Der Wagen rollte endlich zum großen Staunen der barfüßigen, flachsköpfigen Jugend in das Dorf und bog in den Hof des Dominiums ein, in welchem Enten und Gänse einherwatschelten, ein altes Pony einen grünen Fleck abgraste und mehrere Schweine und Ferkel sich in einer Pfütze inmitten des Hofes wälzten.
Beim Vorfahren der Equipage vor die Hausthür geriet ein auf der Schwelle träumender Truthahn in eine blinde Wut und suchte die Pferde zu attackieren, ein Pfau schrie infolgedessen laut auf, ein Hofhund kam laut bellend angerannt, die Gänse schnatterten und schrieen, das Pony wieherte, die Schweine grunzten – kurz, es entstand ein Höllenkonzert. Infolgedessen erschien ein neugieriger Kopf an einem der erblindeten, vielleicht seit Jahren nicht geputzten Fenster, und bald darauf trat der Inhaber dieses Kopfes, ein Mensch in schäbiger Livree, heraus und kam an den Wagen.
Da man in dem Spektakel sein eigenes Wort nicht verstehen konnte, so reichte Dolores einfach ihre Karte aus dem Wagen heraus, dessen Schlag ihr eigener Diener inzwischen geöffnet hatte. Der schäbige Lakai prüfte erst den Namen auf der ihm gereichten Karte, dann verschwand er in dem Hause. Indes der Hofhund fortfuhr betäubend zu bellen, der Kutscher Not hatte, die Pferde in Ruhe zu halten und die Gänse und Enten neugierig den Wagen umstanden, hatte Dolores Muße, das sogenannte Schloß zu betrachten – ein entsetzlich verwahrlost aussehendes Gebäude aus dem Anfang dieses Jahrhunderts – steif und schmucklos, von dessen Mauern der Mörtel stellenweise abgefallen war, auf dessen Dach die abgefallenen Fachwerke mitunter das Sparrenwerk sehen ließen.
Doch kaum hatte Dolores diese letztere Bemerkung gemacht, als schwere Tritte eine Holztreppe herabdröhnten und Graf Schinga selbst seinem Gast entgegeneilte, aber an Stelle einer Begrüßung erst mit einem donnernden: »Will er sich wohl kuschen!« auf den Hund losfuhr. Nachdem diese Einleitung ihre Wirkung gethan, half er Dolores aus dem Wagen und reichte ihr den Arm.
»Furchtbar nett von Ihnen, Baronin, uns aufzusuchen,« rief er ihr zu. »Meine Frau freut sich sehr, Sie zu sehen – führe Sie gleich zu ihr. Müssen aber entschuldigen, ist noch im Negligé wegen der Hitze. Na, wenn man auf dem Lande ist, schad't das wohl nichts, was?«
Dolores versicherte, es schade wirklich nichts, sie käme ja wegen der Gräfin und nicht wegen deren Kleider.
»Hahaha!« lachte Schinga wiehernd los, »gut geantwortet! Passen ganz zu uns, liebe Baronin! Schönes Wetter, was?«
Endlich waren sie die steile Treppe emporgeklommen, und Schinga öffnete eine Thüre.
»Die Baronin Falkner, liebe Bronislava!« rief er durch die Spalte.
»Elle est bienvenue,« antwortete eine Stimme drinnen. Schinga stieß die Thür auf und führte Dolores in ein dermaßen verdunkeltes Gemach, daß diese anfangs nichts sah, zudem schwebte ein fast undurchdringlicher Dampf von türkischem Tabak in der Luft.
Aus dieser Dämmerung löste sich jetzt eine kolossale weibliche Gestalt in hängenden, weißen Gewändern, von der Dolores möglichst viel zu erkennen trachtete, da sie in ihr die Gräfin Schinga vermutete. Ein bis zur Achsel nackter Arm mit einem sonderbaren spiralförmigen Armband löste sich aus den bis obenhin geschlitzten Ärmeln, reichte ihr die Hand und die Gestalt sprach langsam: »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Baronin. Comment vous portez-vous? – Hippolyt, ziehe doch die Jalousien auf!«
Indes Graf Schinga dieser Aufforderung nachkam, geleitete die Gräfin Dolores zu dem Sofa, das eigentlich mehr Chaiselongue war, wobei letztere auch an dem linken Arm ihrer Wirtin den seltsamen Schmuck bemerkte, wie an dem rechten. Die geöffneten Jalousien und Fenster enthüllten nun ein einstmals sehr kostbares, aber jetzt stark eingewohntes Gemach im türkischen Geschmack, dessen Wände, Polster und Dielen, kostbare, golddurchschossene Teppiche bedeckten, dessen Möbel von Rosenholz schöne Inkrustierungen zeigten. Auf dem Tisch vor dem Sofa lag eine dichte, sehr dichte Staubschicht und auf dieser stand ein Nargileh, ein Kasten mit Tabak, ein Karton mit kandierten Früchten, und neben diesen lag ein broschierter Roman von Zola, halb aufgeschnitten.
»So,« sagte Schinga, »nun hätten wir Licht und können gemütlich plaudern. Also, liebe Baronin – hu!« unterbrach er sich, indem er sich sichtlich vor Entsetzen schüttelte und mit einem Satz nach der Thür retirierte. »Thu' diese scheußlichen Würmer fort, Bronislava!« Die Gräfin hob lachend beide Arme in die Höhe, und nun fuhr auch Dolores schaudernd empor – denn die seltsamen, spiralförmigen Armbänder, die sie trug, waren lebende, kühle, glitzernde kleine Schlangen, die mit ihren Köpfen blitzschnell hin und her fuhren.
»Wie, Baronin, Sie fürchten sich auch vor den süßen, kleinen Dingern?« rief die Gräfin erstaunt. Dolores zog sich schaudernd nach der Thür zurück.
»Es ist nicht Furcht,« sagte sie, »ich fürchte mich niemals, aber ich fühle ein solches Grauen vor diesen Tieren, daß ich es fast Idiosynkrasie nennen möchte. Sie sind es, die mir den Aufenthalt in meiner zweiten Heimat Brasilien so sehr verleiden –!«
»Kommen Sie, Baronin,« sagte der Graf und sah dabei sehr böse aus. »Wir wollen bei mir einkehren, denn Sie sehen nun wohl ein, daß man mit meiner Frau nicht verkehren kann!«
»Bleiben Sie,« rief die Gräfin, sich erhebend. Dann streifte sie die Schlangen von den üppigen Armen, that sie in einen Korb und schloß dessen Deckel. »So, nun sind sie gefangen, die armen Dinger. Setzen Sie sich, Baronin, und nehmen Sie eins von diesen kandierten Ingwerstücken – oder ziehen Sie ein Nargileh vor? Nicht? Nun, so gestatten Sie mir das meinige!«
Ihr Grauen überwindend, nahm Dolores wieder Platz, ebenso der Graf, der dabei den Korb nicht aus den Augen verlor, indes die Gräfin den Schlauch ihrer türkischen Wasserpfeife ergriff und langsam zu rauchen begann. Sie mußte einst sehr schön gewesen sein, aber Stürme mancher Art hatten ihre Züge verschärft, und der mehr als negligéartige Anzug, das wirre, schwarze, ungekämmte Haar gaben ihr ein Aussehen der Vernachlässigung, das zu ihrem Alter nicht stimmte, denn sie mochte erst Mitte der Dreißig sein. Dolores wunderte sich, wie man Besuch in Gegenwart von Herren in einem Kostüm empfangen könnte, das eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Nachthemd hatte, und als ihr Blick einmal an den kolossalen Formen ihrer Wirtin herabglitt, bemerkte sie in dem rosaseidenen Strumpfe der Dame, der eben sichtbar war, ein großes Loch, das der stark benutzte Pantoffel nicht ganz verbergen konnte.
»Hippolyt, schicke uns doch etwas Eis herauf,« wandte sich die Gräfin nach wenig Worten an ihren Gatten, der mit einer Eile verschwand, die bewies, wie ungemütlich ihm der Aufenthalt angesichts des bewußten Korbes sei.
Auch Dolores empfand genug davon, um länger zu bleiben, aber die Gräfin wollte von einem Aufbruch nichts wissen.
»Nein, nein, Sie müssen noch bleiben,« bat sie, »die Schlangen sind wirklich ganz sicher dort im Korbe, sie können nicht heraus – und ich habe auch nur diese zwei. Außerdem schickt Hippo uns gleich Eis herauf – der Koch muß im Sommer immer welches bereit haben!«
Dolores ergab sich in ihr Schicksal.
»Aber, Frau Gräfin, was in aller Welt veranlaßt Sie nur, sich solch' fürchterliche Tiere zu halten?« fragte sie mit leisem Schauer. »Sie können doch unmöglich Gefallen daran finden, und der Graf graut sich vor ihnen!«
»Eben deshalb halte ich sie,« erwiderte die Gräfin sehr kaltblütig, aber als Dolores sie überrascht anblickte, sah sie, daß die dichten, dunklen Augenbrauen der Dame sich zusammengezogen hatten.
»Nicht wahr, das ist sonderbar?« fuhr die Gräfin fort. »Aber es giebt viel Sonderbares auf der Welt, von dem Sie nichts ahnen! Heiraten Sie niemals. Niemals, hören Sie?«
»Ich werde mir's merken,« erwiderte Dolores lächelnd.
»Oder thun Sie's, wenn Sie elend sein wollen fürs ganze Leben,« rief die Gräfin heftig, »denn Sie glauben's doch nicht, wenn man Sie warnt. Ah, da kommt das Eis!«
Die Dame des Hauses warf den Schlauch ihres Nargileh beiseite und half dem eintretenden Diener