Er schickte den Brief ab. Als der Deckel über dem Briefkastenschlitz zufiel, verkrampfte sich sein Gesicht. Er lag wach und wand sich vor Scham und Reue über seine schulbübische Torheit. Sie hatte ihn abermals geschlagen.
XXXIV
Eugen kehrte auf die letzten vierzehn Tage vor Universitätsbeginn nach Altamont zurück. Die Stadt und die Nation gärten von der Hefe des Kriegs. Das Land wurde in ein riesiges Heerlager verwandelt. Aus Universitäten wurden Trainingcamps für Offiziere. Jedermann »tat sein Bißchen«.
Es war eine armselige Kursaison gewesen. Eugen fand Dixieland fast leer, bis auf die Handvoll halbregelmäßiger Besucher und die Dauergäste. Mistress Pert war da, süß, liebenswürdig und ein bißchen faseriger als sonst. Und Miss Newman war da, eine neurotische alte Jungfer mit einem Spatzengesicht, die mit der Zeit Elizas inoffizielle Assistentin im Hausbetrieb geworden war.
Und Gant war da. Er hatte endgültig sein Heim in der Woodson Street aufgegeben; es war vermietet, und er hauste in einem großen Hinterzimmer in Dixieland – ein bißchen wächserner, ein bißchen wehleidiger, ein bißchen schwächer als zuvor.
Und Ben war da.
Ben war vierzehn Tage vor Eugen heimgekehrt. Er war abermals von der Musterungskommission zurückgewiesen worden, war endgültig untauglich für den Dienst im Heer oder bei der Flotte erklärt. Er hatte über Nacht seine Stelle in der Tabakstadt aufgegeben und war stumm und mürrisch nach Haus gefahren. Er war dünner als je, sah mehr denn je wie aus altem Elfenbein geschnitzt aus. Ganz leis schlich er im Haus herum, rauchte unzählige Zigaretten, fluchte kurz und knurrig, verzweifelt über die Vergeblichkeit des Daseins. Von seiner heruntergerunzelten Stirn war die alte Sicherheit geschwunden; sein altes, ärgerliches Gebrumm hatte er vergessen; sein leises, verächtliches Lachen, in dem sich so viel Zärtlichkeit versteckt hatte, lachte er nicht mehr. Er war von einem maßvollen, aber innerlich wütenden Wahnsinn besessen.
Während der zwei kurzen Wochen vor seiner Rückkehr auf die Universität hauste Eugen mit ihm zusammen im Obergeschoß in einem kleinen Stübchen mit einer Schlafaltane. Und der stille Ben redete; er redete sich aus einem leisen, heftigen Knurren in eine helle, heulende Wut, in bittre Verwünschungen, in unerbittlichen Haß. Seine Stimme schrillte vor Leidenschaft über die nachtschlafene, herbstbesäuselte Welt.
»Was hast Du denn mit Dir angefangen, Du närrischer Tropf?« fing er an, als er die abgehagerten Rippen des Jungen sah. »Du siehst wie 'ne Vogelscheuche aus.«
»Es geht schon wieder«, sagte Eugen. »Ich hatte eine Zeitlang nichts zu essen. Aber ich hab nicht heimgeschrieben«, fügte er stolz hinzu. »Sie bilden sich ein, ich könne nicht ohne sie bestehn, aber ich kann es, den Beweis habe ich erbracht«, fügte er stolz hinzu. »Ich hab sie nicht um Hilfe gebeten und bin sogar mit eignem Geld heimgekommen. Guck mal!« Er zog eine Rolle Banknoten aus der Tasche und faltete sie stolz auf.
»Ach, wer will denn was von Deinem lausigen Kleingeld wissen?« gellte Ben zornig. »Du Hanswurst! Da kommst Du heim und siehst wie ein Toter aus und spielst Dich auf, als hättest Du wer weiß was für eine Großtat vollbracht! Was hast Du schon geschafft? Du hast Dich zum Affen gemacht, weiter nichts!«
»Ich hab mich selbst durchgebracht!« schrie Eugen grollend. »Ja! Das hab ich fertig gebracht!« Bens Vorwurf hatte ihn verwundet; es war, als hätte ihn ein Skorpion gestochen.
»Bäh!« Ben rümpfte gehässig die Nase. »Du kleiner Tor! Genau das haben ja die Alten gewollt! Rede Dir doch nicht ein, daß Du ihnen ein Schnippchen geschlagen hättest! Wirklich, nur das nicht! Ihnen ist es verdammt schnuppe, ob Du verreckst oder nicht, solang es sie kein Geld kostet. Warum spielst Du Dich also auf? Dazu hast Du erst Grund, wenn Du ihnen Geld aus dem Beutel gelockt hast.«
Die Ellenbogen aufgestützt, lange Lungenzüge rauchend, bitter schweigend lag er da. Dann, als er sich ein wenig beruhigt hatte, fuhr er fort:
»Nein, Eugen. Locke ihnen das Geld aus der Tasche, lotse es ihnen ab. Entreiße es ihnen auf jede Art. Zwinge sie, damit rauszurücken. Bettle sie an. Nimm es einfach. Stiehl es. Bloß: sieh unbedingt zu, daß Du es kriegst. Wenn Du es ihnen läßt, dann verrottet es. Nimm es ihnen ab und mach Dich aus dem Staub damit. Geh weg und komm nie wieder zurück. Zum Teufel mit ihnen, zum Teufel!« gellte er.
Eliza war lautlos die Treppe heraufgekommen, um die Lichter auszuknipsen; sie hatte eine Zeitlang vor der Tür gestanden, nun klopfte sie leis an und trat ein. Einen zerrissenen Sweater über einem unbestimmbaren Gelump von Unterzeug, die Hände gefaltet, das Gesicht weiß und bekümmert stand sie da und starrte. Sie schürzte vorwurfsvoll die Lippe und schüttelte den Kopf.
»Kinder«, sagte sie, »es ist Schlafenszeit. Meine Gäste werden sich beschweren über Euer lautes Gerede.«
»Pah!« sagte Ben gehässig lachend, »zum Teufel mit ihnen!«
»Kind, Kind, wirklich«, quengelte sie, »Du wirst uns ruinieren! Müßt Ihr da draußen auf der Altane Licht brennen?« Argwöhnisch sah sie hinaus. »Was in aller Welt stellt Ihr Euch eigentlich vor. Wie könnt Ihr nur so viel Strom verbrauchen?«
»Ach, nun hör Dir das an, bitte!« sagte Ben und schnickte den Kopf hoch mit einem höhnischen Lachen.
»Ich kann es mir nicht leisten, alle diese Rechnungen zu bezahlen«, erklärte Eliza zänkisch. »Bestimmt nicht!« Sie schüttelte nachdrucksvoll den Kopf. »Ihr braucht Euch nicht einzubilden, daß ich es kann. Ich dulde es nicht! Wir alle müssen sparen!«
»Um Gottes willen!« höhnte Ben. »Sparen! Wofür denn! Damit Du das Geld dem alten Doktor Doak für ein Baugrundstück geben kannst?!«
»Nun, Du hast es gar nicht nötig, Dich aufs hohe Roß zu setzen«, sagte Eliza. »Du brauchst die Rechnungen nicht zu bezahlen, sonst würdest Du ganz anders reden. Ich höre so was nicht gern. Du hast jeden Pfennig, den Du je verdient hast, vergeudet, weil Du Dir nie über den Wert eines Dollars klar geworden bist.«
»Aha!« sagte er. »Der Wert eines Dollars! Bei Gott, ich kenne ihn besser als Du! Jedenfalls aber habe ich für meinen Dollar was gehabt. Und was hast Du gehabt? Sag mir's, ich möchte es wissen. Zur Hölle! Wozu ist Dein Geld denn gut gewesen?« gellte er.
»Schimpfe, so lang Dirs Spaß macht«, sagte Eliza streng. »Aber wenn Dein Vater und ich nicht gesorgt hätten, dann hättest Du kein eignes Dach überm Kopf. Dafür plage ich mich auf meine alten Tage! Das ist der Dank!« Sie brach in Tränen aus. »Undank! Undank!« flennte sie.
»Undank!« Er rümpfte die Nase. »Wofür sollte ich dankbar sein? Was haben Du und der Alte mir je gegeben? Seit ich zwölf bin, habt Ihr Euch den Teufe! um mich geschert. Nicht 'nen Nickel habt Ihr mir gegönnt. Schau Dir da Deinen Jüngsten an! Ihr habt ihn im Land herumreisen lassen wie einen Irren! Ist es Dir in diesem ganzen Sommer auch nur eingefallen, ihm einmal eine Karte zu schreiben? Hast Du gewußt, wo er sich herumgetrieben hat? Hast Du überhaupt nur eine einzige verfluchte Sekunde danach gefragt, so lang sich die Möglichkeit bot, an Deinen lausigen Kostgängern fünfzig Cent zu verdienen?«
»Undank!« zischte sie heiser und schüttelte streng und gebieterisch den Kopf. »Ein Tag der Abrechnung kommt!«
»Um Gottes willen, nun hör Dir das an, bitte!« sagte er geringschätzig lachend. Er rauchte einen letzten Zug und drückte seine Zigarette aus. Dann sagte er ganz gefaßt: »Nein, Mama! Du hast wirklich herzlich wenig getan, wofür wir Dir Dank schulden müßten. Uns Ältere hast Du wild herumlaufen lassen, und der Kleine hier ist unter Drogenschluckern und Straßenweibern aufgewachsen. Du hast mit jedem Pfennig geknausert und hast Dein ganzes Geld in Grund und Boden gesteckt, wo es keinem Menschen was genützt hat. So brauchst Du Dich nicht zu wundern, wenn Deine Kinder nicht dankbar sind.«
»Ein Sohn, der so zu seiner Mutter spricht«, sagte Eliza bissig, »mit dem muß es ein schlimmes Ende nehmen. Warte nur ab!«
»Zur Hölle!« höhnte er. Hart starrten sie einander an. Dann wandte er sich plötzlich ab, angewidert, runzelte die Stirn, die Reue stach ihn.
»Also