Falkner sah die Prinzessin Eleonore zum erstenmal seit ihrer Einführung in die Welt – selten nur war ihm im kleinen Kreise bei ihrer ältesten Schwester die »Kleine« begegnet, und er hatte ihrer nicht sonderlich geachtet. Jetzt trat ihm ihre Elfenerscheinung doppelt überraschend entgegen, und er sagte sich, daß ihm früher eine solche junge, rosige Mädchenblüte hätte gefährlich werden können, denn »früher« war eine solche, gerade in dem Genre der kleinen Prinzessin, sein Ideal gewesen.
Aber wie er das bedachte, mußte er lächeln und dann sich selbst zürnen – denn dieses »früher« war nur wenig Monde alt, und er hatte nie gedacht, daß ein bleicher, edler Kopf mit rotem Haar ihm gefährlich werden könnte. Und nun gar gefährlich! Hatte er diese Gefahr nicht zurückgewiesen, wollte er ihr jetzt nicht dreist unter die Augen treten? Er hätte im Zorn gegen sich selbst und sein rebellisch Herz wüten können, denn wo blieben seine Prinzipien, wenn er diesem Herzen nachgab?
In diesem Kampfe bemühte er sich, Prinzeß Lolo so reizend zu finden als irgend möglich und in ihrer Erscheinung alles das zu sehen, was ihm sonst Ideal gewesen, und das hätte ihm ja so schön gelingen können, wenn nicht die berauschende Erscheinung der Satanella immer und immer zwischen sein geistiges Auge und andere Frauengestalten getreten wäre.
Als er sich am Tage nach seiner Ankunft auf Monrepos nach dem Falkenhofe zu gehen anschickte, um daselbst seine Mutter zu begrüßen, stand der Entschluß in ihm fest, eine Begegnung mit Dolores, selbst auf Kosten der Höflichkeit zu vermeiden. Bereits an der Grenzscheide der Nachbargüter stehend, holte ihn Keppler ein.
»Sie gehen nach dem Falkenhofe?«
»Ja.«
»Dann gestatten Sir mir, mich Ihnen anschließen zu dürfen – ich will der Baronin Dolores meinen Besuch machen.«
»Bitte!« – Falkner sagte es sehr kurz und unangenehm berührt – die Scene im Atelier damals fiel ihm ein, und ein sonderbares Gefühl beherrschte wieder sein Empfinden – die Eifersucht. Er wußte, daß er dazu kein Recht und vielleicht auch keine Berechtigung hatte, aber wer kann für sein Empfinden?
»Erwartet die Herrin vom Falkenhof Ihren Besuch?« fragte er.
Keppler schüttelte mit dem Kopfe.
»Sie weiß wahrscheinlich nicht einmal, daß ich ihr so nahe bin,« sagte er, »und ich weiß nicht, ob ich ihr willkommen sein werde. Doch gleichviel –«
Er brach kurz ab, und der scharfe Blick Falkners sah es seltsam arbeiten in des Malers markigen Zügen.
Und er hatte diesen Mann einst auf den Knieen vor dem rothaarigen Mädchen drüben liegen sehen – und das Blut stieg ihm zu Kopfe in dem Gedanken daran.
Schweigend schritten sie dahin durch den schattigen Park, der, kühl, selbst in der Mittagsstunde einen wonnigen Aufenthalt gewährte, bis sie an einen freien Plan gelangten, auf dessen smaragdgrüner Rasenfläche die Sommersonne lagerte und in den Zweigen der Blutbuchen, Linden, Eschen, Ulmen und Föhren spielte.
»Wie herrlich schön,« rief Keppler aus. »Ich sah niemals einen wonnigeren Park, in dem Kunst und Natur sich so wunderbar verschmelzen, daß man die erstere kaum gewahr wird, außer in wohlthuender Weise.«
»Ja, der Falkenhof ist ein herrlicher Besitz,« sagte Falkner warm.
»Er scheint mir ein kleines Königreich,« rief Keppler, »ein Königreich, dessen Eichenkrone wie geschaffen ist für die weiße Stirn der Donna Dolores.«
»O ja, ich weiß – Sie schwärmten stets für diese Dame,« entgegnete Falkner, nur um etwas zu sagen.
»Schiene die Sonne für sie allein und ließe alle anderen im Dunkel – ich fände es nur natürlich,« sagte der Maler leise, wie für sich.
»Es ist ein Glück, daß solche Wünsche nicht in Erfüllung gehen können,« meinte Falkner spöttisch. »Sie treiben ja den reinsten Kultus mit Ihrem Ideale, lieber Keppler.«
»Verschmälern Sie mir denselben nicht,« bat der Künstler einfach. »Es ist ja das einzige, was mir von dem Hoffnungstraume geblieben, den ich dereinst geträumt.«
»Ah – Sie wurden verschmäht –!« fuhr es schnell über Falkners Lippen. »Verzeihen Sie,« fügte er sogleich hinzu, »ich wollte nicht indiskret sein.«
»Ich weiß es,« erwiderte Keppler, »es bedurfte nicht Ihrer Versicherung, und am Ende thut es ja doch gut, einmal davon sprechen zu können. Nein, verschmäht bin ich und meine Hand nicht worden, nur nicht angenommen. Lächeln Sie nicht über den Narren, der sich ein milderes Wort für eine herbe Thatsache sucht, Falkner, und die bittere Pille vergoldet. Nein, das freie offene Geständnis, daß ihr Herz noch nicht gesprochen, daß sie es ungefragt nicht verschenken könne – das nennt man nicht verschmähen – den Stachel hab' ich nie gefühlt.«
»Aber sie wußte von dem reichen Erbe, sie kannte ihren wahren, hochgeborenen Namen, mit dem sie Höheres erreichen konnte, als die Frau eines Künstlers zu werden,« sagte Falkner, und er haßte sich selbst für diese Worte.
Jetzt hemmte Keppler seinen Schritt.
»Niederes Denken und Gewinnsucht sind Dinge, die der Donna Dolores nie nahe getreten sind,« sagte er fest und mit solcher Überzeugung, daß Falkner ihm dankbar war für das gute Wort und doch zornig, daß er es nicht sprechen konnte.
»Ich werde es nie dulden,« fuhr Keppler fort, »daß der geringste Flecken dem Namen der Donna Dolores angeheftet wird, sei es, wer immer es sei, der es thun will!«
»Sie haben recht,« erwiderte Falkner sinnend. »Man muß stets sein Ideal verteidigen und so hoch stellen, daß kein Staubwirbel von der allgemeinen Landstraße des Lebens es erreichen und besudeln kann. Wer das nicht thut, verdient kein Ideal zu haben, und sein Leben wird öde und leer sein.«
Keppler warf einen raschen Blick auf seinen Nachbarn – der schritt neben ihm her mit gesenktem Kopf, und durch seine Worte zitterte ein Ton, für den er selbst vielleicht keinen Namen gehabt hätte.
Schweigend gingen sie weiter, und als sie in die Lindenallee einbogen, die direkt bis vor das Nordportal des Falkenhofes führte, standen sie plötzlich einer hohen schwarzgekleideten Gestalt gegenüber, die ihr goldrotes Haar wie eine Königskrone über der weißen Stirn trug – Dolores.
Sie stieß einen kleinen Schrei der Überraschung aus, und dabei flog es rosenrot über ihre Wangen – sie war wunderschön so, übergossen vom Sonnenlicht, schöner fast, als in dem dämonischen Kostüm der Satanella auf dem Scheiterhaufen.
»O Keppler, lieber Freund, sind Sie es wirklich? Wie ich mich freue, Sie zu sehen!« rief sie herzlich und reichte ihm beide Hände – ein kaum merkliches Neigen des Hauptes grüßte dabei den Mann an des Malers Seite.
»Sie kommen gewiß, Ihre Mutter zu besuchen, Baron Falkner,« sagte sie mit ganz anderem Tonfall als vorher. »Ich kann Ihnen zufällig sagen, daß sie im Zelte sitzt.«
»Ich danke!«
Meilenweite Entfernungen wünschte er in diesem Augenblick zwischen sich und sie legen zu können – unüberbrückbare Klüfte, reißende Ströme, und doch mußte er neben ihr die ganze lange Allee herschreiten, denn das »Zelt« lag schnurgerade vor ihm am Ende der Allee und abzubiegen und einen Umweg zu machen, wäre lächerlich gewesen, und sein Stolz erlaubte es nicht.
»Und nun sagen Sie mir, Freund Keppler, von wannen der Wind kam, der Sie hierher geführt,« fuhr Dolores heiter fort. Und Keppler erzählte, wo er sei und zu welchem Zwecke.
Als aber Falkner urplötzlich, eine leichte Verbeugung machend, schnellen Schrittes dem Zelte zueilte und Dolores sofort umdrehte, rief er:
»Mein Gott, was ist zwischen ihm und Ihnen geschehen,