»Wieso, ei, wieso? Ich weiß überhaupt nicht, wovon Du sprichst, Junge«, sagte Eliza ärgerlich. »Wenn ich nicht versucht hätte, ein bißchen was zusammenzubringen, dann hättet Ihr nicht mal ein eignes Dach überm Kopf, denn Dein Papa, dessen kannst Du versichert sein, hätte alles vergeudet.«
»Ein eignes Dach überm Kopf!« gellte er irrlachend. »Guter Gott! Wir haben ja nicht mal ein eignes Bett! Nicht mal ein eignes Zimmer! Nicht mal 'ne Steppdecke, die nicht von uns genommen werden kann, um diesen Pöbel zu wärmen, der hier auf der Terrasse rumräkelt und knurrt.«
»Hör mal, Du kannst über meine Hausgäste schimpfen, solang es Dir beliebt …«, begann Eliza streng.
»Nein, das kann ich nicht«, unterbrach er. »Ich habe nicht die Kraft and den Atem dazu.«
Eliza fing an zu weinen.
»Ich hab mein Bestes getan«, sagte sie. »Ich hätte Euch ein Heim bereitet, wenn ich gekonnt hätte. Nach Grovers Tod war ich zu allem bereit, aber Dein Papa hat mich keine Minute in Frieden gelassen. Kein Mensch weiß, was ich durchgemacht habe. Kein Mensch, Kind. Kein einziger Mensch.«
Im Mondlicht sah er ihr zu einer häßlichen Kummergrimasse verzognes Gesicht. Er wußte, es stimmte, was sie gesagt hatte.
»Es ist schon gut, Mama«, sagte er schmerzlich. »Vergiß drauf! Ich weiß es.«
Sie ergriff dankbar seine Hand und lehnte ihr weißes, verzerrtes Gesicht an seine Schulter. Es war die Gebärde eines Kindes, eines Kindes, das um Liebe und Mitleid und Zärtlichkeit bittet. Es schnitt ihm ins Herz.
»Nicht, Mama«, bat er, »bitte nicht!«
»Kein Mensch weiß es«, sagte Eliza. »Kein Mensch. Ich brauche auch jemanden. Ich habe ein schweres Leben gehabt, Sohn, ein Leben voll Schmerz und voll Unordnung.« Langsam, ganz wie ein Kind wieder, wischte sie sich die nassen, müden Augen mit dem Handrücken.
O weh, dachte er, und das Herz verkrampfte sich ihm vor Schmerz und Reue, eines Tags wird sie tot sein, und ich werde immer an dies denken. Immer an dies. An dies.
Sie schwiegen eine Weile. Innig hielt er ihre rauhe Hand und küßte sie.
»Also, ich will Dir was sagen«, begann Eliza wieder. Sie war nun frohmütig und zum Prophezeien aufgelegt. »Ich denke nicht daran, mich hier wie ein Sklave für ein paar Hausgäste abzuplagen. Sie brauchen sich das nicht einzubilden. Ich werde mich zur Ruhe setzen und das Leben so leicht nehmen wie sie.« Sie blinzelte ihn verschmitzt an. »Wenn Du das nächstemal heimkommst, werde ich vielleicht irr einem großen, schönen Haus im Doak Part wohnen. Ich besitze das beste Baugrundstück in der ganzen Villenkolonie.« Sie lachte. »Ei, ich habe das Geschäft mit dem Doktor Doak persönlich gemacht … er wollte keinem seiner Agenten mit mir trauen …«, und nun erzählte sie in ihrer langatmigen, umschweifigen Art, völlig absorbiert von der Sache, bei kleinsten Kleinigkeiten verweilend, sich öfter wiederholend, wie sie den Kauf des Grundstücks mit dem wackern Chininkönig Doktor Doak getätigt hatte, und sie vergaß nicht, die dazugehörigen, gleichzeitigen Phänomene zu erwähnen und zu berichten, was Vögel, Bienen, Blumen, Sonne, Wolken, Hunde, Kühe und andre Menschen derweil getan hatten. Das gefiel ihr. Sie war glücklich.
Am Ende verfiel sie in ein nachdenkliches Schweigen, und dann sagte sie: »Also, es kann sein; daß ich das tue. Ich möchte gerne ein Haus haben, wo meine Kinder zu mir zu Besuch kommen und ihre Freunde mitbringen können.«
»Ja«, sagte Eugen. »Ja,, das war schön. Du sollst Dich nicht Dein ganzes Leben lang plagen.«
Ihre glückselige Fabel machte ihm Spaß. Eine Weile lang glaubte er fast an das Mirakel ihrer zukünftigen Umkehr, obschon die Geschichte dieses Plans eine alte Sache für ihn war.
»Ich hoffe, Du tust es wirklich«, sagte er. »Es wäre so schön. Aber laß uns jetzt zu Bett gehn, Mama, es ist spät geworden.« Er stand auf. »Ich geh schlafen.«
»Ja, Sohn, da hast Du recht«, sagte sie und erhob sich. »Du mußt ins Bett. Also gute Nacht!« Sie küßten einander mit einer Liebe, die dies eine Mal von aller Bitterkeit reingewaschen war. Eliza trat vor ihm ins dunkle Haus.
Aber ehe er zu Bett ging, erschien er nochmals in der Küche, um sich Streichhölzer zu holen. Da stand sie am Bügelbrett, rechts und links einen großen Haufen eingespritzter Wäsche. Auf seinen anklagenden Blick hin erklärte sie hastig:
»Ich geh auch gleich ins Bett. Sofort. Ich wollte nur noch diese paar Handtücher hier fertig machen.«
Er ging um den Tisch herum, um sie nochmals zu küssen. Sie fischte aus dem Knopfkästen an der Nähmaschine einen Bleistiftstumpen, nahm einen alten Briefumschlag und kritzelte einen Plan darauf. Ihre Gedanken waren noch ganz beim Bauen.
»Hier, siehst Du«, begann sie, »ist Sunset Avenue. In dieser Richtung geht sie den Hügel hinauf. Hier ist die Doaksche Villa. Hier das Grundstück an der Straßenecke gehört Dick Webster. Und oberhalb, hier, genau auf dem höchsten Punkt des Hügels, ist …«
… ist, dachte er, dumpfinteressiert hinstarrend, der Ort, wo der begrabne Schatz liegt. Zehn Schritte Nordnordost vom großen Fels, Unter den Wurzeln der alten Eiche. Seine Gedanken ergingen sich in einer köstlichen Phantasie, während sie weiterredete. Wie wäre es, wenn wirklich auf einem von Elizas Grundstücken ein Schatz vergraben läge? Öder eine Steinölquelle wäre? Oder eine Kohlenmine? Diese berühmten Berge sollen ja voll von Mineralschätzen sein! 150 Barrels täglich direkt im Hintergarten. 3 Dollar das Barrel, das wären über 50 Dollar täglich für jedes in der Familie. Hurra, die Welt ist unser!
»Du siehst doch«, lächelte sie triumphierend. »Also genau dort werde ich bauen. Das Grundstück wird in fünf Jahren das Doppelte von seinem gegenwärtigen Wert bringen.«
»Ja«, sagte er und küßte sie. »Gutnacht, Mama, Nun aber, in Gottes Namen, geh wirklich ins Bett, und schlaf Dich aus.«
»Gutnacht, Sohn«, sagte Eliza.
Er ging hinaus und stieg die dunkle Treppe hinauf. Benjamin Gant, der in diesem Augenblick heimkehrte, stolperte über einen Stuhl in der Diele. Er fluchte wild und schlug nach dem Stuhl. Verdammt! Verdammt nochmal! Mistress Pert flüsterte ihm eine Warnung zu, faserig lachend. Eugen hielt inne, dann schlich er die mit einem Teppichläufer belegte Treppe hinauf, leise, damit sie ihn nicht hören sollten, und trat oben auf dem Treppenabsatz auf die Altane, auf der er zurzeit schlief.
Er knipste das Licht nicht an. Er haßte es, die verbogne eiserne Bettstelle zu sehn und den rohen, blasig-abgeblätterten Firnis der Kommode. Er haßte es, die Nachtfalter und Motten zu sehen, arme, geblendete Wesen, die das Licht mit staubigen Flügeln umschwärmten. Und zudem war das Licht trübe, und er haßte trübe Lichter. Er entkleidete sich im Mondlicht, das wie eine magische, überirdische Helle auf die Erde fiel. Alles Rohe und Verletzende war hinweggewischt in diesem Licht, die gemeinen und vertrauten Dinge in der Nachbarschaft hüllten sich in das Gewand des Wunderbaren. Eugen zündete eine Zigarette an, beobachtete den roten Glutpunkt im Spiegel, trat ans Geländer der Altane und sah auf den Garten hinaus. Plötzlich wurde er gewahr, daß Laura James, aus nicht ganz drei Meter Entfernung, ihn beobachtete. Sie starrten einander an in diesem elfenhaften Licht. Sie sprachen nicht, sie warteten auf ein Zeichen. Dann sprach sie: sie wisperte seinen Namen; es war nur wie die Ahnung eines Lauts. Er schwang seine Beine übers Geländer, streckte seinen langen Leib aus und machte einen Satz wie eine Katze. Er faßte die Schwelle ihres Fensterrahmens. Sie zog scharf den Atem ein, rief leise: »Nein, nein«, aber sie empfing ihn am Fenster und hielt seine Arme fest, während er sich hochzog.
Sie umarmten einander und küßten sich viele Male. Ihr süßes, gelöstes Haar fiel auf ihre Schultern; sie trug kleine, grüne Höschen. Sie standen, die kühlen, jungen Glieder festverschlungen, im Mondlicht. Die Leidenschaft, die seinen Körper straffte, war von einer religiösen Ekstase beherrscht; er wollte sie an sich halten, und gleichzeitig drängte es ihn, allein zu sein, zu fliehn, um über sie nachzudenken.
Er bückte sich, faßte sie unter den Knien und hob sie jubelnd auf seinen Armen hoch. Sie sah ihn ängstlich an, klammerte sich fester an ihn.
»Was tust Du denn?« flüsterte sie. »Bitte, tu mir