Gant und Eliza hatte er's zu danken, daß er glücklicherweise ein dominant maskuliner Typus war. Er kostete nur selten die Süßigkeit des Siegs; Furcht jedoch kannte er gut. Die Tyrannei der Kraftmeierei erschien ihm später noch so abschreckend, daß er dann – ein junger Mann anfangs zwanzig, als sein großes Knochengerüst schließlich mächtig im Fleisch stand – die Hochstapler und Dicktuer, die Prahlhänse und Großdroher, in Erinnerung des Erlittnen einfach von seinem Pfad stieß, sie zurückwarf, wahnwitzig und wild in ihre erschrocknen Gesichter blickte und sie verfluchte.
Den Juden vergaß er nie. Er dachte immer mit Scham an ihn zurück. Es dauerte viele Jahre, bis er verstand, daß diese sensitive und weibische Person, mit der er durch das furchtbare geheime Band seiner eignen Unehre verbunden war, nichts Perverses, nichts Unnatürliches, nichts Entartetes an sich hatte. Edward war gleichviel Weib wie Mann. Das war alles. Und für den Androgynen ist kein Platz unter den Boy Scouts – er muß zum Parnassus gehn.
XVIII
In den Jahren, die auf Elizas Auszug nach Dixieland folgten, hatten die unerbittlichen chemischen Prozesse der Affinität tiefe Änderungen in den Beziehungen der Gants untereinander bewirkt. Eugen war aus Helenes Obhut ganz in Bens Hände geglitten. Die Trennung war unvermeidlich. Die große Zuneigung, die Helene dem Kind bezeigt hatte, entsprang keiner körperlichen oder geistigen Wahlverwandtschaft. Sie war lediglich Ausdruck ihres großen Muttertriebs, etwas, das wie ein Katarakt von Zärtlichkeit und Grausamkeit aus ihr auf widerstandsloses, junges, plastisches Leben stürzte.
Die Zeit war vorbei, daß sie ihn hätscheln und tätscheln, ihn streicheln und ihm schmeicheln, ihn liebkosen und mit ihm tosen, ihn an sich pressen und aufs Bett werfen, ihn mit Küssen bedecken und ihn ins rosige Fleisch beißen konnte. Es lockte kein süßer, rundlicher Kinderkörper mehr … und somit hatte Eugen seine Anziehung für sie verloren. Er war hochaufgeschossen wie Unkraut, seine Glieder waren lang und schlaksig, er hatte große Füße, knochige Schultern, und sein Kopf war viel zu schwer für den schmächtigen Hals, auf dem er saß. Außerdem verschloß er sich Jahr um Jahr tiefer in sein geheimes Leben. Etwas Wildfremdes blühte in seinem Gesicht. Wenn sie ihn anredete, waren seine Augen voll vom Schatten großer Schiffe und versunkner Städte.
Und dieses geheime Leben in ihm, das sie nicht begriff, an dem sie nicht teilhaben konnte, machte sie wütend auf ihn. Ihre großen Hände mit den roten Knöcheln mußten das Leben anpacken, es puffen und streicheln, es lieben und versklaven können. Sie brauchte das. Ihre Tugenden – die Lust am Dienen, Geben, Pflegen, Amüsieren – entsprangen aus ihrer Sucht, alles Tastbare zu beherrschen.
Sie selber war unbeherrschbar. Sie lehnte alles ab, was sich nicht von ihr beherrschen ließ. Eugen in seiner Einsamkeit hätte ihr gern seinen Geist in die Sklaverei verkauft, wenn er dafür ihre Liebe, die er sich so seltsam verscherzt hatte, hätte eintauschen können. Aber er war außerstand, ihr die blühenden Ekstasen, die unmitteilbaren Phantasien, in denen er beheimatet war, zu offenbaren. Sie haßte alles Geheimnishafte. Das Mysteriöse, das Klug-Verriegelte, das Leben im Jenseitigen mit seinen unlotbaren Tiefen versetzten sie in hellen Zorn.
Von jähen Gehässigkeitsanfällen verzerrt, karikierte sie seine Mundbewegungen, seine Art den Kopf hängen zu lassen, seinen hüpfenden Känguruhgang.
»Du Schreckgespenst, Du widerlicher, kleiner Bastard! Kein Tropfen vom Blut Deines Vaters fließt in Deinen Adern. Du bist überhaupt kein Gant, Du verquerter Kerl. Du bist ganz wie der üble Greeley Pentland!«
Das behauptete sie immer wieder. Sie war eine fanatische Parteigängerin. In abergläubischer Hysterie hatte sie bereits die Familie in zwei feindliche Lager geteilt, die Gants und die Pentlands. Zu den Pentlands zählte sie Steve, Daisy und Eugen. Diese drei waren ihrer Ansicht nach kalt und selbstsüchtig. Mit freudiger Befriedigung brachte sie die ältere Schwester und den kleinen Bruder mit dem kriminellen Taugenichts Steve unter einen Hut.
Mit Lukas war Helene nun untrünnig verbunden. Das war unvermeidlich. Sie beide waren »Gants«, das heißt freigebig, fein und ehrenhaft.
Die Geschwisterliebe zwischen Helene und Lukas war episch. Sie liebten aneinander die ständige Betriebssucht, den grenzenlosen Drang zur Selbstentäußerung, das verzweifelte Bedürfnis zu dienen, zu geben, zu gelten. Sie gingen einander oft sehr auf die Nerven, aber ihre Liebe war so geschmiedet, daß sie nicht Schaden nehmen konnte. Sie sangen Preislieder aufeinander.
»Ich werde ihn schon kritisieren, wenn mir's Spaß macht«, sagte sie rauflustig. »Mir steht es zu. Aber sonst soll mal einer wagen, etwas an ihm auszusetzen! Er ist ein feiner, großzügiger Kerl. Der beste von den Jungen, das ist bombensicher.«
Ben allein schien zu keiner Gruppe zu gehören. Er bewegte sich wie ein Schemen, stand völlig außerhalb dieser leidenschaftlich-vollblütigen Parteigängerei. Aber Helene erkannte ihn als »freigebig« an. Demzufolge war er für sie »ein Gant«.
Außer der heftigen Abneigung gegen die Pentlands hatten Helene und Lukas auch Gants Anlage zur gesellschaftlichen Heuchelei geerbt. Vor allen Dingen galt es ihnen, der Welt ein gutes Gesicht zu zeigen, beliebt zu sein, viele Freunde zu haben. Überströmend sagten sie Dank, überschwenglich ergingen sie sich im Lob, widerlichsüß war ihre Schmeichelei. Sie trugen die Schlagsahne dick auf. Ihre Gereiztheiten, ihre Mißlaunen, ihre Verstimmungen sparten sie für Schaustellungen zu Hause auf. Und wenn sie jemand von Will oder Jim Pentlands Familie trafen, dann benahmen sie sich nicht nur sehr freundlich, sondern auch ein wenig unterwürfig. Geld machte Eindruck auf sie.
In der Familie war damals ständig etwas los. Steve hatte ein oder zwei Jahre vorher eine Kleinstädterin aus dem Süden des Staates Indiana geheiratet. Sie war siebenunddreißig, also zwölf Jahre älter als er, eine vierschrötige, schwerfällige Deutsche mit einer großen Nase in dem geduldig-häßlichen Gesicht. Sie war eines Sommers mit einer Jugendfreundin, einer ewigen alten Jungfer, nach Dixieland gekommen. Kurz vor der Abreise hatte sie sich von Steve verführen lassen. Im folgenden Winter war dann ihr Vater, ein kleiner Zigarrenfabrikant, gestorben. Er hinterließ ihr neuntausend Dollar in bar, sein Heim und einen Viertelanteil an dem Geschäft, das seine beiden Söhne weiterführten.
Sie hieß Margarete Lutz.
Im Frühjahr kam sie wieder nach Dixieland. An einem schläfrigen Nachmittag, als sonst niemand im Hause war, fand Eugen die beiden in der Woodson Street. Sie machten sich auf Gants Bett breit. Ganz still, Gesicht an Gesicht, die Hüften umschlungen, lagen sie da. Steves gelber Geruch war im Zimmer. Angeekelt starrte Eugen die beiden an. Er fing an, vor Wut zu zittern. Der Frühling war lau und lieblich, eine leichte Brise strich, mit Blütenduft und Teergeruch beladen. Er hatte sich so darauf gefreut, allein im kühlen Haus zu sitzen und den ganzen Nachmittag zu lesen. Aus dem Wein war Essig geworden.
Alles, was Steve anrührte, war befleckt. Eugen haßte ihn, weil er stank, weil alles, was er anrührte, stank, weil er überall Angst, Scham und Ekel hintrug, weil seine Küsse noch fauliger waren als seine Flüche, seine Flennerei noch schweinischer als seine Drohungen.
Er sah, wie, vom stinkenden Atem seines Bruders behaucht, die Haarsträhnen der Frau leise wehten.
»Was tut Ihr hier auf Papas Bett?« schrie er.
Steve machte ein dummes Gesicht, fuhr in die Höhe und packte ihn am Arm. Die Frau, spreizbeinig, wie betäubt vor sich hinstarrend, richtete sich träge auf.
»Du willst uns wohl verpetzen, was?« spuckte Steve verachtungsvoll heraus. »Zur Mama laufen und ihr's erzählen, was, Kleiner?«
Er preßte Eugens Arm fester. Eugen riß sich los.
Steve machte einen Satz, packte Eugen von hinten und blies ihm seinen faulen Atem ins Gesicht.
»Willst Du uns verraten oder nicht, Brüderchen?«
Es wurde Eugen übel.
»Laß mich los!« murmelte er. »Ich sag nichts.«
Bald darauf heirateten Steve und Margarete. Eugen schämte sich seines Bruders, wenn er ihn morgens nach dem Frühstück mit Margarete die Verandatreppe herunterkommen sah. Steve trat großsprecherisch auf, lächelte herablassend, erging sich in Anspielungen auf ein