Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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lächelte über den großen Mann Steve. Ihr stolz-wehes, traurig-wohlgefälliges Lächeln. Der Erstgeborne.

      »Jawohl«, behauptete er von sich. »Der Steve hat ausgesorgt. Er wohnt jetzt in der Wohlstandsgasse. Nun kommen die Menschenkenner, die es vorausgesagt haben, nicht wahr? Nun setzen sie das große Lächeln auf, nun strecken sie die Hand mit Freut-mich-sehr hin, wenn er die Straße entlang geweht kommt, nicht wahr? Jaja, erst haben sie mich madig gemacht, und jetzt rühmen sie mich, ja, ja.«

      »Ich will Euch was sagen«, bemerkte Eliza, »er ist nicht auf den Kopf gefallen. Er ist so hell wie der Nächstbeste.«

      Heller noch, dachte sie. Stolzlächelnd.

      Steve kaufte sich neue Anzüge, gelbe Schuhe, gestreifte Seidenhemden, einen breitkrempigen Strohhut mit blau weißrotem Band. Er schwang die Schultern in großem Bogen, wenn er dahinschritt, schnippte nonchalant mit den Fingern, lächelte großmütig-herablassend die Leute an, die ihn grüßten. Helene ärgerte und amüsierte sich abwechselnd darüber; sie lachte über sein absurdes Truthahngehaben. Aber Margarete Lutz schloß sie sofort ins Herz. Sie nannte sie »mein Honig«. Vor lauter Warmherzigkeit wurden ihr die Augen feucht, wenn sie der Deutschen in das geduldige, scheue, etwas verängstigte Gesicht sah. Sie umarmte und hätschelte sie.

      »Mach Dir keine Gedanken, mein Honig«, sagte sie. »Wenn er Dich nicht anständig behandelt, dann laß es uns wissen. Wir werden ihn schon ins Geleis bringen.«

      »Steve ist ein guter Junge«, sagte Margarete, »wenn er nur nicht trinkt. Solang er nüchtern ist, ist er tadellos.« Sie brach in Tränen aus.

      »Jaja, der Fluch des Alkohols«, sagte Eliza und schüttelte trübselig den Kopf. »Der hat mehr Heime zerstört als irgend sonst ein Fluch.«

      Später bemerkte Helene zu Eliza: »Na, Schönheitspreise wird sie wohl nicht gewinnen, soviel ist sicher.«

      »Kannst Du Gift drauf nehmen«, bestätigte Eliza. »… Was sich der Steve bloß bei dieser Heirat denkt … ich meine, wie er sich die Ehe vorstellt. Sie ist mindestens zehn Jahre älter als er«, fuhr sie fort.

      Helene wurde sofort scharf. »Na, ich würde sagen, daß er sehr gut mit ihr fährt. Tu doch nicht so, als ob Dein Herr Sohn ein Tugendpreis wäre! Die ganze Stadt weiß, was für ein Früchtchen er ist.« Sie lachte ironisch. »Guter Gott, Steve schneidet glänzend ab mit ihr, sie ist ein anständiger Kerl.«

      »Nun«, sagte Eliza entschieden, »hoffen wir, daß es nun besser mit ihm wird. Und daß er sein neues Leben gut anfängt. Er hat mir versprochen, daß er sich alle Müh geben will.«

      »Ja, hoffen wir!« sagte Helene hart. »Hoffen wir! Hoffen wir! Es ist wahrhaftig höchste Zeit.«

      Ihre Abneigung gegen Steve war angeboren und eingefleischt. Für sie zählte er zu den Pentlands. Tatsächlich aber war Steve ganz in Gants Art geschlagen. All seine Schwächen waren die seines Vaters. Aber die Sauberkeit, die zähe, feste Fiber, das Format und die gefühlvolle Reumut des Alten hatte er nicht mitabbekommen. In ihrem Herzen wußte Helene das ganz genau; es verschärfte ihre Abneigung. Gant lehnte diesen Sohn entschieden ab, und sie nahm an dieser Ablehnung leidenschaftlich Anteil. Aber ihr Gefühl war – wie alle ihre Gefühle – durch freundschaftliches Mitleid, durch Duldsamkeit gebrochen.

      »Wie denkst Du Dir eigentlich Dein Leben, Steve, nachdem Du selbst jetzt eine Familie gründest?« fragte sie.

      »Stevie hat ausgesorgt«, sagte er wohlgefällig lächelnd, »nun sollen andere sich Gedanken machen.« Er hob die gelbe Hand zum Mund und tat einen Lungenzug aus der angefeuchteten Zigarette.

      »Guter Gott! Steve!« fuhr sie ihn gereizt an. »Reiß Dich doch zusammen! Gib Dir Müh, ein Mann zu sein. Margarete ist eine anständige Frau. Du wirst doch nicht erwarten, daß sie Dich aushält.«

      »Was geht das Dich an, blutiger Heiland!« knurrte Steve. »Hab ich Dich etwa um Rat gefragt? Ihr seid alle gegen mich. Keins von Euch hat ein gutes Wort für mich gehabt, als es mir mies ging, und jetzt muckt ihr auf, weil ich im Fett schwimme.«

      Er lebte seit Jahren im Glauben, unschuldig verfolgt zu sein. Sein Versagen zu Haus schrieb er der Mißgunst, dem Übelwollen und der Untreue seiner Angehörigen zu; sein Versagen unterwegs erklärte er mit der Tücke und dem Neid einer feindlichen Macht, die er »Die Welt« nannte.

      »Nein«, sagte er und sog wieder an seiner Zigarette, »mach Du Dir mal keine Gedanken um den Stevie. Er hat das von Dir nicht nötig.«

      Er zog eine Rolle Banknoten aus der Tasche und zeigte ihr ein paar Zwanziger.

      »Wo ich das herhabe, da gibt's noch 'nen ganzen Haufen. Und noch was will ich Dir sagen: den kleinen Stevie wird man bald zu den Großen zählen, wenn das Einkommen versteuert wird. Ich hab da ein paar Geschäfte in der Abwicklung, das wird den armen Schluckern hier in Altamont zeigen, wo sie hingehören. Verstehst Du?« fragte er.

      Ben hatte während dieses Gesprächs auf dem Klavierstuhl gesessen und finster die Tastatur angestarrt. Er summte leis eine Melodie vor sich hin und versuchte, sie mit einem Finger nachzuklimpern. Nun schnickte er den Kopf zur Seite. Ein abfälliges Lächeln flackerte über seinen Mund.

      »Ich habe gehört, daß Mister Vanderbilt bereits auf unsern Nabob eifersüchtig ist«, sagte er zu Helene.

      Helene kicherte ironisch.

      »Du bildest Dir wohl ein, Du hättest die Weisheit mit dem Schöpflöffel gefressen, was?« raunzte Steve plump. »Na, man merkt nichts davon, daß es dich vorwärts bringt.«

      Ben sah ihn stirnrunzelnd an. Ohne es zu wissen, rümpfte er die Nase.

      »Na, hoffentlich werden Sie Ihre alten Freunde nicht vergessen, Mister Rockefeller«, sagte er mit ominöser Liebenswürdigkeit. »Ich möchte gern Vizepräsident in Ihrer Company werden, falls die Stelle noch frei ist.«

      Dann wandte er sich wieder zum Klavier und klimperte seine Melodie.

      »Schon gut! Lach nur, wenn's Dir Spaß macht!« protzte Steve. »Aber hör mal: hast Du etwa schon bemerkt, daß der kleine Steve als Schreiber für fünfzehn Dollar die Woche in einem Zeitungsbüro arbeitet? Oder …«, fügte er hinzu, »daß er in Amüsiertheatern auftritt und singt?«

      Helenes grobknochiges Gesicht wurde rot vor Wut. Sie hatte angefangen, gemeinsam mit der Sattlerstochter Pearl Hines in Vaudevilles und Kinos zu singen.

      »Besser wär's, wenn Du Dich nicht so mausig machtest, Steve«, fuhr sie wütend los. »Such Dir erst mal Arbeit! Hör erst mal mit Deiner Nichtstuerei auf! So einer wie Du, der sich Tag und Nacht in den Kneipen herumtreibt und das Geld seiner Frau versäuft, der hat es gerade nötig, das Maul aufzureißen!«

      »Aber um Gottes willen, Helene!« rief Ben gereizt und drehte sich wieder um. »Hör ihm doch nicht zu! Merkst Du's denn nicht, daß er nicht richtig im Kopf ist?«

      Im Laufe des Sommers fing Steve an, wieder schwer zu trinken. Sein verfaultes, seit Jahren vernachlässigtes Gebiß fing gleichzeitig an zu schmerzen. Wild vor Zahnweh und von billigem Whisky war er überzeugt, daß Eliza und Margarete an seinem Jammer schuld seien. Er stellte ihnen nach und brüllte ihnen die Ohren voll, wenn er sie allein traf. Er beschimpfte sie in der gemeinsten Weise und behauptete, daß sie seinen Organismus vergiftet hätten.

      Gegen zwei oder drei Uhr nachts erwachte er vor Zahnweh, lief flennend im Haus herum und bettelte um Hilfe. Eliza schickte ihn zu Spargh ins Hotel oder zu McGuire in die Privatwohnung. Die Doktoren, halbwach und mürrisch, spritzten ihm Morphium in den Oberarm. Das half; er konnte schlafen.

      Einmal kam er kurz vorm Nachtessen heim nach Dixieland, die Hände auf die schmerzhaften Kinnbacken gepreßt. Eliza stand vor der heißen Pfanne am glühenden Herd. Er verfluchte sie, weil sie ihn geboren habe, verfluchte sie, weil sie ihn habe zahnen lassen, verfluchte sie, weil sie des Wohlwollens, der Mutterliebe, der Menschengüte bar sei.

      Sie beherrschte sich mühsam.

      »Mach, daß Du hier rauskommst!« befahl sie, weiß im Gesicht. »Du weißt nicht, was Du sprichst. Der verdammte Alkohol macht Dich so gemein.«

      Sie