Aber mit der Partnerschaft war es bald Schluß. Pearl Hines hatte klipp und klar bestimmte Lebensabsichten. Sie wollte heiraten, und zwar ehe sie fünfundzwanzig wurde. Helene jedoch wußte nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Für sie bedeuteten die Tourneen eine Art Selbstbefreiung. Ihr blinder Hunger nach Schönheit, Betrieb und Abwechslung trieb sie auf den Weg. Sie suchte ein Ziel.
Zwei oder drei Jahre lang bestritten Pearl und Helene ihren Unterhalt durch diese Tourneen. Sie reisten im Herbst. Im Frühjahr kamen sie wieder nach Altamont und hatten genug Geld verdient, um bis zur nächsten Saison durchzuhalten.
Bedächtig erwog Pearl während dieser Zeit mehrere Heiratsanträge, die ihr von jungen Männern gemacht wurden. Sie hatte die herzlichste Zuneigung eines Berufsbaseballspielers; er war Manager der Altamont-Mannschaft und spielte zweite Base. Er war ein zähes, schönes, junges Tier. Mitten im Spiel pflegte er wütend den dickwattierten Fanghandschuh hinzuschmeißen und streitsüchtig auf den Schiedsrichter loszurennen. Seine harte Selbstsicherheit, seine schnelle, nasale Sprechweise, sein hagerer, sonnverbrannter Körper gefielen Pearl.
Aber sie war nicht verliebt. Sie gehörte zu denen, die sich nie verlieben. Zudem wußte sie, wie weit die Einkünfte eines Ballspielers aus dem Hinterwald reichen. So heiratete sie schließlich einen schwerfälligen jungen Mann aus Jersey-City, der ein großes, gutgehendes Speditionsgeschäft besaß.
So fand die Partnerschaft der »Dixie Melody Twins« ein Ende. Helene träumte weiter von den Opernhäusern der Großstädte.
Sie entbehrte Lukas sehr. Ohne ihn kam sie sich unvollständig, unbeschirmt vor. Lukas studierte seit zwei Jahren auf dem Polytechnikum in Atlanta, im Staate Georgia. Er nahm den Kursus für Elektrotechniker. Dieser Entschluß war in ihm schon vor Jahren durch Gants Lobreden auf den schwerverdienenden Elektroingenieur Lidell erzeugt worden. Lukas versagte vollkommen. Er war viel zu undiszipliniert zum Studium. Sein Zielstreben wurde von tausend kleinen Impulsen durchbrochen. Sein Gehirn stotterte genau so wie seine Zunge. Wenn er eine Logarithmentafel aufschlug, wiederholte er blödsinnig oft die Nummer der Seite, die er suchte, und wiegelte dazu den Fuß auf dem Ballen der Ferse, so daß sein ganzer Körper vibrierte …
Sein großes verwertbares Talent war die Kunst des Verkaufens. Er besaß im höchsten Grade die Eigenschaft, die man in Amerika beim Theater und in der Geschäftswelt als »Persönlichkeit« bezeichnet. Er hatte einen natürlichen Instinkt dafür, wie man eine Ware losschlägt, und seine wilde zappelige Energie, seine erdhafte Vulgarität halfen ihm bei den Leuten. Er war nie um eine quicke, treffsichere Antwort verlegen. Seine Überredungskraft war hypnotisch; er hätte ein Vermögen damit verdienen können. Er war imstande, den Leuten die Knöpfe von der Jacke wegzuschwätzen. Zum Studieren jedoch war er zu zerstreut. Der Kalkulus und die technischen Wissenschaften hingen zu hoch für ihn. Er war kein Elektroingenieur, er war elektrische Energie.
Er hatte einen ungeheuren, grellen, prächtigen Humor. Leute, die ihn nicht kannten, waren bereits zum Kichern aufgelegt, wenn sie seiner ansichtig wurden; sie brüllten vor Lachen, wenn er den Mund auftat. Seine körperliche Schönheit war erstaunlich. Sein Kopf war wie das Haupt eines wilden Engels. Lockenstrudel leuchtenden Goldhaars umrahmten sein Gesicht. Seine Züge waren regelmäßig, männlich, heiter und offen, vom fremden Licht idiotischer Begeisterung erhellt. Selbst wenn er irritiert stotterte, wenn seine Mienen von Nervosität ganz verwirrt waren, stets war sein breiter Mund zum Lachen bereit. Und sein Lachen schallte erdhaft, hell, übermütig, albern. Es war ein geschöpflich-dämonischer Überschwang in ihm, ein unbändiges Verstehen, etwas, das nicht aus dem Hirn stammt. Der Dämon dieses Lachens kam über ihn, besaß ihn, schaltete rücksichtslos mit ihm, selbst in unerwarteten Momenten, wenn er sich alle Mühe gab, die gute Meinung, die die Leute von ihm hegten, die öffentliche Achtung und Beliebtheit, das ihm gern gespendete Lob, nach dem er lechzte, zu erhalten.
Eines Tages erklärte ihm eine alte, kirchlich gesinnte Dame liebevollen Ernstes die Dogmen des Presbyterianismus. Lukas hörte ihr aufmerksam und respektvoll zu. Von Zeit zu Zeit murmelte er ein Wort der Zustimmung. Plötzlich packte ihn der Lachteufel: es kullerte übermütig in ihm, er platzte herzhaft-überschwenglich heraus und wieherte der alten Darrte ins Gesicht. Als sie ihn, von dem verrückten Gelächter erschreckt, erstaunt anblickte, verfiel er in ein schallendes »Wha-Wha-Wha«, lachte noch wilder, unsinniger, unvernünftiger, gurgelte Rachenlaute heraus und stocherte sie mit den Fingern in die Rippen.
Eliza, die gelegentlich die allvernichtende Wirkung dieses Lachens spürte, klopfte ihm auf die Hände, wenn er sie neckte, schürzte pikiert die Lippe und erklärte schließlich, von immer neuen Wha-Whas zornig entrüstet: »Wahrhaftig und Gott, Junge, Du benimmst Dich wie ein richtiggehender Idiot. An Deiner Stelle würde ich mich schämen, ja, schämen würde ich mich.« Sie schüttelte mitleidig den Kopf über ihn. Aber was sie auch tat, es stachelte ihn zu immer wilderem Gelächter auf.
Diese Eigenschaft war ungewöhnlich. Lukas besaß etwas, das viel wertvoller ist als Intelligenz … Es war ihm gegeben, das Leben als Burleske zu sehen. Sein zertrümmerndes, idiotisches Wha-Wha-Wha war seine eigentliche Antwort auf die falschen Vorspiegelungen, die Intrigen, die Heucheleien der Welt. Aber er besaß seinen Dämon nicht; sein Dämon besaß ihn, zeitweise. Hätte der Dämon ihn ganz und dauernd besessen, dann wäre er ein erstaunlich aufrichtiger und klarer Mensch gewesen. Aber wenn er nachdachte, dachte er wie ein Kind, heuchlerisch und sentimental, ganz in den unaufrichtigen Vorgeblichkeiten von Kindern befangen.
Sein Gesicht war wie eine Kirche, in der Schönheit und Humor getraut werden. Das Fremde und das Bekannte waren ein und dasselbe für ihn. Leute, die ihn ansahen, waren überrascht; sie sahen da etwas, von dem sie nie ein Wort gehört hatten, das ihnen jedoch von jeher bekannt war.
Helene und Pearl kamen auf ihren Fahrten ein- oder zweimal in der Saison nach Atlanta und besuchten ihn. Im Frühling waren sie zur Gastopernwoche da. Lukas hatte für den ersten Abend Anstellung als Statist – als Speerträger in der »Aïda« – gefunden. Den Rest der Woche passierte er den Theaterportier als »Lukia Gantio, ein Mitglied der Truppe«.
Die großen Füße in Schnürsandalen, die nackten Beine dichtbehaart, eine Korkzieherlocke unterm Blechhelm hervorquellend, so latschte er an jenem Aïda-Abend in seinem Kostüm herum. Er stand komisch auf seinen Speer gestützt, sein Gesicht leuchtete vor Übermut. Caruso, der seinen Auftritt erwartete, musterte ihn von Zeit zu Zeit mit einem breiten Lazzarone-Lächeln.
»Höh, wer seind Sie, wos?« fragte Caruso und musterte ihn vom Scheitel zu Sohle.
»Wa-wa-was?« sagte er, »kennen Sie Ihre eignen Soldaten nicht, wenn sie vor Ihnen stehn?«
»Ein Teufel von ein Soldat seind Sie«, sagte Caruso.
»Wha! Wha! Wha!« blökte Lukas. Mit Anstrengung hielt er seine Hände, die so gern in Rippen stocherten, zurück.
Seine Sommerferien verbrachte er in Altamont. Er fand Anstellung bei einer Firma, die einen großen Trakt Baugelände in Lose aufgeteilt hatte und die Parzellen meistbietend versteigerte. Lukas stand inmitten der Interessenten auf dem Besichtigungsautobus, feuerte, die Hand an den Mund gelegt, die Leute zum Bieten an. Eindringlich, inständig, zumunternd erschallte seine Stimme … Diese Beschäftigung berauschte ihn geradezu.
Der Wagen hielt vor einem abgesteckten Baugrundstück:
»Immer ran, meine Herren, das ist Los Nummer 17 der schönen, aufblühenden Villenvorstadt Heimwald. Wir liefern den Wald, Sie stellen das Heim hinein. Dieses hübsche Baugrundstück, meine Herren, ist sechzig Meter tief, da haben Sie genug Platz für einen Garten und ein Hinterhäuschen. Ziehen Sie Ihre Maiskolben auf eigner Scholle im schönen Heimwald! Sie haben hier vierzig Meter Straßenfront, an einer großartigen, neuen, makadamisierten Straße.«
»Höh!