Wenn keine Versteigerungen stattfanden, stand Lukas auf dem Bahnsteig und überschüttete ankommende Touristen mit beredsamen Einladungen nach Dixieland. Er ragte dominierend über das ganze reklametüchtige Babel der Hotelportiers, der Boardinghouse-Ehemänner und der schwarzen Gepäckträger.
»Ich geb' Dir einen Dollar für jeden Kunden, den Du mir hertrommelst«, sprach Eliza.
»Ach laß doch, nicht der Rede wert!« Lukas, der Bescheidne. Lukas, der Großmütige.
»Er wäre imstand, das Hemd, das er auf dem Leib trägt, zu verschenken«, bemerkte Gant.
Ein feiner Junge, ein guter Sohn. Auf der Veranda saß Eliza, erruhte sich von der Plackerei des heißen Tages in der nächtlichen Kühle und aß Eiskrem, die er ihr aus der Stadt mitgebracht hatte.
Er war dahinterher. Er hausierte mit patentierten Waschbrettern, mit gesetzlich geschützten Kartoffelschälern, mit Wanzenpulver. Den Negern hängte er Haaröl auf, das unter Garantie krulliges Gelock in glattes Gesträhn verwandeln sollte. Er verkaufte ihnen einen religiösen Öldruck: – schwarze und weiße Engel, dunkelschimmernde und hellhäutige Cherubim segelten im Gleitflug um einen unparteiischen und gekreuzigten Heiland; die Unterschrift hieß: Gott liebt sie beide. Sie gingen wie warme Wecken.
Außerdem war er Chauffeur. Er fuhr Gants Wagen, einen Ford, Fünfsitzer, Modell 1913. Der Alte hatte ihn in einer irren, inspirierten Stunde gekauft, sprach die halbe Zeit von ihm. Dieser Gegenstand des Zorns und der Prahlsucht erfüllte Gant mit Schrecken; er verdammte seine rasche Handlungsweise. Man muß wissen, das war, ehe noch jedermann einen Wagen hatte. Die Betriebskosten, die Reparaturrechnungen versetzten ihn schier in Wahnsinn. Er rannte im Zimmer auf und ab, fluchte und flennte, weinte und betete.
»Keine Minute Frieden ist mir gegönnt, seit ich den Karren kaufte! Ein verdammniswürdiges, ein blutsaugendes Ungeheuer ist er! Nicht genug, daß er mir das Lebensmark abgezapft hat, er wird mich auch noch auf den Armenfriedhof bringen. Es ist furchtbar, es ist entsetzlich, es ist grausam, auf seine alten Tage so heimgesucht zu werden. Oh, du barmherziger Gott!« – mit zornrollenden Augen sah er den beschämten Lukas an. »Wie hoch ist die Rechnung, Sohn? Was?«
»Reg Dich doch nicht so auf, Papa«, sagte Lukas beschwichtigend und trat von einem Fuß auf den andern. »Es sind nur 8 Dollar und 92 Cent.«
»Jesus, Du mein Gott!« schrie Gant. »Ich bin ruiniert!« Er seufzte, schnuffelte, schritt wieder auf und ab wie ein Tier im Käfig.
Angenehm aber war's, in die Dämmerung oder in die kühlen Sommernächte hinaus zu fahren. Da hatte man Eliza an seiner Seite oder eine seiner Töchter. Man rauchte ein gutes Kraut von einem Glimmstengel, man streckte den langen Leib auf dem gepolsterten Rücksitz aus, man rollte durch die duftige Landschaft, durch die langen, dunklen Straßen der Stadt.
Lukas war ein nervöser, zerstreuter, wilder Fahrer. Seine Zappeligkeit übertrug sich auf die Blechkutsche. Er fluchte am Steuerrad, bremste plötzlich und brach in ein wütendes Tuh-Tuh-Tuh aus, wenn der Wagen daraufhin stoppte. Wenn ein anderes Auto entgegen kam, gab Gant vom Rücksitz her lauten Alarm; fluchend und flehend mahnte er den Sohn zur Vorsicht.
Wenn es spät wurde und die Straßen verstummten, dann kam der Teufel über den Chauffeur Lukas. Er fuhr eine lange Hügelallee hinunter, brach plötzlich in ein irrsinniges Gelächter aus, hing sich übers Steuerrad, gab Vollgas, und sein idiotisches Wha-Wha-Wha schallte in die Nacht als Antwort auf Gants Verwünschungen und Gebete. Und bergab mit mörderischer Geschwindigkeit sauste das Gefährt. Lukas brüllte vor Lust, wenn sie an der blinden Gefahr der Straßenkreuzungen vorüberschossen.
»Gottverdammter Schuft! Halt! Halt!« gellte Gant. »Ich laß Dich ins Gefängnis werfen, Du Bankert!«
»Wha! Wha!« Das Lachen überschlug sich in ein irres Falsett.
Daisy, die gerade auf ein paar Wochen zur Sommerfrische da war, ward eiskalt vor Entsetzen. Sie preßte das Jüngste ihres alljährigen Nachwuchses an die Brust und stöhnte melodramatisch:
»Ich bitte Dich, um meiner Familie willen, um meiner armen, mutterlosen Kinder willen – –«
»Wha! Wha! Wha!«
»Ausgeburt der Hölle!« schrie Gant und fing an zu weinen. »Grausames, verbrecherisches Ungeheuer! Unser Hirn wird an einem Baumstamm hängen …«
… Mit einer schnellen Wendung flitzten sie vor einem Auto vorbei, das aus einer Seitenstraße kam und mit kreischenden Bremsen in letzter Sekunde gestoppt hatte.
»Verdammter Schuft!« heulte Gant, beugte sich nach vorn und packte Lukas mit seinen großen Händen an der Gurgel. Lukas ließ den Wagen noch ein Stück mit irrsinniger Geschwindigkeit dahinsputen. Mit einem Schreckensgeplärr fiel Gant in seinen Sitz zurück.
An Sonntagen machten sie Touren. Oft fuhren sie die 33 Kilometer nach Reynoldsville. Es war ein häßlicher Kurort. Der Gestank der ankommenden und abfahrenden Automobile, hing schwer über der breiten Hauptstraße. Da kamen und gingen Leute aus verschiedenen Staaten. Von Süden herauf, aus Süd-Carolina und Georgia kamen Baumwollfarmer und kleine Kaufleute mit ihren Familien in verbeulten, mit rotem Lehmsandstaub bedeckten Wagen. Sie aßen ein schweres Mittagessen – Brathuhn mit Mais und grünen Bohnen – in einem der Hotelrestaurants … saßen dann eine Stunde in einer Drogerie über kühlen, kohlensauren Getränken und Eiskrem mit Gelee und Nußsplittern … guckten die glücklichen Sommerfrischler und die reifen Jungfrauen in ihren kühlen, leichten Kleidern an … fuhren dann ein bißchen in der Stadt herum … und kehrten schließlich wieder heim in die Staubwindwolken und die Knallhitze der südlichen Ebne. Neuland.
Jungfrauen aus dem Süden, fließend die weichen, reifen Kurven ihrer Körper, langgezogen und träg ihre Aussprache, … von ihnen waren die Sommerveranden erfüllt.
Dieser Lukas war ein Goldkerl. Ein Liebling war er. Ein großherziger, freimütiger Bursche. Entzückend, geradezu hinreißend war er. Frauen hatten ihn gern, sie lachten ihn an, sie zupften ihn an den goldnen Locken. Mit sentimentaler Zärtlichkeit liebte er Kinder, nämlich Mädchen von vierzehn, fünfzehn Jahren. Er hegte hochromantische Empfindungen für Delia, Mistress Selbornes älteste Tochter. Er brachte ihr Geschenke, war abwechselnd zärtlich und gereizt mit ihr. Eines Nachts auf der Terrasse vor Gants Haus – der Augustmond schien und die reifenden Trauben dufteten – streichelte er Delia, während Helene im Wohnzimmer sang.
Er streichelte sie leise, er lehnte seinen Kopf über sie, er sagte, er möchte ihn so gern an ihre »B-b-b-brüste« betten. Eugen beobachtete die beiden mit bitterem, giftgeschwollnem Herzen. Er wollte das Mädchen für sich haben, sie war dumm, aber sie hatte den wissenden Körper, das schwebende Lächeln ihrer Mutter. Mehr als Delia freilich begehrte er Mistress Seiborne; er phantasierte noch leidenschaftlich über sie; aber ihr Wesen war ja in Delia wieder Fleisch geworden. Infolgedessen benahm er sich stolz, ablehnend, kalt und albern vor den beiden. Sie konnten ihn nicht leiden.
Neidisch, mit angenagtem Herzen, bewachte er Lukas, wenn er Mistress Selborne den Hof machte. Lukas benahm sich so außergewöhnlich ergeben vor ihr, daß selbst Helene verdrossen und manchmal sogar eifersüchtig wurde. Und jede Nacht, sei es in Gants Haus oder in Dixieland, hörte Eugen ihr üppig quellendes Lachen voll von Zärtlichkeit, Hingabe, Geheimnis. Manchmal hockte er in Elizas Haus auf der Treppe und wartete, bis sie um ein oder zwei Uhr nachts heimkam. Wenn sie ihn im Dunkeln anstieß, schrie er leis erschreckt auf. Im ruppigsten Ton brachte er seine Entschuldigung vor und ging dann mit heftig pochendem Herzen und brennendem Gesicht zu Bett.
»Ach ja«, dachte er dann in seiner grünen Moralität von seinem Bruder Lukas,