»Ei, warum stets so förmlich?« fragte der Doktor, ihre Hand festhaltend. »Alfred ist Ihr rechter Cousin, und Vettern tituliert man doch nicht so steif!«
»Cela dépends,« erwiderte sie leicht. »Aber,« setzte sie spöttisch hinzu, »vielleicht wächst nach unserem heutigen Mondscheinspaziergang par ordre de Moufti unsere gegenseitige Zuneigung dermaßen, daß wir uns nach hundert Jahren unbezwinglich gedrängt fühlen, uns per Cousin und Cousine anzureden. Man darf die erschütterndsten Weltereignisse nicht für unmöglich halten.«
»Sie können noch weiter gehen und sagen: Vielleicht heiraten sich dereinst unsere Enkel,« sagte Falkner kalt, aber ein seltsamer Blick schoß dabei aus seinen Augen.
Dolores lachte hell auf, mit dem alten, klingenden Lachen vergangener Tage.
»Das wäre lustig,« rief sie. »Bis dahin sind Sie Minister, und dann tanzen Großpapa Excellenz und Großmama Satanella ein Menuett miteinander!«
Noch ein spöttisches, leises Auflachen, und sie war im Hause verschwunden.
Der Heimweg nach Monrepos wurde Falkner kurz durch die Gedanken, die sich ihm im Kopfe kreuzten, und durch diese Gedanken klang immerzu jenes Lachen.
Satanella! Mit diesem einen Worte hatte sie die von ihm selbst errichtete Grenzscheide zwischen sich und ihr als wie mit eisernen Klammern befestigt.
»Sie ist doch herzlos und ohne Gefühl,« sagte er sich erbittert. »Habe ich mich darum vor ihr gedemütigt und abgebeten wie ein Kind, damit sie mich verspottet?«
»Satanella! Satanella!« rauschte es in den Zweigen, und ein Kauz, der über seinem Haupte mit schwerem Flügelschlag und im Dunklen glühenden Augen hinwegflog, schrie mit schrillem Tone: »Satanella! Satanella!«
Da klang es plötzlich vor seinem inneren Ohr wie Glockenläuten, und er hörte eine süße Stimme ein einfach Lied singen vom Abendglockenklang.
»Sie hat recht, mir mit Spott zu begegnen,« sagte er weich. »Ich habe nichts anderes um sie verdient! Dreifach blinder Thor, der ich war, stolzverblendet mir selbst Trotz bietend, daß ich den warmen Herzschlag nicht durch das rote Kleid der Satanella hören wollte!«
So wirbelten und jagten sich ihm die Gedanken unaufhörlich, und der Schlaf floh ihn so hartnäckig, daß er endlich, dem bösen Mondschein ein Paroli zu bieten, sein Lager verließ, Licht anmachte und ein Buch hervorholte.
»Geibels Gedichte,« las er auf dem Titel. »Meinetwegen! Vielleicht dämpft die Poesie etwas das Fieber in meinen Adern.«
Er schlug das Buch, das er zum Vorlesen drunten im Salon erst gestern aus der Stadt erhalten hatte, aufs Geratewohl auf und las auf der ersten Seite, auf die sein Auge fiel, die Übertragung von Coppées Gedicht:
Ich sprach zur Taube: Flieg' und bring' im Schnabel
Das Kraut mir heim, das Liebesmacht verleiht,
Am Ganges blüht's im alten Land der Fabel,
»Das ist ein Wort für mich,« sagte er sich leise, und dann las er die vierte Zeile dieser Strophe:
Die Taube sprach: Es ist zu weit!
»Zu weit,« wiederholte er und warf das Buch hin. Dann trat er an das offene Fenster und sah hinaus, bis der Mond hinter den Bäumen versank und ein opalbleiches Licht sich über die stille Welt verbreitete, bis ein siegender Strahl im Osten den Anbruch des jungen Tages verkündete.
Da überfiel ihn endlich die Müdigkeit, er schloß das Fenster und legte sich zur Ruhe.
»Satanella, Satanella!« hörte er draußen noch die eben erwachte Spottdrossel pfeifen. Dann träumte er, er flöge auf Taubenschwingen über Land und Meere, und von fern sah er am Ganges wundersame Blumen blühen, weiß und rosig, und in ihren Kelchen wiegten sich nebelhafte Liebesgötter. Da spannte er all seine Kräfte an, sie zu erreichen, aber die Fernen, die ihn noch trennten von der Erreichung seines Wunsches, wurden immer weiter und weiter – eine tödliche Ohnmacht überfiel ihn – er stürzte ins Meer hinab.
»Es ist zu weit!« sagte er, auffahrend von dem bösen Traume.
»Viel zu weit!« girrte eine Taube dicht an seinem Fenster.
II.
Ich sprach zum Adler: Spanne dein Gefieder,
Und für das Herz, das kalt sich mir entzog
Hol' einen Funken Glut vom Himmel nieder.
Der Adler sprach: Es ist zu hoch!
E. Geibel nach François Coppée.
Ein glühend heißer Junitag. Wolkenlos spannt der tiefblaue Himmel seine grandiose Kuppel über die liebliche Landschaft des Falkenhofes, kein Luftzug bewegt die Blätter und Zweige der mächtigen Bäume des Parkes. In der Luft schwirren nur die bunten Insekten des Sommers oder eine rastlose Schwalbe, denn die Singvögel sitzen tief in den Zweigen und zwitschern dort leise ihre Lieder – sie empfinden wie der Mensch die bleischwere Schwüle in der Luft und bangen vor dem Sturm und Wetter, das die Nacht vielleicht bringen wird.
Der Nachmittag war schon weiter dem Abend zugeschritten, als Dolores den Falkenhof verließ, um Kühlung im Parke zu suchen. Sie fühlte sich unbehaglich und verstimmt durch ein Gespräch mit Doktor Ruß, der gekommen war, beim Arrangement der Bildergalerie zu helfen.
Die Mitte dieses Raumes nahm jetzt ein mächtiger Tisch, bedeckt mit Prachtwerken aller Art ein, und um ihn standen einladende, goldstoffbezogene Fauteuils. In den Ecken waren Palmgruppen angebracht, in denen weiße Büsten schimmerten, und an den roten Samtwänden hatte Dolores mit Hilfe des der Familiengeschichte kundigen Doktor Ruß die Porträts in zusammenhängenden Gruppen geordnet, wie dasselbe Jahrhundert sie zusammenbrachte. Die Mitte der Gruppe des siebzehnten Jahrhunderts nahm das schöne Bild der »bösen Freifrau« ein, und Dolores hatte es noch außerdem durch einen der Zeit entsprechenden kostbaren Rahmen ausgezeichnet.
Als alles fertig war und die helfenden Leute Leitern und Handwerkszeug hinausgeschafft hatten, sagte Doktor Ruß:
»So, das wäre geschehen – es ist nun wohl alles zum Empfang Ihrer fürstlichen Gäste bereit, liebe Dolores.«
»Ja,« nickte sie, »aber es war nicht dieser Gedanke, der mich leitete, als ich diese Neugestaltung der Bildergalerie plante. Es ist meine Absicht, das ganze Haus in dieser Weise einem kommenden Geschlechte herzurichten, und ich rechne dabei sehr auf Ihren Rat!«
»Wenn er Ihnen in der That von Nutzen sein kann, so gebe ich ihn nur zu gern,« sagte der Doktor, bescheiden die Augen niederschlagend. »Aber Sie sprachen mit soviel Sicherheit von einem kommenden Geschlecht und wissen doch, daß das Geschlecht der Falkner nur noch vier Augen zählt!« –
»Ja, ich weiß es,« entgegnete sie, immer noch mit der Musterung ihrer Wände beschäftigt, »aber man kann doch nur auf zwei Augen zählen – die meinigen gelten nichts, denn wenn sie sich schließen, so ist das von keinem Einfluß auf den Stammbaum.«
»Wer weiß,« bemerkte Ruß mit besonderer Betonung.
»Nein, gar nicht,« erwiderte Dolores ruhig, »ich beschließe das Geschlecht ja nicht, und Baron Alfred wünsche ich, daß er es den Traditionen entsprechend weiterführt. Ich bin als ganz unerwarteter Eindringling in der Erbfolge erschienen, und da eine Ablehnung derselben mir nichts helfen konnte, so will ich den Falkenhof so instand setzen, daß meine Nachfolger nicht über die Zeit meiner Lehnsherrschaft klagen sollen.«
Doktor Ruß sah sein Visavis prüfend an.
»Sie sprechen, als hätten Sie große Eile mit dieser Instandsetzung,« sagte er lächelnd.
»Gewiß, denn ich weiß ja den Tag und die Stunde nicht, wenn ich sterben werde,« erwiderte sie ruhig.
Der Doktor wiegte sinnend den Kopf hin und her.
»Nein,