Sie hatte eine helle, reine, angenehm sommersprossige Haut; rotblondes Haar; einen dünnlippigen, witzigen Mund. Ihre Figur war knapp und kräftig; nicht mehr jung. Ihr Auftreten war energisch, distinguiert, elegant.
»Wie geht's den Mädchen, Elizabeth«, erkundigte er sich gutmütig.
Ihre Miene wurde traurig. Sie zog die Handschuhe aus.
»Deswegen kam ich hierher«, sagte sie. »Eine von ihnen ist vorige Woche gestorben.«
»Ich weiß«, sagte Gant. »Es tat mir so leid, als ich es hörte.«
»Sie war die beste von meinen Mädchen«, erklärte Elizabeth. »Alles in der Welt hätte ich für sie getan. Wir haben ja auch wirklich alles versucht«, fügte sie hinzu. »In dieser Beziehung brauche ich mir keine Vorwürfe zu machen. Ich hatte die ganze Zeit über einen Arzt und zwei Krankenschwestern im Haus.«
Sie öffnete ihre schwarzlederne Handtasche, ließ ihre Handschuhe hineinfallen und nahm ein blaugerändertes Taschentuch heraus. Sie fing an zu weinen.
»Hu-huh-huh-huh«, sagte Gant ergriffen und schüttelte den Kopf. »Zu schlimm, zu schlimm, wirklich. Kommen Sie mit in mein Büro.«
Sie gingen durch den Lagerraum und nahmen Platz. Elizabeth trocknete ihre Augen.
»Wie hieß sie denn?« fragte er.
»Wir riefen sie Lily. Ihr Name war Lillian Reed.«
»Ach! Da hab ich sie ja gekannt!« rief er aus. »Vor nicht ganz zwei Wochen hab ich noch mit ihr gesprochen.«
»Ja. Es ist schnell mit ihr gegangen«, sagte Elizabeth. »Magenblutungen, wissen Sie. Niemand ahnte, daß sie krank war, bis vorigen Mittwoch. Und Freitag war sie tot.« Sie weinte wieder.
»T-t-t-t«, gluckte Gant bedauernd. »Zu schlimm, wirklich, zu schlimm. Sie war so ein bildhübsches Kind.«
»Ich hätt sie nicht lieber haben können, wenn sie meine eigne Tochter gewesen wäre«, sagte Elizabeth.
»Wie alt war sie denn?« fragte er.
»Zweiundzwanzig«, sagte sie, wieder weinend.
»Schade, schade«, sagte er. »So jung ins Grab. Hatte sie Angehörige?«
»Niemanden, der 'nen Finger für sie rührte«, sagte Elizabeth. »Ihre Mutter starb, als sie dreizehn war. Sie stammte hier aus der Gegend, aus Beetree Fork. Und ihr Vater ist ein gemeiner alter Kerl«, fügte sie indigniert hinzu. »Er hat nie was für sie noch für sonst jemanden getan. Nicht mal zur Beerdigung ist er gekommen.«
»Furchtbar traurig das alles«, sagte er. »Und wenn man bedenkt, daß das ganze Leben noch vor ihr lag …« Er schüttelte den Kopf. Einen Augenblick lang empfand er den Triumph, den alle Menschen empfinden, wenn sie hören, daß jemand gestorben ist. Und ein Schauder überlief ihn. Er hatte Angst. Vierundsechzig.
»Und so ein feiner Kerl war sie.« Elizabeth weinte leiser. »Und so eine glänzende Zukunft. Ihr waren beßre Gelegenheiten geboten als mir, und« – sie sagte das in aller Bescheidenheit – »Sie wissen ja, daß ich's zu was gebracht habe.«
»Aber sicher! Sie sind reich, Elizabeth«, bestätigte er eindringlich. »Verdammt will ich sein, wenn ich Sie nicht für 'ne reiche Frau halte. Die Liegenschaften allein, die Sie hier in der Stadt besitzen, stellen ein Vermögen dar.«
»Nun, reich würde ich nicht sagen«, wandte sie ein. »Aber ich habe genug zum Leben, ohne daß ich 'nen Finger krumm mache, und deshalb werde ich von jetzt an die Hände in den Schoß legen.«
Sie sah ihn mit einem scheuen, selbstgefälligen Lächeln an und strich sich mit der kleinen, energischen Hand eine Haarlocke zurück. Er musterte sie aufmerksam. Mit Vergnügen glitt sein Blick an ihr hinunter. Ihre firmen, unkorsettierten Hüften zeichneten sich unter dem gutgeschnittnen Schneiderkleid ab. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen. Ihre graziösen Füße staken in zierlichen, hellbraunen Straßenschuhen. Sie war fest, kräftig, gepflegt, elegant; sie duftete leicht nach Fliederparfüm. Er sah ihr in die klaren, lichtgrauen Augen. Er sah, daß sie durchaus eine große Lady war.
»Bei Gott, Elizabeth«, sagte er. »Sind Sie eine gutaussehende Frau!«
»Ich hab's gut gehabt im Leben, und außerdem habe ich auf mich achtgegeben«, erklärte sie.
Sie hatten einander stets von Grund auf begriffen und verstanden, vom ersten Tag ihrer Bekanntschaft an. Zwischen ihnen gab es keine Entschuldigungen, keine Fragen, keine Antworten. Die Gewichtigkeit der Welt fiel von ihnen ab. Durch die Stille hörten sie das Geplätscher des Springbrunnens und helles Greisengemecker vom Stadtplatz. Er nahm ein Musterbuch vom Schreibtisch und blätterte; es zeigte bescheidne Grabmale aus Georgia-Marmor und Vermont-Granit.
»Nein«, sagte sie ungeduldig, »an so was dachte ich nicht. Ich weiß, was ich will.«
Er sah erstaunt auf. »Und das wäre?«
»Den Engel draußen am Eingang.«
Er war betroffen. Er wollte nicht. Er biß sich die Lippen. Kein Mensch wußte, wie er an dem Engel hing. Vor den Leuten nannte er ihn seinen »Weißen Elefanten« und verwünschte den Tag, an dem er ihn gekauft bitte. Sechs Jahre nun stand der Engel auf der Veranda, Wind und Wetter hatten ihm zugesetzt, er war verschmutzt. Aber er war aus Carrara in Italien gekommen. Und hielt eine steinerne Lilie in der Hand. Und die andre Hand hatte er segnend hochgehoben. Und die ganze Gestalt schwebte plump auf dem Zehenballen des einen schwindsüchtigen Fußes. Und das doofe, weiße Gesicht lächelte sanft in einer versteinten Blödigkeit.
Wenn ihn gerade die Wut packte, dann schimpfte Gant oft furchtbar über den Engel: »Du hast mich ins Elend gestürzt, ruiniert hast Du mich, Du bist der Fluch, der auf meinem schwindenden Leben lastet. Und nun willst Du mich erdrücken, entsetzlicher Quälgeist, Du schreckhaftes, Du grausames, Du unnatürliches Ungeheuer!«
Dann wieder, wenn er besoffen war, fiel er vor dem Engel auf die Knie, nannte ihn Cynthia und flehte ihn um Liebe, um Vergebung, um seinen Segen an. Und Gelächter schallte vom Stadtplatz.
»Wie steht's damit?« fragte Elizabeth. »Wollen Sie ihn nicht verkaufen?«
»Er wird Sie eine schöne Stange Geld kosten«, sagte Gant ausweichend.
»Das macht nichts«, sagte sie bestimmt. »Ich hab's ja. Wieviel ist's?«
Er schwieg. Er dachte an den Platz, den der Engel einnahm. Es gab nichts, diesen Platz wieder auszufüllen, das wußte er. Wenn dieser Engel ging, würde ein erloschner Krater in seinem Herzen sein.
»Also gut!« entschied er. »Sie können ihn für den Preis haben, den er mich gekostet hat. Vierhundertzwanzig Dollar.«
Sie nahm einen dicken Pack Banknoten aus ihrer Handtasche, zählte die Summe ab. Er schob das Geld zurück.
»Nein«, erklärte er. »Zahlen Sie mich, wenn ich die Arbeit geschafft habe und das Monument aufgestellt ist. Sie wünschen doch 'ne Inschrift, nicht wahr?«
»Ja. Hier ist der volle Name, Alter, Geburtsort und so weiter«, sagte sie und reichte ihm einen bekritzelten Briefumschlag. »Ich möchte auch einen Vers dazu, etwas, das auf ein frühverstorbenes Mädchen paßt.«
»Gewiß«, pflichtete er bei.
Er las ihr aus seinem abgegriffenen Heft ein paar Vierzeiler vor. Er fand einen, der ihr gefiel:
»Sie ging dahin in ihrer Schönheit Blüte,
Gott rief sie jung von uns, die wir sie sehr geliebt.
Wir glauben und vertraun, daß seine Lieb und Güte,
Die größer ist als unsre, sie im Himmel treu umgibt.«
Sie standen auf. Ihre elegante Gestalt reichte ihm bis zur Schulter. Während sie ihre Lederhandschuhe zuknöpfte, sah sie sich in dem kühlen, muffigen Büro um. Das abgenutzte Ledersofa nahm eine ganze Wandfläche ein; die Umrisse seines Körpers waren auf das Polster eingedrückt. Sie sah auf zu ihm. Sein Gesicht war ernst, traurig. Sie erinnerten sich.
»Lang,