der Pfanne an und flappte es auf die ungebratne Seite. Sie lächelte rachsüchtig in den aufsteigenden blauen Dunst. Er stocherte sie mit plumpem Finger in die Weichen. Halb aufgebracht, halb amüsiert, zeterte sie los und entzog sich ihm:

      »Weg da! Ich kann Dich nicht um mich herum ausstehen! Es ist zu spät für solche Späße!« Sie lachte ihn höhnisch an: »Gelt, jetzt möchtest Du, daß es nicht vorbei wäre. Jetzt möchtest Du noch können?« Sie bewegte wieder die Lippen, ohne ein Wort hervorzubringen. Schließlich sagte sie: »Ich würde mich schämen. Schämen würde ich mich. Hinter Deinem Rücken lacht sich die ganze Stadt ins Fäustchen über Dich.«

      »Das lügst Du, Weib! Das lügst Du«, donnerte er großartig. Der hammerschleudernde Thor.

      Er wurde seiner neuen Liebsten bald müde. Die Entleerungen machten ihn trübselig und furchtsam. Eine Zeitlang beschenkte er die Witwe mit kleinen Summen und vergaß, die Miete von ihr zu verlangen. Seine stürmischen Schelttiraden galten jetzt ihr. Er schritt stundenlang zwischen den Grabsteinen in seiner Werkstatt auf und ab und murmelte Drohungen vor sich hin. Er hatte längst herausgefunden, daß er die alte Freiheit seines Hauses eingebüßt und sich eine tyrannische Hexe aufgeladen hatte.

      Eines Abends kam er schwer betrunken nach Haus, jagte sie aus ihrer Stube. Sie war schon entkleidet und abgeschminkt, hatte ihr künstliches Gebiß abgelegt. Sie erwischte noch schnell ihren Frisiermantel auf der Flucht. Er verfolgte sie, trieb sie in den Garten unter den großen Kirschbaum. Sie rannten um den Stamm herum, er heulte, stürzte täppisch auf sie los. Sie zitterte vor Angst, warf hastig scheue Blicke in die lauschende Nachbarschaft; sie fand Zeit, den zerknitterten Frisiermantel anzuziehen, so daß wenigstens das unzüchtige Bibbern ihrer Brüste verborgen war. Sie schrie um Hilfe. Niemand kam.

      »Du Hündin!« gellte er. »Ich bring Dich um! Du hast mein Herzblut getrunken, Du hast mich an den Rand des Abgrunds gebracht, und nun weidest Du Dich an meinem Elend und lauschst mit teuflischem Entzücken auf das Rasseln des Todes in meiner Kehle, blutdürstiges, unnatürliches, furchtbares Ungeheuer, Du!«

      Geschickt hatte sie den Baumstamm als Deckung gegen ihn benutzt. Als ihn nun die Flut der Flüche einen Augenblick ablenkte, floh sie furchtbesessen auf die Straße und suchte Zuflucht in einem Nachbarhaus. In Mistress Tarkintons Armen fand sie Aufnahme. Sie schluchzte hysterisch, die Tränen zogen Bäche über ihr armes, abgeschminktes Gesicht. Die beiden lauschten hinüber in Gants Haus. Sie hörten seine betrunknen Fußtritte, hörten, wie er mit lautem Krach Stühle in Trümmer schlug. Sie hörten seinen wüsten Fluch, als er umfiel.

      »Er wird sich töten«, rief sie. »Er weiß ja nicht, was er tut … Guter Gott!« flennte sie, »nie im Leben hat ein Mann so schreckliche Dinge zu mir gesagt.«

      Sie hörten, wie Gant abermals hinfiel. Dann wurde es still drüben im Haus. Sie erhob sich ängstlich.

      »Er ist kein böser Mensch«, flüsterte sie.

      Im Frühsommer, als Helene heimgekehrt war, wurde Eugen eines Morgens durch schlürfende Schritte und aufgeregte Reden geweckt. Der Lärm kam von der Spielhütte her. Die Spielhütte, ein Beispiel Gantscher Extravaganz, war ein kleines Einzimmerhäuschen aus Holz; sie stand im Garten, unmittelbar hinterm Haus. Gant hatte sie vor Jahren, als die Kinder noch klein waren, gebaut. Nun wurde sie nie mehr benutzt; sie war eine köstliche Zuflucht; in der kühlen, muffigen Luft dort roch es gut nach altem Tannenholz und Schmökern.

      Seit ein paar Wochen aber wohnte die kupferhäutige Annie dort. Annie war hübsch und mollig, fünfunddreißig Jahre alt. Sie war mit ihrer Herrin, Mistress Selborne, aus Süd-Carolina heraufgekommen; sie hoffte in dem Kurort eine Stelle für den Sommer zu finden. Sie war eine gute Köchin. Helene – stolz wie sie war – hatte Annie für fünf Dollar die Woche in Dienst genommen.

      Gant war an diesem Morgen früher als sonst erwacht, hatte gedankenvoll an die Decke gestarrt, hatte sich angezogen und war zu Annie in die Spielhütte geschlichen. Das laute Protestgezeter der Negerin hatte Helene geweckt. Die Tochter, von Ahnungen erfüllt, war sofort herunter gekommen. In der Waschküche fand sie Gant; er ging händeringend auf und ab. In der Spielhütte fand sie Annie, sie quengelte laut vor sich hin und packte geräuschvoll ihre Siebensachen zusammen.

      »Ich sein ein' verheirat' Frau; ich kann kein' Minut' nicht mehr hier bleiben; ich sein ein' verheirat' Frau.«

      Helene packte Gant wütend an und schüttelte ihn.

      »Du verdorbner alter Kerl!« schrie sie, »was unterstehst Du Dich!«

      »Barmherziger Gott!« greinte er und stampfte mit dem Fuß auf wie ein eigensinniges Kind. »Muß das noch auf meine alten Tage über mich kommen?!« Er ging wieder auf und ab und heulte: »Hu-hu-hu-hu! O Jesus, es ist entsetzlich, es ist furchtbar, es ist grausam, daß Du mich so heimsuchst!« Seine Verachtung für die Vernunft war parnassisch: er bezichtigte Gott, daß er ihn bloßgestellt habe, er weinte, weil er ertappt worden war.

      Helene eilte zu Annie und versuchte, die Empörte mit großen Gebärden und gutem Zureden zu beschwichtigen.

      »Komm doch, Annie, vergiß den Vorfall. Ich gebe Dir einen Dollar mehr die Woche, wenn Du bleibst.«

      »Nein, Madam«, erklärte Annie dickköpfig. »Ich kann kein' Minut' nicht mehr hier bleiben. Ich sein in Angst vor der Mann.«

      Gant hielt in seinem Auf- und Abgehen inne und lauschte gespannt nach der Spielhütte. Sooft Annie ihre bündige Absage wiederholte, stöhnte er aus der Tiefe seines Herzens auf und begann von neuem mit seiner Klage.

      Lukas erschien. Er war barfuß, gebärdete sich zappelig, trat von einem Fuß auf den andern. Er ging hinaus und guckte. Als er die starrsinnige, Hochachtung heischende Miene der Negerin sah, platzte er mit großem Wha-Wha-Wha heraus. Helene erschien vor Gant. Sie hatte sich einen Korb geholt. Nun war sie gründlich verärgert.

      »Sie wird es in der ganzen Stadt herumtratschen«, verkündigte sie aufgebracht.

      Gant verfiel in langatmiges Stöhnen. Eugen, den der Auftritt zunächst bestürzt hatte, wälzte sich quietschend vor Lachen am Boden. Ben erschien stirnrunzelnd in der Tür und fing an, kurz und verächtlich zu kichern.

      »Und natürlich wird sie Mistress Selborne die ganze Geschichte brühwarm erzählen, da kannst Du Gift drauf nehmen«, fuhr Helene fort.

      »O Du mein Gott!« flennte Gant, »warum hast Du mir dies auferlegt!«

      »Ach, scher Dich zum Teufel mit Deiner Flennerei«, knurrte Helene. Ihr Zorn schlug plötzlich um; sie spürte die Komik der Situation. Sie war erschöpft; sie lächelte ein verwegnes Lächeln.

      Eugen heulte vor Lachen, erstickte fast, bekam den Schluckauf.

      »Idiot!« fauchte Ben, hob scharf die Hand – ein Lächeln flackerte über seinen Mund – er wandte sich ab.

      In diesem Augenblick erschien Annie in der Tür: die tiefgekränkte Hochehrbarkeit in Person.

      Lukas sah allen Ernstes erst auf seinen Vater, dann auf die Negerin. Er wurde zappelig, trat von einem Fuß auf den andern.

      »Ich sein' ein verheirat' Frau«, sagte Annie. »Ich sein so