»Und der Herzog, und der Erbprinz, und Prinzeß Alexandra –? Was werden sie zu der Mesalliance sagen?«
»Ist mir Wurscht!« erklärte die kleine Blonde sehr entschieden. Sie hatte den klassischen Ausdruck erst heut' aus einem Gespräch zwischen zwei Dienern belauscht und war stolz auf denselben. »Ich mag keinen Prinzen heiraten – das ist zu langweilig,« fuhr sie fort, »Sie können mir's wirklich glauben, es ist gräßlich, wenn man stets in Watte gepackt auf einem silbernen Präsentierteller sitzt. Papa? Papa thut doch immer, was ich will, und um Emil und Alexandra kümmerte ich mich schon gar nicht. Und der Titel, der Name? Bah, was ist daran Großes? Wir sind doch bloß kleine Kläffer, auf die niemand hört, und wenn wir zu laut bellen, steckt uns der große Herr Nachbar einfach – als Provinz? i Gott bewahre, als Kreis Nordland in die Tasche!«
»Es ist nur gut, daß der Wind diese lästerlichen Reden nicht allzuweit tragen kann,« bemerkte Dolores spottend auf diesen Erguß von Backfischpolitik.
»Papa würde lachen, Emil die Achseln zucken und die Drusen mit dem Kammerherrn Kopf stehen,« lachte Prinzeß Übermut.
»Und Prinzeß Alexandrine?«
»Ach Sascha –? Ja, Sascha würde eine Predigt halten und mir höllisch den Kopf waschen. Aber das ist gesund.«
»O, wenn Sie's als Vergnügen auffassen – va bene!« –
»So, und nun muß ich zurück, sonst schreien sie in Monrepos Zeter,« plapperte das rosige Mündchen weiter, und indem die Sprecherin Dolores die Hand reichte, setzte sie im gleichen Tone hinzu: »Also, das ist abgemacht, nicht wahr? Und Sie sind nicht böse, gar nicht? Nein? Ach, was sind Sie nett! Und verklatschen werden Sie mich in Monrepos auch nicht? Famos. Und wenn Sie ihm, den herrlichsten von allen, mal mit dem Zaunpfahl zeigen wollen, daß man doch auch ganz ansehbar ist – Gott, schaden könnte es ja nicht! Aber sehen Sie, er ist kein Krösus, und wir armen Herzogsmädel von Nordland haben auch das Geld nicht so haufenweise liegen, aber wenn ich recht reich wäre, wenn ich bloß den Falkenhof hätte –« –
»Sie sollen ihn als Hochzeitsgeschenk von mir haben,« unterbrach Dolores die entfesselte Redeschleuse der Herzogstochter.
Prinzeß Lolo sah ordentlich erschrocken aus.
»Ja, Sie haben gut spotten,« schmollte sie.
»Ich spotte gar nicht. Wenn Sie ihn annehmen, schenke ich Ihnen den Falkenhof als Hochzeitsgabe,« nahm Dolores ihren impulsiven Einfall mit Ernst auf.
»Nicht annehmen? Wer würde denn solch' ein Esel sein?« rief Prinzeß Lolo entsetzt, ohne zu ahnen, daß sie damit eine unfreiwillige Kritik an dem Manne ihrer Wahl übte, über die er jedenfalls nicht sehr erbaut gewesen wäre. »Aber nicht wahr, Sie sind nicht böse, wenn ich sage, daß Sie verrückt sein müssen, einen solchen Besitz zu verschenken!«
»Doch nicht ganz so, wie Durchlaucht denken!«
»Wirklich? Na denn man tau, wie sie oben bei uns sagen?« lachte das Prinzeßchen, jetzt ganz Glück und Sonnenschein, als hätte sie »seinen« Verlobungsring schon am Finger. Noch eine Kußhand warf sie der vordem so gefürchteten Rivalin zu und flog dann die Allee herab, Monrepos zu.
Dolores sah der weißen Gestalt nach, die so zierlich und graziös wie ein Schmetterling dahinflatterte, und eine ihr fremde Bitterkeit zog ihr durchs Herz und machte ihre Augen trübe.
»Was hab' ich denn gethan, daß aller Schmerz der Erde über mich kommen muß?« murmelten ihre zuckenden Lippen, und unwillkürlich fielen ihr die Worte aus der Prophezeiung in dem alten Missale ein:
»Die letzte Falkin muß in Schmerzen büßen,
Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen.«
Und sie war die letzte Falkin. Ein Schauer überrieselte sie trotz des warmen Spätnachmittages, als sie dieser Stimme aus dem mehr als zweihundertundfünfzigjährigen Grabe gedachte, trotzdem diese Stimme einer armen Wahnsinnigen angehörte, der tiefstes Herzeleid die Sinne verwirrt.
Und als sie sich seufzend zum Gehen wandte, kamen ihr aus einem Seitengange Keppler und Falkner entgegen, beide in eifrigem Gespräch.
»Ah, Fräulein Dolores!« rief ersterer heiter aus. »Thun Sie ein gutes Werk und bekehren Sie diesen Vandalen –!«
»Ach, ich scheine kein Talent zum Missionär zu haben,« erwiderte Dolores, bemüht, ihr frohes Temperament wieder zu gewinnen. »Handelt es sich um Renaissance oder Rokoko?« setzte sie fragend hinzu, da sie sich eines ziemlich heftigen Diskurses über dieses Thema zwischen Keppler und dem Erbprinzen erinnerte. »Doch da muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich's mit beiden halte, denn aus der Renaissance will ich die Kostüme, aus der Rokokozeit aber die graziösen Linien der Möbel.«
»Ach, es handelt sich nicht darum,« rief Keppler. »Wir streiten – ja streiten über die Berechtigung der Frauen für den Künstlerberuf.«
»Die Berechtigung beginnt mit dem Talent und gipfelt im Genie,« meinte Dolores fein. »Aber,« setzte sie hinzu, »Sie werden Herrn von Falkner nicht überzeugen.«
»Keppler will mich mißverstehen,« entgegnete Falkner. »Ich verteidige nur meine Überzeugung, nach der die Bühnenlaufbahn der Frauen nicht im Künstlerberuf mit inbegriffen werden dürfe. Wenigstens nicht bei allen. Auch der Konzertsaal bietet der Sängerin ein Feld für schöne Siege und Triumphe.«
»O ja. Aber wer ums liebe Brot singt, wird es auf der Bühne eher finden und reicher,« sagte Dolores leise.
»Ums liebe Brot! Man soll aber nicht daran denken, wenn man ein Künstler sein will,« rief Keppler heftig. »Nur frei und losgelöst von den elenden Miseren des Lebens kann der Genius sich entwickeln. Beim einfachen Brotverdienen muß er verkrüppeln.«
»Und doch hat auch mich die Sorge ums Brot in die Künstlerlaufbahn gedrängt,« erwiderte Dolores leicht, und als sie dem überraschten Blicke Alfred Falkners begegnete, fügte sie hinzu: »Freilich fühlte ich meine Schwingen im Fluge wachsen, und verklärt wurde mir im Siegen der erste schwere Entschluß. Tempi passati.«
»Nicht doch – Zeiten, die Ihnen wiederkehren sollen und werden,« rief Keppler.
»Nein,« entgegnete Dolores fest. »Ich werde die Bühne niemals mehr betreten.«
Sie wußte selbst nicht, warum sie aussprechen mußte als Faktum, was sie vor einer halben Stunde noch nicht um die Welt versprochen hätte. Aber es drängte sich auf die Lippen, und nun war es hinausgehallt, und sie wußte, daß sie ihren Worten treu bleiben würde.
»Leben Sie wohl für heute, Donna Dolores,« sagte Keppler nach einer Pause. »Denn daß Sie ein Renegat der Kunst geworden sind, das ist eine Nachricht, die ich erst verwinden muß, ehe ich der Abtrünnigen wieder begegne.«
Und damit kehrte er kurz um und war bald ihren Blicken entschwunden.
»Es hat ihn getroffen – aber er wird es schon überwinden, denn tout lasse, tout casse, tout passe,« meinte sie seufzend.
»Darf ich denn meinen Ohren trauen?« fragte Falkner nach einer Weile. »Erst Ihre – übrigens vollberechtigte – Verteidigung eines Berufes, den Sie zu dem Ihren gemacht aus Gründen, die ich zu verstehen beginne, und heut' – heut' diese Resignation auf fernere Lorbeeren –«
»O behüte,« entgegnete sie fast heiter. »Sie wissen, Geibel sagt zwar:
Lorbeer ist ein bittres Blatt
Dem, der's sucht, und dem, der's hat.
Aber es ist auch dabei das begehrenswerteste Blatt, und ich will's auch zu erringen suchen durch mein bißchen Talent, Melodien zu erfinden. Lieder und kleine Albumblätter – vielleicht auch wieder einmal eine Oper von ›dem Komponisten der Satanella‹ – sind wohl mindestens der Beachtung sicher. Meinen Sie nicht?«
»Was liegt Ihnen an meiner