Er trug sie zu ihrem Bett. Dann kniete er neben ihr nieder, umschlang sie, preßte sie an sich.
»Guthacht, Liebste, Gutnacht! Gib mir 'nen Gutnachtkuß. Liebst Du mich?«
»Ja.« Sie küßte ihn. »Gutnacht, Liebster. Klettre nicht zum Fenster raus. Du könntest fallen.«
Aber er stieg durchs Fenster und sprang zu seiner Altane herüber. Lange Zeit lag er wach, in einem stillen Fieber. Sein Herz schlug hart an die Rippen. Allmählich kroch der warme Schlummer über ihn. Das junge Platanenlaub rauschte, ganz fern krähte ein Hahn, das Gespenst eines Hundes heulte. Er schlief.
Er erwachte, als die heiße, helle Sonne auf das zeltne Schirmdach der Schlafaltane prallte. Er haßte es, im Sonnenlicht aufzuwachen. Später einmal würde er in einem großen Raum schlafen, immer kühl und dunkel, vorm Fenster Bäume und Kletterpflanzen oder die Einbuchtung einer Bergwand. Er zog sich an, seine Kleider waren noch feucht vom Nachttau. Als er herunterkam, fand er Gant auf der Terrasse. Der Alte sah elend aus; er wippte müde in einem Schaukelstuhl, die Hand auf der Krücke des Spazierstocks, mit dem er den Stuhl in Bewegung setzte.
»Guten Morgen«, sagte Eugen. »Wie geht's?«
Gant stöhnte. Seine Augen flackerten unbehaglich.
»Barmherziger Gott! Ich werde für meine Sünden gestraft.«
»Es wird bald wieder besser werden«, sagte Eugen. »Hast Du gefrühstückt?«
»Ich konnte nichts runter kriegen, der Bissen blieb mir im Hals stecken«, behauptete Gant, der mächtig gefuttert hatte. »Und wie steht's mit Deiner Hand, Sohn?« fragte er demütig.
»Ach das? Ganz in Ordnung«, sagte Eugen. »Wer hat Dir denn etwas davon gesagt?«
»Sie hat es gesagt. Sie behauptet, ich hätte Dich an der Hand verwundet«, sagte Gant bekümmert.
»Ach was! Nein!« sagte Eugen geärgert. »Nicht der Rede wert. Nur 'ne Schrunde.«
Gant lehnte sich zur Seite. Ohne aufzublicken tätschelte er die unverletzte Hand seines Sohns.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich bin ein kranker Mann. Brauchst Du Geld?«
»Nein«, sagte Eugen verlegen. »Ich hab alles, was ich brauche.«
»Komm heut mal rauf auf mein Büro, dann werd ich Dir Geld geben«, sagte Gant. »Armer Junge, ich befürchte, Du bist nicht gut gestellt.«
Statt dessen wartete Eugen, bis Laura James von ihrem morgendlichen Besuch im städtischen Schwimmbad zurückkehrte. Sie kam, den Badeanzug in der einen und verschiedne kleine Päckchen in der andren Hand. Weitere Pakete trafen ein. Sie bezahlte die schwarzen Lieferjungen und unterschrieb die Empfangsbestätigungen.
»Du mußt 'nen Haufen Geld haben, Laura«, sagte er. »Du kaufst Dir fast täglich Sachen, nicht wahr?«
»Mein Papa schlägt manchmal Krach«, gestand sie. »Aber ich kaufe so gern Kleider. Ich gebe mein ganzes Geld für Staat aus.«
»Was hast Du nun vor?«
»Nichts – was Dir paßt. Es ist so ein schöner Tag, um etwas zu unternehmen, nicht?«
»ja, ein herrlicher Tag zum Nichtstun. Möchtest Du einen großen Spaziergang machen, Laura?«
»Mit Dir! Furchtbar gern!« sagte Laura James.
»Das ist ein Gedanke, mein Mädchen! Das ist ein Gedanke!« mimte er in burlesker Begeisterung. »Wir werden allein irgendwohin pilgern, und wir werden was zu essen mitnehmen«, fügte er gelüstig hinzu.
Laura ging auf ihr Zimmer, um sich ein Paar festere Schuhe anzuziehn. Eugen ging in die Küche.
»Hast Du 'ne Schuhschachtel für mich?« fragte er Eliza.
»Wozu?« fragte sie mißtrauisch.
»Ich muß auf die Bank, und da brauch ich 'ne große Schachtel, um meine Ersparnisse zu transportieren«, bemerkte er ironisch. Dann aber sagte er freimütig: »Ich geh auf 'nen Picknick.«
»Huh? Hah? Was sagst Du da?« sagte Eliza. »Picknick? Mit wem? Mit dem Mädchen?«
»Nein, nein«, tat er wichtig, »mit Präsident Wilson, dem König von England und Deinem Freund, dem Chininkönig Doktor Doak. Wir wollen 'ne Limonade zusammen trinken, und ich hab versprochen, die Zitronen mitzubringen.«
»Ich kann es beschwören, Junge«, quengelte Eliza, »das gefällt mir gar nicht, daß Du so einfach fortläufst, wenn ich Dich brauche. Du solltest für mich auf die Bank einzahlen gehn, und die Telephonrechnung solltest Du erledigen. Die Leute werden mir den Apparat sperren, wenn ich das Geld nicht heute schicke.«
»O Mama, um Gottes willen!« rief er aus. »Du brauchst mich immer dann, wenn ich mal weggehn möchte. Laß die Leute mal warten, einen Tag noch können sie sich wirklich gedulden.«
»Ei, aber die Telephonrechnung ist ja längst fällig!« murrte sie. »Nun denn, da ist also eine.« Sie fischte eine Schuhschachtel aus dem Gerümpel, das auf dem obersten Brett eines eingebauten Küchengestells herumlag.
»Hast Du was zu essen?«
»Das werden wir besorgen«, sagte er und ging.
Sie gingen den Hügel hinunter und traten in den kleinen Kramladen an der Woodson Street, unterhalb von Gants Haus. Sie kauften Salzkeks, Weißmehlhartback, Erdnußbutter, Johannisbeergelee, Pickels in Flaschen und eine große Scheibe fetten, gelben Käse. Der alte Jude murmelte etwas in seinen Rabbinerbart; es klang wie ein Zauber gegen den Dybbuk. Eugen paßte auf, daß der Alte mit seinen schmutzigen Händen die Speisen nicht anrührte.
Auf ihrem Weg bergan verweilten sie ein paar Minuten in Gants Haus. Helene und Ben waren im Speisezimmer. Ben frühstückte gerade. Stirnrunzelnd trank er seinen Kaffee. Wie gewöhnlich verschmähte er Speck und Eier; er wandte sich fast angeekelt davon ab. Helene bestand darauf, belegte Brote und hartgesottne Eier zum Picknickvorrat beizusteuern. Die beiden Frauen gingen in die Küche. Engen setzte sich zu Ben und trank eine Tasse Kaffee.
»O-o mein Gott!« sagte Ben, verdrossen gähnend. Er zündete eine Zigarette an. »Wie geht's dem Alten heut morgen?«
»Er ist soweit in Ordnung, scheint mir. Er konnte zum Frühstück nicht essen, behauptet er.«
»Hat er was zu den Kostgängern gesagt?«
»Ja. Er nannte sie verdammte Schufte, Bankerte aus dem Gebirg oder so was.«
Ben kicherte leis.
»Hat er Dich an der Hand verletzt? Zeig mal!«
»Nein. Nichts zu sehn. Nur 'ne Schrunde«, sagte Eugen und hob das verbundne Handgelenk.
»Er hat Dich nicht geschlagen, oder doch?« fragte Ben streng.
»Nein, natürlich nicht. Er war halt besoffen. Und heut früh tat es ihm leid.«
»Ja«, sagte Ben, »es tut ihm immer leid, nachher, wenn er die ganze Hölle heraufbeschworen hat.«
Er rauchte tiefe Lungenzüge mit einer Hingabe, als wäre der Tabakrauch ein mächtiges, betäubendes Rauschgift für ihn.
»Wie ist's Dir eigentlich diesmal auf der Universität ergangen?« fragte er alsbald.
»Mit dem Arbeiten gut. Bei den Abschlußprüfungen hab ich tadellos abgeschnitten«, sagte Eugen. Es fiel ihm schwer zu antworten. »Oder meinst Du das andre? Nun, in diesem Frühjahr ging es besser als am Anfang.«
»Du meinst als letzten Herbst?«
Eugen nickte.
»Was war eigentlich los?« fragte Ben, die Braue finster gerückt. »Haben Dich die anderen aufgezogen?«
»Ja«, gestand Eugen kleinlaut.
»Warum?« fragte Ben wild. »Dachten sie, Du wärst nicht gut genug für sie? Haben sie Dich von oben herab behandelt? Oder was war's?«
»Nein«, sagte Eugen. Er war über und über errötet. »Das hatte gar nichts damit zu tun. Ich glaub, ich sehe komisch aus. Verstehst Du? Mir