Inge dachte jedoch an Eberhard Sörensen, und gleich gewann sie ihr altes frohes Lächeln zurück.
Drinnen in der Villa war dann alles viel weniger bedrückend, als sie befürchtet hatte. Die Mutter umarmte sie herzlich. Für Inge war das eine ungewohnte Herzlichkeit. Überhaupt schien die Mutter viel aufgeschlossener zu sein. Sie ließ sich von Inge eingehend über ihren Aufenthalt bei Tante Dora berichten.
Inge faßte sich ein Herz und beschloß, sofort von ihrer Bekanntschaft mit Eberhard Sörensen zu erzählen. Aber es kam dann doch nicht dazu. Die Mutter erzählte bereits von sich, sprach von den vielen Gesellschaften, die sie den kommenden Winter über zu geben gedachte, und dann deutete sie etwas an, das Inge erschrecken ließ: Die Mutter sprach davon, daß sie sich nun sehr bald für endgültig von dem Vater trennen würde.
»Es ist da noch etwas anderes, Inge. Es fällt mir schwer, immer allein zu sein, du bist doch erwachsen und müßtest dafür Verständnis haben, wenn es für dich selbst auch wohl noch zu früh ist, dich mit Männern abzugeben.«
»Du willst noch einmal heiraten, Mutter?«
»Das kann ich noch nicht so genau sagen. Jedenfalls habe ich einen achtenswerten Menschen kennengelernt, der auch in gesellschaftlicher Hinsicht ganz meinen Erwartungen entspricht. Du wirst ihn hier kennenlernen, er wird mich bald wieder aufsuchen.«
Magdalene Gräfenhan erhob sich.
Hatte sie ihrer Tochter nicht schon viel zu viel erzählt? Dr. Sörensen war jünger als sie selbst.
Nein, sie wünschte nicht, daß er vorläufig Inge kennenlernte. Das ließ sie selbst nur älter erscheinen, womöglich fand der Mann sogar an ihrer Tochter Gefallen.
Sie erschrak heftig und blickte zu Inge hinüber. Wie schön ihre Tochter war! Sie mußte jedem Mann begehrenswert erscheinen.
»Nun erhole dich aber erst ein wenig von der langen Reise, Kind. Wenn du irgendwelche Wünsche hast, dann wende dich an Wanda oder an Lisbeth. Na, du wirst dich schon wieder einleben, nicht wahr?«
»Aber gewiß, Mama, so lange war ich ja auch schließlich nicht fort.«
Inge hatte das Gefühl, daß plötzlich wieder eine Wand zwischen ihr und ihrer Mutter aufgerichtet worden war, und dabei hatte es so ausgesehen, als wollten sie von nun an offenherziger zueinander sein.
Nun konnte sie der Mutter schon gar nichts über Eberhard Sörensen sagen, wenigstens nicht sofort, vielleicht fand sie am Abend oder am nächsten Tag eine bessere Gelegenheit, um darauf zu sprechen zu kommen.
*
Am nächsten Vormittag kam Oberregierungsrat Franz Kammermaier zu Besuch.
»Entschuldige, Magdalene, daß ich mich gar nicht erst lange angemeldet habe«, lachte er, »ich fand es bei mir zu Hause langweilig. Niemals hätte ich in dieses abgelegene Nest ziehen sollen. Ich höre dort von meinen Bekannten so gut wie gar nichts.«
»Das Gegenteil scheint mir richtiger zu sein«, lächelte Magdalene. »Ich finde, daß du dich immer im entscheidenden Moment einstellst.«
»Im entscheidenden Moment? Wie soll ich das verstehen, Magda?«
Frau Gräfenhan dachte daran, daß sie erst gestern gewünscht hatte, sich mit ihm über Inge unterhalten zu können, und nun war er schon da.
Aber sie durfte wohl nicht sofort auf ihr Anliegen kommen.
»Nun ja«, sagte sie leichthin, »Inge ist zurückgekommen.«
»Donnerwetter, das ist mal eine nette Überraschung. Wo steckt das Mädel denn?«
»Willst du dich nicht erst ein wenig erfrischen, Franz?«
»Du meinst, sie könnte sonst ihr hübsches Näschen rümpfen, weil ich nach der langen Bahnfahrt in den engen verstaubten Zügen nicht gerade appetitlich aussehe? Du bist wirklich reizend zu mir, meine verehrte Kusine.«
»Und du hast immer noch deinen nonchalanten Tonfall an dir. Aber wir wollen uns nicht gleich in der ersten Minute streiten.«
»Wenn man sonst recht einsam dahinlebt, ist so ein kleines Rededuell eigentlich ganz unterhaltsam. Ist irgend etwas Besonderes vorgefallen in der Zwischenzeit?«
»Ich entsinne mich deutlich, lieber Franz, daß du Neugierde als eine der übelsten Eigenschaften der bei mir verkehrenden Damen bezeichnetest.«
»Du bist gräßlich heute, Magda. Ich muß mich anscheinend wirklich erst ein wenig ausruhen und frisch machen, um einem scharfen Rededuell mit dir gewachsen zu sein.«
»Bis nachher also«, behielt Magdalene Gräfenhan ihr Lächeln bei. »Du bist ja hier zu Haus, ich brauche wohl nicht jedesmal zu fragen, ob dein Gepäck bereits von Lisbeth oder Fritz hinaufgeschafft wurde.«
»Nein, das brauchst du wirklich nicht. Übrigens finde ich, daß Lisbeth sich zu ihrem Vorteil verändert hat. Früher mochte ich dieses schnippische Ding nicht. Unter deiner geschickten Anleitung scheint sie sich jedoch beachtlich gewandelt zu haben.«
Frau Gräfenhan zog es vor, darauf nicht zu antworten. Wenn ihr Vetter in dieser Art sprach, dann war es meist spöttisch gemeint, man ging besser darauf gar nicht ein.
Franz Kammermaier nickte ihr noch einmal zu, dann stieg er schnaufend zu seinem Gastzimmer hinauf. Am liebsten wäre er gleich zu Inge hineingegangen. Dann jedoch fand er selbst, daß er sich für sie ruhig ein wenig schön machen konnte. Es stimmte ihn außerordentlich heiter, daß sein Besuch nun einen Sinn bekommen hatte. Mit Inge unterhielt er sich zu gern. Er war richtig ein bißchen vernarrt in das süße Ding. Sie würde sich einmal wundern, wenn er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Er hatte sie zu seiner Universalerbin eingesetzt. Die anderen Verwandten sollten sich tüchtig ärgern.
Wenn Inge also einmal seinen Besitz zugesprochen bekam, dann war es nur recht und billig, wenn er sich schon jetzt ein wenig darum kümmerte, wie sie ihr Leben einrichtete, schließlich sollte sie später nicht alles von heute auf morgen verpulvern.
Dann jedoch hielt es ihn nicht länger in seinem Zimmer. Noch einmal blickte er prüfend in den Spiegel, zog sich die Krawatte zurecht. Schließlich ging er hinaus und hielt Umschau. Er mußte sich erst einmal orientieren. Jetzt wußte er doch wahrhaftig nicht mehr, welche der vielen Türen zu Inges Zimmer gehörte.
Ah, die da drüben war es. Mit jugendlichem Schwung ging er darauf zu, sich mit einer eckigen Bewegung davor verneigend, als gelte es, der Tür seine Reverenz zu machen.
Franz Kammermaier wollte jedoch nur sein Ohr in die Nähe des Türrahmens bringen, um sich letzte Gewißheit zu verschaffen, aber er hörte nichts. Einen Augenblick lang zögerte er noch, dann zuckte er die Achseln und klopfte energisch.
»Ja, bitte?« drang es ihm von drinnen entgegen.
Kammermaiers Gesicht spiegelte seine Zufriedenheit. Er drückte auf die Türklinke und trat ein.
»Guten Tag, Ingelein!« rief er glücklich und ging mit ausgestreckten Armen auf sie zu.
»Onkel, du bist hier? Wie schön!«
Inge ließ sich umarmen und küssen. Sie war so froh, einen Menschen um sich zu haben, mit dem sie sich unterhalten konnte. Onkel Franz war immer so nett und herzlich zu ihr, sie mochte ihn gern. Und was er immer zu erzählen wußte! Wenn er hier war, gab es nicht eine einzige langweilige Minute.
»Du bist verwirrend hübsch geworden, Inge«, erklärte der Onkel. Er war einige Schritte zurückgetreten, um sie betrachten zu können. »Es ist mir eigentlich nie so aufgefallen wie gerade heute. Der Landaufenthalt scheint dir gut bekommen zu sein.«
Inge war rot geworden.
»Was