»Du hast doch unrecht,« sagte er endlich leise mit seltsamem Lächeln. »Das Tüpfelchen über dem i ist noch nicht gemacht, denn ich weiß noch nicht genau, wie ich es machen soll. Sei aber unbesorgt, ich werde das ›wie‹ schon finden – darin hast du mich wirklich kennen gelernt.«
Sein Blick fiel hinaus aus dem Fenster und dabei bemerkte er Dolores, die, ein Buch in der Hand, einem schattigen Platz zuschlenderte.
»Wie schön sie ist,« murmelte er. »Aber wir wollen uns wie Siegfried mit Drachenblut gegen ihren Zauber stählen und Sorge tragen, daß kein Pfeil uns treffen kann. Was hilft's? Wenn eine Statue des Praxiteles meinen Weg sperrte, so würde ich sie zerstören, um weiter zu kommen, trotzdem ich Kunsthistoriker bin. Natürlich ist's besser, sie läßt sich zur Seite schieben – aber wenn nicht –? Ich glaube, ich bin ein Stück Fatalist, denn ich kann ganz kaltblütig denken, daß ihr Schicksal bestimmt ist.«
Und damit wandte sich der Doktor ruhig zu seinem Artikel über die Schönheit des germanischen Haares.
***
Prinzeß Alexandra hatte binnen wenig Tagen ihren gewohnten, musikalischen Zirkel auf Monrepos zu vereinigen gewußt, glücklich darüber, daß auch Dolores demselben regelmäßig anzugehören versprach.
Da war vor allem der Herzog, der gut und gewandt Violine spielte, Gräfin Schinga als brillante Virtuosin auf dem Flügel, der Pfarrer von Arnsdorf als Cellist, Prinzeß Alexandra als Orgelspielerin, Prinz Emil als Sänger. Prinzeß Lolo war trotz ihrer eminenten Begabung kaum mitzurechnen, denn sie verdarb oft das Trio, worüber der Herzog sich mehr als nötig alterieren konnte.
Es war ein wunderschöner, mondheller Abend, der die kleine, musikliebende und musikalische Gesellschaft auf der Terrasse versammelte. Fräulein von Drusen besorgte das wichtige Geschäft des Theeaufgießens und versorgte die Anwesenden mit kleinen, weißen Schalen voll des duftenden, dampfenden Trankes des Reiches der Mitte, und dazu plauderte man ungezwungen. Hier saß Se. Hoheit neben der imposanten Gestalt der Gräfin Schinga, die elegant gekleidet in schwerer, dunkler Seidenrobe ohne Schlangenarmbänder immerhin noch eine auffallend prachtvolle Erscheinung mit echt slawischem Typus war. Dort blätterten Prinzeß Alexandra und Keppler in einer Skizzenmappe – da stand Alfred von Falkners hohe, gebietende Gestalt neben dem Elfenfigürchen der Prinzeß Lolo, die ihm, vom Hundertsten ins Tausendste überspringend, vorplauderte – und in all' diese Gruppen hinein machte Graf Schinga mit Donnerstimme seine Bemerkungen, für deren Gehalt an Geist niemand die Bürgschaft übernommen hätte.
Mitten in diesem Plaudern wurde gegenüber der Terrasse die vergoldete eiserne Thür geöffnet, und Dolores erschien in dem Garten. Sie trug ein schwarzes Schleppkleid von schwerer Seide und Samt zusammengestellt, der Trauer wegen ohne Schmuck von Perlen oder weißen Spitzen. Es schloß sich hoch am Halse mit schwarzem Spitzenjabot, welches nur mit einer Brosche von Jett befestigt war, in deren Mitte ein herrlicher Solitär funkelte. Schwarze, lange Handschuhe bedeckten die Hände bis über den Ellbogen, und über das leuchtende Haar hatte sie einen spanischen Spitzenschleier geworfen – eine Toilette, deren Farblosigkeit ihre aparte Schönheit wunderbar hob.
»Sie sieht aus, wie eine bleiche, warme Mondnacht,« sagte Keppler, die Herannahende betrachtend.
»Schöner noch als in den Flammenkleidern der Diavolina,« fuhr es durch Falkners Sinn, als sein Blick auf sie fiel. »In diesen dämonisch schön, siegend, sinnverwirrend – hier königlich, nicht minder siegreich, aber fern – unnahbar.«
So schritt sie die Stufen hinauf, geleitet von dem Erbprinzen, der ihr entgegengegangen und den Arm geboten hatte, oben herzlich begrüßt von Prinzeß Alexandra, die sie dem Herzog und ihrer Schwester vorstellte.
»Auf gute Nachbarschaft, Baronin,« sagte Se. Hoheit, vergnügt schmunzelnd, denn er wußte die Schönheit wohl zu würdigen, wo er sie fand.
Prinzeß Lolo reichte Dolores auch ihr kleines Händchen mit einem fast schüchternen »Guten Abend.«
»Ich hatte nicht gewußt, daß diese brasilianische Cousine von Ihnen so schön ist, Baron,« sagte sie gleich darauf zu Falkner. »Und was für einen Teint sie hat – diese Morbidezza! Und dabei nicht einen Hauch Puder darauf –«
»Ich glaube, das findet sich oft zu roten Haaren,« erwiderte Falkner zerstreut, und blickte nach dem bleichen, wunderschönen Antlitz hinüber, unter dessen goldener Haarkrone die schwarzen Samtaugen, überragt von den feinen, sich über der Nasenwurzel vereinenden Brauen jedes ihrer Worte mit sprechendem Ausdruck begleiteten. Ihn hatten diese Augen nicht einmal gestreift, und er wußte, daß er selbst sich jedes Anrecht darauf verwirkt hatte.
»Man sagt, man trifft die Morbidezza häufig bei den Frauen des Südens,« plauderte Lolo weiter. »Ich finde, ein solcher Teint sieht so furchtbar apart und interessant aus, nicht wahr?«
»Ich ziehe den rosigen, frischen Teint unserer Nordländerinnen vor,« erwiderte Falkner laut und sah dabei die kleine Prinzeß an, die in ihrem weißen Gewande und Rosen im Flachshaar wie Titania selbst vor ihm stand – denn eben ging Dolores an ihm vorbei, und ein Dämon in der Brust zwang ihn, Stachel um Stachel der Dornenkrone zuzugesellen, die er begonnen hatte für sie zu flechten, seit er ihr zum erstenmal begegnete.
Aber Dolores zuckte nicht – heiter blickte ihr Auge auf den Rosenflor des Herzogs hinab – sie war ja so erhaben über die kleinliche Eitelkeit, die alle Bewunderung für sich in Anspruch nimmt, und wieder war Falkner gezwungen, es anzuerkennen.
Wenn die Herrin des Falkenhofes schon in der ersten halben Stunde ein mit Interesse empfangener Gast des fürstlichen Kreises war, und selbst Fräulein von Drusen anerkannte, daß sie ladylike sei, so wurde sie der Mittelpunkt aller, nachdem sie gesungen hatte.
Man hatte nach dem Thee den Musiksaal im Parterre des Schlößchens betreten, und ein Präludium von Bach, auf der kleinen, aber trefflichen Orgel von Prinzeß Alexandra vorgetragen, eröffnete den Abend. Voll und mächtig fluteten die erhabenen Klänge durch die offene Glasthür hinaus in die mondhelle Nacht, gleich einer Hymne, und es war schön zu sehen, wie die edle Gestalt der Spielerin vor dem Instrumente saß, gleich einer heiligen Cäcilie – tiefe Andacht in den ausdrucksvollen Zügen und jeder der von ihr gespielten Noten mit Verständnis folgend.
Nachdem das Präludium verklungen, öffnete der Herzog seinen Geigenkasten und hob seine treffliche, alte, braune Geige heraus.
»Und nun zum Trio,« rief er. »Pfarrer, rüsten Sie Ihr Cello – Gräfin Schinga, wir bitten um das a!«
»Gern, Hoheit,« sagte die Gräfin, sich erhebend, »aber wird nicht Prinzeß Eleonore – –«
»Lolo kann allein spielen,« entschied der Herzog. »Sie ist nicht imstande, Takt zu halten und mit den Instrumenten zu gehen – nein, zum Trio brauchen wir ausdauernde, sich ihrer Aufgabe bewußte Spieler.«
Infolge dieses Entscheides trat die Gräfin an den Flügel und gab den Ton an, und Dolores wunderte sich, ob die Frau im saloppen Hauskostüm wirklich die Spielerin sei, die der Herzog in ihr voraussetzte.
»Ich bin nur froh, daß ich nicht vor Angst am Flügel zu sterben brauche,« flüsterte Prinzeß Lolo Falkner zu. »Papa ist so streng, und diese Trios sind so langweilig – –«
»Aber klassisch,« erwiderte der Freiherr lächelnd.
»Ja natürlich –! Ich meinte auch nur, sie seien so langweilig zum Spielen und Studieren.«
»Es muß wohl sehr schwer sein, durch so viel Seiten hindurch aufmerksam zu bleiben,« meinte Falkner ironisch.
»Ach ja, entsetzlich,« seufzte das Prinzeßchen. »Ich kann immer nur fünf Minuten in derselben Stimmung bleiben.«
»Perpetuum mobile,« sagte er, auf das Flachsköpfchen herabsehend, das mit sprechenden Vergißmeinnichtaugen zu ihm emporsah und über den Blick errötete, mit dem er sie maß. Und dabei fuhr es ihm durch den Sinn. »Ob man mir wohl erlauben würde, die Höhe eines Thrones zu ersteigen, um die unter dem Purpur erblühte Rose für mich zu pflücken?«
Im nächsten Augenblicke