Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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Alfred? Der weiß ganz genau, was er von dem hochgelahrten Ästhetiker zu halten hat, darauf können Sie sich verlassen. Übrigens nehme ich alle Folgen auf mich!«

      Damit trennten sie sich. Dolores ging weiter hinein in den Park, Engels umschritt den Falkenhof und traf richtig auf Ruß und seine Frau, die im kühlen Schatten des Nordflügels saßen – sie strickend, er lesend.

      »Guten Tag, mein lieber Engels,« rief Ruß herablassend, als die Hünengestalt des Inspektors vor ihm stand.

      »Guten Tag, Frau Doktorin,« sagte letzterer, die Anrede des auf seinem Sitz verbleibenden Doktors ignorierend.

      »Guten Tag,« gab Frau Ruß zurück. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

      »Auf einen Augenblick,« sagte Engels sich setzend. »Ah,« setzte er mit affektiertem Staunen hinzu, »da sind Sie ja auch, teuerstes Doktorchen!«

      »Gewiß, ich hatte bereits die Ehre, Sie zu begrüßen,« flötete Ruß zuckersüß.

      »Sehen Sie mal an! Heißer Tag heut', nicht wahr?«

      »Sehr,« stimmte Ruß bei, seine weißen Hände betrachtend.

      »Es wird heuer eine reiche Ernte geben, wenn das Wetter so bleibt,« bemerkte Frau Ruß.

      »Höchst wahrscheinlich,« sagte Engels. »Werden Sie zum Erntefest noch hier sein?«

      »Höchst wahrscheinlich,« erwiderte Ruß nicht ohne einen Anflug von Nachäffung, »insoweit ich als Mensch die Zukunft bestimmen kann!«

      »I du aalglatter Heuchler,« dachte Engels, und setzte möglichst harmlos hinzu: »Da werden Sie wohl so um den Herbst herum abreisen?«

      Ruß wechselte mit seiner Frau einen raschen Blick, und letztere wurde blutrot.

      »Sind Sie von Dolores beauftragt worden, danach zu fragen?« rief sie scharf und mißtrauisch.

      »Im Gegenteil,« erwiderte Engels ruhig. »Ich dächte, Sie müßten Ihre Gastgeberin nun schon insoweit kennen, um ihr eine solche Kommission überhaupt nicht zuzumuten!«

      »Also entsprang die freundliche Frage Ihren eignen Gefühlen?« flötete Ruß honigsüß. »Du hättest dir denken können, teure Adelheid, daß unsere liebe Dolores nach der Abreise ihrer Gäste zu fragen außer stande ist.«

      »Das weiß der Himmel,« brach Engels los, »wenn Sie darauf warten wollen, so können Sie Ihr Leben hier in Ruhe beschließen!«

      »Das wollen wir auch, denn eine Ablehnung ihrer Gastfreundschaft würde unsere süße Dolores nur beleidigen, und das liegt uns fern, nicht wahr, teures Weib?« sagte Ruß mit Salbung.

      Engels erhob sich heftig.

      »Meine Zeit ist um,« sagte er. »Komm, Knieper! Adieu allerseits!«

      Und damit ging er, gefolgt von seinem Hunde, der im Gehen seinem alten Feinde Ruß noch einmal die Zähne zeigte.

      »Fehlgeschossen!« räsonnierte Engels innerlich zornentbrannt. »Es ist dem alten Schleicher weder zart noch grob beizukommen. Na wart', ich graule dich schon noch hinaus!«

      In Unwissenheit über die sofortige Attacke ihres Getreuen, setzte Dolores ihren Weg fort, aber das Gleichgewicht in ihrem Innern wollte nicht so schnell kommen, als sie gewünscht hätte. Zu der Erregung infolge des eben stattgehabten Gespräches trat außerdem noch der sie nicht verlassende Gedanke und die Erinnerung an jene Nacht, da sie an Falkners Seite von Monrepos nach dem Falkenhofe zurückging.

      Was hatte er ihr gesagt? Er hatte sie gebeten zu vergeben, wo er sie gekränkt, aber hatte er das Bitterste zurückgenommen oder widerrufen? Nein, er hatte es nicht. Unter dem Gewande des Scherzes hatte sie ihm gesagt, was zwischen ihm und ihr stand, und die Kluft zwischen beiden war so tief als je. Sie hatten einander seit jener Nacht nicht wiedergesehen, wozu auch? Inzwischen waren Schingas dagewesen, ihren Besuch zu machen – der Graf hatte den Falkenhof in den kräftigsten Ausdrücken gelobt, die Gräfin hatte mit Entzücken den kostbaren Flügel probiert, und dann waren sie eben wieder fortgefahren, ohne bei Dolores ein wärmeres Gefühl zurückzulassen. Sie fühlte zwar eine gewisse Sympathie für die Frau, welche, an die Verfeinerungen des Lebens gewöhnt, ihr Dasein an der Seite dieses rohen und ungebildeten Mannes durchschleppen mußte, bis der Tod sie erlöste. Dann aber fiel Dolores das fragwürdige, saloppe Kostüm ein, in dem die Gräfin daheim ungeniert sich bewegte, und der Thermometer ihrer Gefühle für sie sank um mehrere Grade. So ist's aber in den meisten Fällen. Man muß die Menschen nicht beurteilen, wenn sie im Gewande des geselligen Verkehrs vor uns stehen, sondern man muß sie allein, bei sich selbst sehen, in ihren Gewohnheiten und Neigungen. Oder, wenn man sich seine Illusionen erhalten will, so muß man es nicht thun. Denn bekanntlich ist ein großer Mann nicht groß vor seinem – Kammerdiener, für den die physischen und moralischen Schlachten, die sein Herr gewann, zweierlei sind mit diesem selbst, für den der erkämpfte Lorbeer nichts ist als ein Blatt, das er als Saucengewürz schätzt. Das ist die Kehrseite der Medaille. Der Optimist läßt das schöne geprägte Stück auf samtner Folie vor sich glänzen und erfreut sich so sehr an dessen Schönheit, daß es ihm gar nicht einfällt zu schauen, was auf der anderen Seite ist. Der Pessimist läßt sich nicht blenden, er geht der Sache auf den Grund und wendet die Medaille um. Entdeckt er dort Schäden, Flecke und Unvollkommenheiten, dann ruft er Wehe über die ganze Welt und predigt ihre Verachtung, findet er die Rückseite aber eben so tadellos wie die Vorderseite, dann bemüht er sich, der letzteren Flecke beizubringen. Der Glücklichere bleibt also der Optimist, nur daß er oft unrecht hat. Er wird uns aber auslachen, wenn wir ihm das sagen.

      Dolores hielt sich nicht lange mit Gedanken über die Gräfin Schinga auf. Mit den vergehenden Spuren der Räder ihres Wagens verging auch ihr Anteil an dem Geschick dieser Frau, denn sie hatte genug zu thun mit den Geschäften des Falkenhofes, der Pflege der Musik und – mit sich selbst.

      In ihrer Verstimmung erschien es ihr fast wie eine Erlösung, als sie plötzlich menschliche Stimmen hörte und unter einer Gruppe mächtiger Eichen die beiden Prinzessinnen, den Erbprinzen, Falkner und Keppler gewahrte. Prinz Emil ging ihr sogleich entgegen und bat um Erlaubnis, den heißen Nachmittag auf diesem kühlen Plätzchen verträumen zu dürfen, indem er zugleich um den Vorzug ihrer Gesellschaft bat.

      »Es ist gut, daß Sie kommen,« sagte Prinzeß Alexandra herzlich, »denn es sollte eben eine Deputation abgeschickt werden, Sie zu holen.«

      »Wir schwelgen in Natur und Poesie,« erklärte Keppler und deutete auf das Buch, das Falkner in der Hand hielt.

      »Ponche romaine oder Gefrornes von Walderdbeeren wäre mir lieber,« sagte Prinzeß Lolo mit echter Backfischmiene. Alle lachten.

      »Pfui, Lolo, wie prosaisch,« rief der Erbprinz entrüstet, »an Gefrornes zu denken, während wir Heine und Scheffel lesen.«

      »O, ich wette, ihr alle denkt auch daran, nur daß ihr's nicht sagt,« entgegnete die kleine Durchlaucht.

      »Prinzeß haben einem vortrefflichen Gedanken Worte gegeben,« meinte Dolores, »und wenn die Herrschaften mir erlauben, mich für einige Minuten zurückziehen zu dürfen, so will ich den Waldgeistern unser allgemeines Bedürfnis nach Gefrornem vortragen!«

      Damit verschwand sie und ging nach dem Falkenhof zurück, um dort dem Koch Befehle zu erteilen. Auf dem Rückwege blieb sie an der Laube stehen, in welcher das Rußsche Ehepaar saß – er lesend, sie strickend, als hätte nie ein Engels ihre idyllische Ruhe getrübt.

      »Die Herrschaften von Monrepos sind im Park,« sagte sie einfach, »vielleicht macht es Ihnen Vergnügen, auch ein wenig unter die Eichen zu kommen.«

      »Danke – ich bin nicht courfähig,« erwiderte Frau Ruß bitter.

      »Es ist sehr freundlich von Ihnen, uns aufzufordern,« sagte der Doktor süß. »Vielleicht mache ich davon Gebrauch und komme nach!«

      »Wie es Ihnen beliebt,« entgegnete Dolores und ging.

      »Du wirst nicht gehen, Ruß,« rief die Doktorin