»Pfui!« rief sie keusch aus, als sie bemerkte, daß Eugen hinstarrte. »Dreh Dich um, Junge!« befahl sie. Sie kicherte und rieb sich die Nase. Das Mattgrün zusammengefalteter Dollarnoten glomm durch den Strumpf. Sie zog den Pack Scheine heraus.
»Na, Ich nehme an, daß Sie da ein bißchen Geld nötig haben«, sagte Eliza, schälte zwei Zehndollarscheine aus dem Pack und reichte sie Mistress Morgan.
»Danke, Madam«, sagte Mistress Morgan und nahm das Geld.
»Sie können hier im Haus bleiben, bis Sie wieder arbeitsfähig sind«, sagte Eliza. »Ich kenne einen guten Arzt.«
»Um Himmels willen, Mama«, schnob Helene, »wie in aller Welt kriegst Du solche Leute ins Haus?«
»Barmherziger Gott!« heulte Gant, »was für Gezeug Du hier aufnimmst! Blinde, Lahme, Verrückte, Bastarde!«
Nichtsdestoweniger, wenn er Mistress Morgan traf, machte er ihr eine tiefe Verbeugung und grüßte aufs liebenswürdigste: »Wie geht's, Madam?«
Nachher sagte er zu Helene:
»Ich will Dir was sagen, sie ist ein feines Weibstück!«
»Hahaha!« lachte Helene in ironischem Falsett und gab ihm einen Rippenstoß: »Gelt, da möchtest Du mal dran, was?«
»Das walte Gott«, gestand er aufgelaunt, leckte den Daumen und grinste Eliza verschmitzt an. »Ei, sie hat da vorn so ein Paar Pippinchen!«
Eliza lächelte bitter ins brutzelnde Fett.
»Hm!« sagte sie verächtlich. »Mir ist's gleich, mit wievielen er herumzieht. Alte Narren sind die schlimmsten. Aber gib acht, daß Du's nicht zu scharf treibst; das ist ein Spiel, das zu Zweien gespielt wird.«
»Hahahaha!« lachte Helene dünn. »Nun ist sie wütend.«. Helene lud Mistress Morgan oft in Gants Haus und kochte großartig für sie. Sie brachte ihr Konfitüren und parfümierte Seifen aus der Stadt mit.
Bei der Geburt wurde McGuire zugezogen. Eugen saß im Erdgeschoß und hörte, was im Zimmer oben vorging: ruhige Geschäftigkeit, das leise Stöhnen der Gebärenden; schließlich ein hoher, schriller Schrei. Eliza hatte ständig Kessel mit siedendem Wasser auf dem Gasherd. Von Zeit zu Zeit eilte sie mit einem dampfenden Kessel in den ersten Stock; gleich darauf kam sie langsam die Treppe wieder herunter; sie blieb auf jeder Stufe stehen und horchte.
Helene rumorte mit den Kesseln in der Küche herum und tobte aufgebracht gegen unbekannte Verleumder: »Nach allem! Was wissen wir denn eigentlich Genaues über sie?« sagte sie herausfordernd. »Niemand kann behaupten, daß sie nicht verheiratet ist! Womöglich hat sie wirklich 'nen Gatten. Die Leute sollen sich in acht nehmen, niemand hat ein Recht, solche Sachen herumzutratschen!«
Frostig-klare Nacht. Nicht sehr kalt. Eugen stand neben Ben auf der Veranda. Über dem schwarzen Umriß der östlichen Berge wölbte sich tief die Schale des Himmels mit den fernen, glitzernden Sternen. Die Lichter in den Nachbarhäusern waren von einer juwelenhaften Helle. Ben rauchte. Im ersten Stock schrie das Neugeborene. Eugen kicherte. Ben hob den Arm, wie um zuzuschlagen, ließ die Hand sinken, lächelte. Im »Judenschloß«, einer großen Villa auf dem Hügel, zitterten die Lichter. Stimmen kamen, frostfern, durch die Nacht.
Tiefer Schoß, dunkle Blume. Das Verborgne, die geheime Frucht, vom schweren indianischen Blute genährt. Schoßnacht, brütende Dunkelheit: heimlich blüht es ins Leben.
Mistress Morgan reiste ab, als ihr Kind zwei Wochen alt war. Es war ein kleines, braunhäutiges Bübchen mit einem gnomenhaften schwarzen Haarschopf und sehr schwarzen, glänzenden Augen. Ganz wie ein kleiner Indianer.
Zum Abschied schenkte Eliza der Mutter zwanzig Dollar.
»Wo gehen Sie hin?« fragte sie.
»Ich hab Leute in Sevier«, sagte Mistress Morgan.
Sie ging die Straße hinauf. Sie trug einen billigen Handkoffer, imitierte Krokodilhaut. Das Baby an ihrer Schulter wackelte mit dem Kopf und sah munter zurück mit den glänzenden, pechschwarzen Augen. Eliza winkte ihm mit der Hand nach, sie lächelte mit wehem Mund. Dann wandte sie sich ins Haus, schnuffelte. Ihre Augen waren feucht.
Eugen wunderte sich, warum die Mutter nach Dixieland gekommen war.
Eliza war gut zu einem kleinen, schnurrbärtigen Mann. Er hatte eine Frau und eine neunjährige Tochter. Er war Ober in einem Hotel, zur Zeit ohne Anstellung. Er wohnte in Dixieland, bis er über hundert Dollar schuldete. Er spaltete das Holz zum Feueranmachen säuberlich auf, schleppte Kohlen, tat notwendige Ausbesserungsarbeiten als Zimmermann und Anstreicher.
Eliza mochte ihn gern. Er war ganz das, was sie »stubenrein«, was sie »einen guten Familienvater« nannte. Häusliche Männer gefielen ihr stets. Und der kleine Mann war sehr gütig, sehr zahm. Eugen konnte ihn gut leiden, weil er vorzüglichen Kaffee kochte. Eliza machte ihm keinerlei Scherereien wegen dem Geld. Schließlich fand er Anstellung mit Unterkunft in einem Hotel. Er zahlte Eliza jeden Taler, den er schuldete.
Eugen blieb gewöhnlich über Mittag in der Schule und kam um drei oder vier Uhr nachmittags – manchmal freilich wurde es Abend – nach Hause. Eliza war ärgerlich über sein Ausbleiben; sie setzte ihm das verbrutzelte Essen, das sie in der Herdkachel warmgestellt hatte, vor: fettäugige Gemüsesuppe aus Kohl, Bohnen und Tomaten, Braten oder Huhn, einen Teller kalte Limabohnen, Krautsalat, Biskuits und Kaffee.
Die Schule war ihm Lebensmittelpunkt, und Margaret Leonard war seine geistige Mutter geworden. Er liebte es sehr, nachmittags dortzubleiben, wenn der Schwärm der Schüler sich verzogen hatte. Da konnte er frei im alten Haus herumstreifen oder unter den großen alten Bäumen wandeln. Der Hügel war herrlich einsam. Der Wind wehte, Eicheln prasselten zu Boden. Welkes Laub wurde zusammengerecht und verbrannt.
Er schmökerte, verlor sich heißhungrig in ein Buch, bis ihn Margaret entdeckte und an die frische Luft hinausjagte. Er ging dann zu dem geebneten Basketball-Spielplatz, der am Eingang des Grundstücks neben Bischof Rapers Garten lag. Hier trieb er im Abendrot Sport, rannte, spielte mit einem Kameraden Ball, freute sich an seiner zunehmenden Geschwindigkeit und Gewandtheit, an der Sicherheit, mit der er den Ball in den Korb schoß.
Margaret Leonard wachte mit beinah krankhaftem Eifer über seiner Gesundheit. Ständig mahnte und warnte sie ihn in diesem Sinn. »Komm mal her, Eugen«, pflegte sie zu rufen. »Ich muß Dich 'ne Minute sprechen.«
Etwas verängstigt und sehr nervös setzte er sich zu ihr.
»Wieviel Stunden schläfst Du?« fragte sie.
Hoffnungsvoll log er. Neun Stunden. Das würde wohl so richtig sein.
»Schlafe zehn Stunden, Junge«, befahl sie ihm. »Schau her, Du kannst es Dir einfach nicht leisten, mit Deiner Gesundheit Raubbau zu treiben. Das rächt sich bitter und läßt sich nie wieder gutmachen. Guter Gott! Ich weiß wahrhaftig, wovon ich da spreche. Ich habe den Preis bezahlen müssen, kann ich Dir sagen. Wirklich, Eugen, in einer Welt wie der unseren ist jemand, der nicht gesund ist, so gut wie verloren.«
»Aber mir fehlt doch gar nichts«, begehrte er verzweifelt auf.
»Du bist nicht gut bei Kräften, Eugen. Du hast kein Fleisch auf den Knochen. Und die Ringe unter Deinen Augen machen mir Sorge. Lebst Du regelmäßig?«
Er lebte nicht regelmäßig; er haßte Regelmäßigkeit. Er war viel zu sehr an die Aufregungen und Dauerkrisen in seiner Familie gewöhnt. Ein ruhiges, geordnetes Heimleben hatte er nie gekannt. Vor der Regelmäßigkeit fürchtete er sich. Sie bedeutete Langeweile und Öde für ihn. Und außerdem liebte er die Mitternachtsstunde.
Aber nun versprach er gehorsam, eine strenge Tageseinteilung einzuhalten: regelmäßig zu essen, zu schlafen, zu arbeiten, Leibesübungen zu treiben.
In der Mannschaft zu spielen hatte er immer noch nicht gelernt. Er fürchtete die anderen, konnte sie nicht leiden, mißtraute ihnen. Und beneidete sie um ihre robuste Kraft. Aber da er Margarets Augen auf sich ruhen wußte, stürzte er sich mit zusammengebißnen Zähnen in das wilde Rudel der Spielenden. Mit zerschlagnen Gliedern, Scham