Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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dieser entsetzliche Schurke!«

      Eliza aber schrieb ihrem Ältesten regelmäßig; von Zeit zu Zeit legte sie Geldscheine in die Briefe ein. Sie hoffte unendlich für ihn, hoffte gegen alle Natur, gegen alle Vernunft, gegen, die gesamte Struktur des Daseins. Freilich wagte sie nicht, ihn offen zu verteidigen und zuzugeben, daß er den Platz im Kern ihres Herzens innehabe. Aber sie zeigte jeden Brief, in dem er von Erfolgen prahlte oder von seiner allmonatlichen Auferstehung im Geiste berichtete. Sie las den albernen, mit geflügelten Worten gespickten Schwulst der versammelten Familie vor, die, meist ziemlich ungerührt,, zuhörte. Sie hielt Steves Stilblüten für Beweise seiner überlegnen Intelligenz; sie war stolz auf seine geschwollne, schnörkelige Handschrift; es gefiel ihr, daß er die geflügelten Worte in Anführungsstriche setzte.

      Liebe Mama:

      Deinen werten vom 11. lfd. Ms. zur Hand und beeile ich mich Dir zu schreiben, wie froh ich bin zu vernehmen, daß du wieder »im Land der Lebendigen« weilst, denn ich hatte schon begonnen, mir Gedanken darüber zu machen, daß es »so lange Zeit braucht zwischen zwei Labsalen«. – »Ich will Euch was sagen«, bemerkte Eliza hochmütig, »der Junge ist nicht auf den Kopf gefallen.« Helene, mit einem halb drolligen, halb verärgerten Lächeln um den großen Mund, sah Lukas an, schnitt eine Fratze und himmelte mit den Außen. Gant, den Kopf ein wenig verrenkt, war ganz Ohr. – Seit meinem letzten Schreiben haben sich Dinge günstig für mich entwickelt. Liebe Mama: Es hat den Anschein, als ob »der verlorne Sohn« eines Tages im eignen Auto heimkehren könnte . – »Höh! Was war das?« fragte Gant, worauf Eliza die Stelle nochmals las. Er leckte den Daumen und grinste wohlgefällig vor sich hin. »Wa-wa-was ist los?« stotterte Lukas. »Hat er die Ei-ei-ei-eisenbahn gekauft?« Helene lachte heiser. »Ich bin aus Glaubnixdorf«, bemerkte sie. – Der gute Anfang, Mama, ist mir schwer gefallen: jedoch war alles gegen mich und alles, was der kleine Stevie begehrte in diesem »Tränental«, war eine gute Gelegenheit sich zu beweisen. – Helene lachte in ironischem Falsett. »Alles, was der kleine Stevie begehrte«, sagte Lukas, rot vor Ärger, »wa-wa-war die ganze Welt für sich und ein pa-pa-paar Go-go-goldbergwerke o-o-o-obendrein.« – Nachdem ich mich nun endgültig auf die Beine gebracht habe, gedenke ich der Welt zu zeigen, daß ich diejenigen, welche mir in meiner »Stunde der Not« beigestanden haben, nicht vergessen habe, und der beste Freund, welchen ein Mann hat, das ist seine Mutter. – »Wo ist die Schaufel?« fragte Ben ruhig und rümpfte die Nase.

      »Der Junge schreibt einen guten Stil«, lobte Gant. »Verdammt will ich sein, wenn er nicht der Gescheiteste von der ganzen Bände ist, wenn er sich Mühe gibt.«

      »Ja«, entgegnete Lukas, »er ist so gescheit, daß Du jeden Bären glaubst, den er Dir aufbindet. Aber das Kind, das durch dick und dünn mit Di-di-dir gegangen ist, dem zo-zollst Du k-k-keine A-a-a-anerkennurig.« Er warf einen bezeichnenden Blick auf Helene, »'ne verda-da-dammte Schande!«

      »Red' nicht davon«, heischte Helene mürrisch.

      »Ja, ja …«, bemerkte Eliza gedankenvoll. Sie hielt den Brief in den gefalteten Händen und starrte, die Lippe geschürzt, glückselig träumend ins Leere, »… vielleicht ist er wirklich ein andrer Mensch geworden. Man kann nie wissen.«

      »Hoffentlich! Hoffentlich!« sagte Helene verdrießlich, »aber erst wollen wir Beweise sehn.«

      Nachher sagte sie mit hysterischer Stimme zu Lukas: »Da siehst Du's wieder, nicht wahr? Werde ich überhaupt einer Anerkennung gewürdigt? Ich: kann mich zu Tod rackern für die Alten, aber krieg: ich auch mir ein Scher-Dich-zum-Teufel dafür? Was?«

      In diesen Jahren ging Helene mit der Sattlerstochter Pearl Hines in den Süden auf Tournee. Sie sangen im Beiprogramm der Kleinstadtkintöppe; wurden durch einen Agenten in Atlanta gebucht.

      Die dralle Pearl Hines mit dem Vollmondgesicht und den Niggerlippen war immer guter Dinge. Sie sang Ragtime und Niggersongs mit natürlicher Leidenschaft, schwenkte die Hüften und bubberte mit den Brüsten dazu.

      »Ei, da kommt mein Da-daddy, ja,

      O Pop! O Pop! O-o Pop!«

      Sie verdienten manchmal ganze hundert Dollar die Woche. Sie traten in Städten auf wie: Waycross in Georgia, Greenville in Süd-Carolina, Hattisburg im Staat Mississippi, Baton Rouge in Louisiana.

      Sie trugen den großen Panzer der Unschuld. Sie waren lebenslustige, aber anständige Mädchen. Manchmal leisteten sich Lebemänner einen leisen, verletzenden Verstoß, weil sie an den Ruf glaubten, den fahrendes Volk bei den Kleinstädtern genießt. Aber im allgemeinen wurden die beiden wie Ladies behandelt.

      Für Helene und Pearl waren diese Tourneen eine vielversprechende Sache. Die Begeisterung, die ihr Gesang bei den biedern, nach Schweiß und Scholle duftenden Bürgern und Farmern auslöste, machte sie gierig auf größeren Erfolg. Sie hielten sich für Berufssoubretten, lasen die Fachzeitschriften und sahen sich schon als eine mit Lichtreklamen angekündigte, mit schwerem Geld bezahlte, auf lange Zeit in den Großstadtvaudevilles engagierte »große Nummer«.

      Pearl hatte den populären Teil des Programms, Helene den Opernteil auszufüllen. Im Licht eines roten Scheinwerfers, vor respektvoll verstummten Zuhörern, sang sie besseren Kitsch: Tostis »Goodbye«, »das End des glückselig vollkommnen Tags«, »das Rosenbauer«. Sie hatte eine große, volle Stimme mit einem metallischen Timbre. Ihre musikalische Ausbildung hatte sie von ihrer Tante Luise erhalten. Die Tante Luise, eine üppige Blondine, hatte nach ihrer Scheidung von Elmer Pentland noch ein paar Jahre in Altamont gelebt. Sie gab Musikstunden und genoß ihre dahinschwindende Blüte mit jungen Männern. Sie gehörte zu der Sorte reifer, temperamentvoller, gefährlicher Frauen, für die Helene schwärmte. Als des spitzzüngigen, spießigen Geredes über ihren Lebenswandel zu viel wurde, zog sie mit ihrer kleinen Tochter nach New York.

      Aber sie hatte gesagt: »Helene, eine Stimme wie Deine sollte für die große Oper ausgebildet werden.«

      Helene vergaß das nie. Sie träumte von Paris, Mailand und Wien, von den grellen Schlaglichtern einer Opernkarriere, der blühenden Musik, den im Diamantenfeuer blitzenden Logen, dem frenetisch tosenden Beifall. Sie glaubte sich zum Opernstar vorbestimmt. Und als nun die Nummer Gant und Hines – Programmname: »The Dixie Melody Twins« – im Zickzack durch die Südstaaten reiste, hielt sie die Erfüllung dieser heftigen, hellen, formlosen Wünsche für nähergerückt.

      Sie schrieb oft nach Hause, gewöhnlich an Gant. Ihre Briefe pochten vom großen Pulsschlag des Daseins. Die Anregung neuer Städte und füllig erfaßten Lebens sprach aus ihnen. Überall lernten sie »nette Leute« kennen – und tatsächlich überall waren gute Frauen und Mütter und brave junge Männer von Helene und Pearl begeistert. Helene war ein ungeheuer anständiger Mensch; ihre reinliche allüberzeugende Vitalität zog gute Leute an und stieß schlechtes Gesindel ab.

      Sie hatte eine Reihe junger Männer unter ihrer Herrschaft – rechtschaffne, sonnverbrannte, tüchtig trinkende, scheue Kerle. Kaum einer von ihnen wagte es je, sie zu küssen.

      Eugen wunderte sich sehr über diese belämmerten Löwen. Unter Männern waren sie jähzornig, wüst, verwegen und streitsüchtig; vor Helene benahmen sie sich schüchtern und linkisch. Noch immer war der alkoholische Stadtgeometer in Raufhändel mit gerichtlichen Nachspielen verwickelt. Ein andrer Liebhaber – von Beruf Eisenbahndetektiv –, der im Suff Negerschädel zu zertrümmern pflegte, hatte schon mehrere Männer erschossen und fand schließlich bei einer Revolverschießerei in Tennessee den Tod.

      Helene fand überall Freundschaft und Schutz. Pearls glückhafte Sinnlichkeit aber verleitete gelegentlich die Dorfgalane zu Fehlschlüssen. Mit unschuldigem Gusto sang sie:

      »Nun soll ein süßer, alter Papa kommen

      Und, ach, so lieb mit mir tun …«

      und unangenehme Typen mit angekauten Zigarren näherten sich, luden zu Kornwhisky ein und gebrauchten vertrauliche Anreden, wenn sie schließlich ein Hotelzimmer oder ein Auto zum trauten Stelldichein vorschlugen. Wenn das vorkam, war Pearl höchst betreten und schwieg. Sie wandte sich an Helene. Und Helene, den großen Mund gespannt, die Augen funkelnd, wies dann zurecht:

      »Ich versteh nicht, was Sie da meinen. Mir scheint, Sie haben sich in uns geirrt.«

      Sie