Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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ärgerlich, »wann hast Du Dir das letzte Mal die Haare schneiden lassen? Bildest Du Dir vielleicht ein, Du wärst der Wilde Mann aus Borneo?«

      »Ich kann Friseure nicht ausstehn!« sagte Eugen wütend. »Deswegen! Widerlich, wenn sie einem mit ihren dreckigen Fingern um den Mund rumfahren! Wen geht's denn was an, wenn ich mir das Haar nicht schneiden lasse?«

      »Ein Mann wird nach seinem Äußeren beurteilt«, erklärte Ben einsichtsvoll. »Ich habe vor kurzem in der Saturday Evening Post einen Artikel von einem führenden Businessman gelesen. Er sagte, daß er einem Kerl immer erst aufs Schuhwerk guckt, eh er ihn einstellt.«

      Bens Stimme wurde seicht und flach; er sprach diese bewundernswürdigen Meinungen ernst und zögernd und ohne rechte Überzeugung aus, ganz so wie er las. Eugen krampfte sich das Herz zusammen, als sein stolzer Kondor das schale Gerede gerissener Millionäre nachplapperte, als wäre er ein gelehriger Papagei in einer Jahrmarktsbude. Ben ließ nun eine Predigt vom Stapel, darüber, wie es ein junger Mann vorwärts bringen könne. Es lag etwas Rührendes in seiner Bemühung. Es war, als suche er mit wunden, geblendeten Augen hinter all dem eine Lösung auf ein Rätsel, die er nicht finden könne. Der Geist eines Fremdlings, eines Einsamen suchte da Annäherungswege und Zugänge zum Leben, zum Erfolg, zur Geselligkeit, zur Stellung. Es war, als säße in Groß-New-York ein lombardischer Einwanderer und versuchte, die Neue Welt zu enträtseln, indem er den Weltalmanach Buchstaben um Buchstaben entzifferte. Es war, als versuche ein Holzfäller, der mitten im Winter in seiner Hütte eingesperrt sitzt, die Symptome und Heilmittel gegen eine furchtbare, dunkle Krankheit, die ihn angefallen hat, in einem Handbuch für Hauskuren zu finden.

      »Hat Dir der Alte Geld genug geschickt?« fragte Ben. »Konntest Du Dich neben den andern halten? Du weißt, er kann sich's leisten. Er braucht weiß Gott nicht zu knausern. Sieh zu, daß er mit den Dollars rausrückt!«

      »Ich hatte genug zum Auskommen«, sagte Eugen.

      »Jetzt ist die Zeit, jetzt brauchst Du Geld! Nicht später!« erklärte Ben. »Sieh ja zu, daß er für Deine Ausbildung aufkommt. Wir leben im Zeitalter der Spezialisation. Überall werden Leute gebraucht, die eine Universität absolviert haben.«

      »Ja«, sagte Eugen. Gehorsam, gleichgültig. Die stereotypen Weisheiten prallten an ihm ab. Das sprachlose, das andere Ich sah.

      »Also, es kommt für Dich darauf an, daß Dir eine gute Ausbildung zuteil wird. Alle großen Männer – Ford, Edison, Rockefeller – gleichgültig, ob sie selber studiert haben oder nicht, sagen, daß es einem im Leben hilft.«

      »Warum bist Du nicht selber gegangen?« fragte Eugen neugierig.

      »Ich hatte niemanden, der mich drauf aufmerksam machte«, erklärte Ben. »Außerdem hätte mir der Alte kein Geld gegeben. Und jetzt ist's zu spät.«

      Er schwieg eine Weile, rauchte.

      »Weißt Du eigentlich, daß ich einen Kursus für Reklametechnik nehme?« fragte er grinsend.

      »Nein. Wo denn?«

      »Durch die Korrespondenzhochschule«, sagte Ben. »Jede Woche kriege ich meine Aufgabe. Ich weiß nicht«, – gestand er merkwürdig lachend, so als ob er sich schäme, davon zu berichten, »aber ich muß ziemlich begabt sein. Ich kriege jedesmal glänzende Zensuren, achtundneunzig oder hundert Punkte. Ich krieg ein Diplom, wenn ich den Kurs beende.«

      Dem jüngeren Bruder wurde es schwarz vor den Augen. Er wußte nicht warum. Etwas schnürte ihm die Kehle zu. Er senkte den Kopf und suchte in seinen Taschen nach Zigaretten. Schließlich bemerkte er:

      »Ich freu mich drüber, Ben. Hoffentlich beendest Du den Kurs.«

      »Weißt Du«, erklärte Ben ernsthaft, »aus dieser Korrespondenzhochschule sind ein paar glänzende Geschäftsleute hervorgegangen. Ich kann Dir mal schwarz auf weiß Bestätigungen zeigen. Tatsächlich, Männer, die mit nichts anfingen und nun große Gehälter als Reklamechefs beziehn.«

      »Hoffentlich glückt's Dir auch«, sagte Eugen.

      »Na siehst Du«, sagte Ben grinsend, »Du bist nicht der einzige Hochschüler in der Familie.« Er schwieg und rauchte. Dann sagte er plötzlich grimmig ernst: »Du bist die letzte Hoffnung, Eugen. Wir anderen werden es nie zu was bringen. Sieh zu, daß Du die Universität absolvierst, und wenn Du das Geld stehlen mußt. Trag Deinen Kopf hoch! Laß Dich nicht unterkriegen! Du taugst mehr als diese lächerlichen Knirpse von Studenten, die hier in den Ferien rumlaufen.« Aufgeregt sprang er auf. »Laß Dich nicht von diesen Kerlen auslachen! Nimm das erste verdammte Ding, das Dir zur Hand kommt, und schmeiß es ihnen in die Fresse. Verstanden?!« In seiner Wut ergriff er das Tranchiermesser, das auf dem Tisch lag, und schwang es durch die Luft.

      »Ja«, sagte Eugen verlegen. »Jetzt geht's schon. Am Anfang hab ich eben nicht Bescheid gewußt.«

      »Du bist hoffentlich verständig genug, die alten Säue allein zu lassen«, sagte Ben streng. Eugen antwortete nicht. »Man kann sich nicht mit Huren abgeben und zu was taugen, verstehst Du? Und außerdem kann man sich alle möglichen Krankheiten dabei holen.« Er schwieg. Dann sagte er ganz ruhig. »Das Mädchen da sieht immer sehr nett aus. Aber um Gottes willen, richte Dich anständig und sauber her! Frauen, weißt Du, merken so was. Saubere Fingernägel, gebügelte Anzüge. Hast Du Geld?«

      »Alles, was ich brauche«, sagte Eugen mit einem nervösen Blick nach der Tür. »Laß doch, um Himmels willen, laß doch!«

      »Steck das ein, kleiner Schafskopf«, sagte Ben ärgerlich und drückte ihm einen Geldschein in die Hand. »Geld kann man immer brauchen. Heb es auf, bis Du's nötig hast.«

      Aber die Berge waren herrlich! Nach Westen zu aufgebaut, eine natürliche Festung. Planvoll. Drunten lag die Stadt auf dem Plateau, ein unsinnig hingebreitetes, gespreiztes Wirrsal von Baulichkeiten. Planlos. Da war nichts, was der Zeit widerstehen konnte. Nichts. Keine Idee dahinter. Ach, dachte Eugen, die siebte Schicht von oben war das Troja, wo Helene lebte; drum grub Schliemann es aus.

      Sie stiegen weiter bergan, gingen über den Bergsattel. Sie blickten zurück auf die weiße Straße, die sich in Korkzieherkurven an der Hügelflanke hochwand. Der Wald fing an.

      Der Tag war wie Gold und Saphire. Über das Land flog ein huschiges Blitzen und Blinken, es war, wie wenn die Sonne auf grüner, bewegter See blitzt und blinkt. Ein warmer Sommerwind blies. Er klang in den Blumen, sang im Gras. Er jagte dahin, und die Erde stöhnte unter ihm wie Demeter, die weise und liebende, die hochbrüstige, mächtige, schwangre Göttin stöhnt. Ein Hund bellte im Tal, im Wind zerschellte der Laut. Kuhglocken läuteten. Im dichten Wald, der nun unter ihnen lag, flöteten und zwitscherten die Vögel. Ein Specht hämmerte am Stamm einer vom Blitz zerspellten Kastanie. Der blaue Golf des Himmels war überweht mit lichten, bauschigen Wolken, einer Flotte schneller Galeeren, die ihren fliehenden Schatten auf die Berge warfen.

      Eugen war blind vor Liebe und Verlangen. Der Becher seines Herzens war voll des Wunders und schäumte über. Es überfiel ihn und machte ihn schwach. Er griff nach Lauras kühler Hand. Sie standen zusammen, Bein an Bein, als wären sie einander ins Fleisch genietet.

      Sie gingen nun ein Stück bergab, auf das kleine nächste Tälchen zu. Der Wald war wie eine hochgewölbte, grüne Kirche. Die Vogellaute fielen wie Pflaumen. Ein großer Falter mit blausamtnen, gold- und scharlachgestreiften Flügeln schwebte durch die Sonnenkringel und taumelte schließlich auf einen blühenden Hundsholzbusch. Rechts und links von dem schmalen Abkürzungspfad, aus dem dichten Unterholz kamen schnell wie Kugelschatten die kleinen, hurtigen Geräusche von flitzenden Vögeln. Eine Ringelnatter, grüner als nasses Moos, nicht länger als ein Schuhband und nicht dicker als der kleine Finger einer Frau, schoß über den Pfad, die kleinen Augen hellrot vor Entsetzen, die winzige, gespaltne Zunge vorgeschnellt wie ein elektrischer Funke. Laura schrie auf. Eugen griff nach einem Stein, von einer jähen Lust gepackt, das kleine Geschöpf zu vernichten. Die alte Schlangenfurcht überkam sie, wie etwas Schönes, Furchtbares, Übernatürliches. Die Natter verschwand im Gebüsch. Eugen ließ beschämt den Stein fallen. »Sie tun Dir nichts«, sagte er.

      Sie gingen weiter, traten aus dem Wald, trafen oberhalb des lieblichen Bergtals auf die Straße. Dieses Bergtal erweiterte sich gegen Süden in ein reiches Eden aus Feld- und Weideland. Kleine Häuser