Inzwischen war die heiße Sommersonne hinter den Bäumen hinabgesunken, und es wurde Zeit, nach Monrepos zurückzukehren. Langsam brach man auf und schlenderte, in zwei Gruppen geteilt, durch den Park der Grenze zu, begleitet von Dolores, durch deren Arm Prinzeß Alexandra den ihren schlang. An ihrer Seite schritt Falkner, neben Dolores Keppler. Voran gingen der Erbprinz, seine jüngste Schwester am Arm, und Doktor Ruß, der das Prinzeßchen durch seine Redegabe und Eingehen in ihre Gedanken ganz zu bestricken schien.
»Das ist der einzige Mann, mit dem man ein ernstes Gespräch führen kann,« erklärte sie später ihrem Bruder schmeichelhafterweise zu dessen großer Belustigung.
»Dieser Park ist wirklich herrlich,« sagte Prinzeß Alexandra und blieb stehen. Sie schaute mit schönheitstrunkenem Blick über das samtgleiche, smaragdgrüne bowlinggreen, das sich weit vor ihnen ausbreitete, nach den frischgrünen Baumgruppen, deren Kolorit so prächtig abgetönt wurde durch die sich darein vermischenden dunklen Tannen und braunroten Blutbuchen, die sich wiederum von dem goldgetönten Abendhimmel in weichen Umrissen abhoben.
»Ja, es ist ein einzig schöner Fleck Erde,« erwiderte Falkner fast bewegt, und es traf ihn ein Blick von Dolores, den er verstand, und den er also zu deuten wußte: Er konnte dein sein, dieser Fleck Erde, aber du hast ihn verschmäht, weil meine Hand ihn dir bot.
»Schon seit Jahren erfreue ich mich Sommer für Sommer an diesem buen retiro. Wie süß für Sie, Baronin, mit jener Königstochter sagen zu können:
This plot of ground I call my own,
Sweet with the breath of flowers,
Of memory of pure delights
And toil of summer hours.
Und wissen Sie, daß ich nur den Park und nicht den Falkenhof kenne? Sie müssen mich einmal in dem alten Hause umherführen und mir alles zeigen!«
»O wie gern,« rief Dolores, der die freundliche Art der Prinzeß immer zu Herzen ging, weil sie von Herzen kam. »Ich warte nur auf den Tag, der mir die Ehre bringt, meine hohen Nachbarn von Monrepos als meine Gäste im Falkenhof zu begrüßen.«
»Unter den Klängen des Tannhäusermarsches,« sagte Falkner nicht ohne Spott.
»Eine gute Idee,« meinte die Prinzeß harmlos. »Sie sollen nicht zu lange zu warten brauchen, edle Schloßherrin!«
»Noch eh' ich den Falkenhof verlasse?« fragte Dolores eifrig.
»Sie wollen den Falkenhof verlassen?« Es waren drei Stimmen, die es gleichzeitig fragten.
»Ja,« erwiderte sie leise, aber fest.
»Nun, aber doch nicht für immer,« meinte die Prinzeß lächelnd.
»Doch, für immer,« sagte Dolores.
»Sind Sie europamüde?«
Dolores sah erschreckt auf – war es wirklich Falkners Stimme, die diese Frage gethan?
»Nein, aber ich bin des Falkenhofs müde,« sagte sie unsäglich traurig. »Was soll ich auch hier? Engels wird das Lehen verwalten – in besseren Händen könnte es nicht sein!«
»Und Sie selbst, wohin werden Sie gehen?« fragte Prinzeß Alexandra teilnehmend.
»Ich weiß es noch nicht, Durchlaucht!«
»Die Kunst ruft Sie, die Auserwählte, gehorchen Sie dieser Stimme!« rief Keppler. »Sie können noch so viel Gutes schaffen und Schönes, es wäre Sünde, wollten Sie das Pfund vergraben, das Gott Ihnen gegeben hat!«
»Nein, nein,« rief die Prinzessin, »bleiben Sie! Sie sind zu jung, zu gut für das Leben auf der Bühne, wo niemand Sie vor Verleumdung schützen kann –«
»Durchlaucht, das thut auch hier niemand,« erwiderte Dolores bitter. »Die höchsten und edelsten Frauen haben mich gerne in ihre reinen Kreise gezogen, so lange ich mich Doña Falconieros nannte, und meinen Ruf hat die Verleumdung nicht anzutasten vermocht, das ist die vornehmste Mitgift, die Gott mir für dieses Leben gegeben. Was Weh ist und Schmerz und Ungerechtigkeit, das hab' ich erst hier kennen gelernt!«
Die Prinzessin umarmte Dolores und küßte sie auf die bleiche Stirn.
»Ich weiß, daß Sie gut sind und edel,« sagte sie, »ich weiß, daß kein Flecken auf Ihrem Rufe haftet – hätte ich sonst Ihre Nähe gesucht? Denn wir Fürstinnen stehen den Blicken der Welt ebenso exponiert wie die Künstlerinnen und müssen den Schein in allem zu meiden suchen. Man muß nur die höchste Meinung von dem Berufe haben, zu dem wir ausersehen sind, dann ist ein Abirren von dem rechten Pfade unmöglich!«
»Ich kann's bezeugen, daß Donna Dolores ihre Kunst für allzu heilig hält, um sie zu profanieren,« sagte Keppler warm, »und wenn es eine würdige Priesterin dafür giebt, so verdient sie diesen Namen – dafür will ich einstehen zu jeder Zeit!«
»Ich danke Ihnen,« erwiderte Dolores leise.
Falkner hatte kein Wort mehr gesprochen – er stand abgewendet und betrachtete aufmerksam die flockigen Blüten eines Perückenbaumes am Wege.
»Was sagen Sie zu dem Entschlusse Ihrer Cousine, lieber Baron?« fragte die Prinzeß.
»Ich, Durchlaucht?« er sah sehr gleichgültig aus. »Ich habe ja gar kein Recht, etwas zu sagen.«
Sie gingen schweigend weiter, bis die Prinzeß wieder fragte:
»Und wann wollen Sie von hier scheiden?«
»Ich weiß es noch nicht, Durchlaucht, vielleicht sehr bald, vielleicht erst zum Schluß des Sommers. Ich glaube, das Rasten thut mir gut, aber ich fürchte das Rosten. Es bedarf in der That aller meiner Energie, um nicht, wie Herr Olaf auf der Erlenhöhe, so lange zu träumen, bis es zu spät wurde für den Träumer.«
»Nun, ich übernehme es, dafür zu sorgen,« rief die Prinzessin lebhaft. »Wir wollen einander oft sehen, nicht wahr? Wir wollen alles besprechen, was uns interessiert. Sie sind doch unsere Verbündeten, meine Herren?«
»Mit Enthusiasmus, Durchlaucht, für solchen Zweck,« erwiderte Keppler warm. Falkner antwortete nur mit einer stummen Verbeugung.
Am Gitter von Monrepos sagte man sich Lebewohl. Der Herzog stand hier, eine große Menge Bast im Arme, ein Okuliermesser in der Hand, und bedauerte lebhaft, die nette Partie versäumt zu haben! Und dabei sah er so einfach, so glücklich und harmlos aus, daß es fast rührend war. Es drückt eben nicht jede Krone die Stirn ihres Trägers. Ob daran die Krone oder die Stirn die Schuld trägt?
»Der gute Herzog, es ist ein Glück für ihn, daß er nichts, rein nichts von einem Prometheus in sich hat,« meinte Doktor Ruß, als er an Dolores' Seite dem Falkenhofe zuschritt.
»Halten Sie das wirklich für ein Glück?« fragte sie träumerisch. »Ich meine, es ist eine schöne Aufgabe, das göttliche Feuer vom Himmel herabzuholen und Großes mit ihm zu schaffen.«
»Trotz dem sicheren Gefühl, gefesselt wie Prometheus an den starren Felsen der Intolleranz von dem Geier der öffentlichen Meinung zerfleischt zu werden?« fragte Ruß.
»Trotzdem, ja, denn das einmal errungene Feuer giebt die Kraft des Ertragens.«
»Nun ja – chaque homme porte en lui un Prométhée, créateur rebelle et martyr,« citierte Ruß jene gekrönte Dichterin, Carmen Sylva, die uns so rührend und wahr die Geschichte vom Leiden geschildert, weil es ihr mitgegeben ward auf ihrem Lebenspfade.
In jener Nacht tönten noch lange die Klänge einer herrlichen Stimme, eines meisterhaft gespielten Flügels aus den Mauern des Falkenhofes hinaus in die warme Sommernacht, die fernes Wetterleuchten magisch durchzuckte. Schmelzend, jauchzend, todestraurig und erschütternd klang die wunderbare Stimme hinaus und verklang fern im Säuseln der Nachtluft in den Bäumen.
»Unsere Baroneß singt doch schaurig schön,« meinte