Plötzlich beugte sie sich herab, ergriff den Pantoffel und warf ihn über den Tisch hinüber, direkt auf das Buch, in dem der Erbprinz las.
»Bei allen Rosen Papas, was seid ihr beide heut' langweilig,« rief sie dabei.
»Lolo!« fuhr der Erbprinz auf und schleuderte den Pantoffel vor die Füße seiner Schwester. »Was sind das wieder für unziemliche Späße!«
Die kleine Prinzeß verzog ein wenig das Mäulchen.
»Warum bist du auch so langweilig,« klagte sie, »warum mußten wir überhaupt hierher gehen, uns zu langweilen –«
»O, das ist nur auf deiner Seite, Kind,« sagte Prinzeß Alexandra ruhig. »Papa, Emil und ich, wir sind so glücklich hier in unserer Ruhe, unseren liebsten Beschäftigungen, in denen kein Zwang uns stört. Möchtest du dir nicht auch solch' eine Lieblingsbeschäftigung suchen, liebe Lolo?«
»Die sie haben möchte, findet sie nicht hier,« grollte Prinz Emil, nicht ohne Bezug.
»Nun?« Prinzeß Alexandra sah fragend auf.
»Mit aller Welt zu kokettieren,« ergänzte der Erbprinz.
»Emil!« sagte die älteste Schwester ernst und vorwurfsvoll, indes die Jüngste wie eine Rose erglühte und mit ihrem Pantoffel Ball zu spielen begann.
Der Prinz legte sein Buch auf den Tisch und kreuzte die Arme.
»Ich weiß, was ich sage,« rief er, »und ich will es auch verantworten, es hat mich oft genug empört, dieses ewige Blicke werfen, dies Lächeln und bezeichnende Fächerspiel.«
»Bist du fertig?« fragte die kleine Prinzeß spöttisch, als ihr Bruder schwieg.
»Mein Gott, Emil, wie meinst du das alles?« rief Prinzeß Alexandra beunruhigt.
»Ihr waret so sehr erstaunt, daß ich auf die Versetzung des Leutnants von Fels drang,« fuhr der Erbprinz heftiger fort, »wohl, es geschah, weil ich den armen jungen Menschen, der bis über die Ohren in Lolo verliebt war, vor schweren Enttäuschungen bewahren wollte. Sie, die Prinzessin von Nordland hätte ihm zeigen müssen, daß seine Hoffnungen vermessen waren, aber statt dessen ermutigte sie ihn fortwährend. Das war schlecht von dir, und unwürdig deines Ranges!«
Prinzeß Lolo war jetzt etwas blässer geworden und schlug mit ihrem Pantoffel einen Marsch am Tischrande.
»Fels ist das reine Baby an Verstand,« sagte sie wegwerfend. »Er fahre hin!«
»Mit tief verwundetem Herzen,« grollte der Erbprinz.
»O, Unsinn,« rief Prinzeß Lolo leicht. »Die Männer trösten sich so schnell!«
»Dürfte ich fragen, von wannen diese achtzehnjährige Ansicht kommt?«
Aus den süßen Vergißmeinnichtaugen der Kleinen schoß jetzt ein scharfer Strahl, sie antwortete aber nicht.
»Lolo, wenn du wüßtest, wie sehr mich das betrübt,« sagte Prinzeß Alexandra leise, die Schwester mit traurigem Blicke messend.
»Um Gottes willen, keine Lektion! Das fehlte noch in diesem weltvergessenen Winkel,« rief Prinzeß Lolo, indem sie aufsprang und sich beide Ohren zuhielt. »Ich möchte wissen, wie es euch gefallen würde, dieses ewige Hofmeistern! Glaubt ihr, daß es mir Spaß macht? Die Ehre, eine Prinzessin von Nordland zu sein, ist sehr langweilig, soviel weiß ich, und ich werde mich nächstens dafür bedanken!«
Mit diesen Worten streifte sie ihren Pantoffel auf den Fuß und sprang die Treppen der Terrasse hinab, dem Rosenrondel zu, an dem der Herzog schaffte.
»Sie ist meinem Einfluß entwachsen,« sagte Alexandra traurig. »Ich habe sie gehütet und gepflegt und die bösen Triebe zu entfernen gesucht, wie Papa es mit seinen Rosen thut! Sie war ja immer eigenwillig, aber sie fügte sich doch – das aber war offene Rebellion!«
»Und in zwei Jahren ist ihre Ausbildung zur Erzkoketten vollendet,« rief der Erbprinz.
»Emil, du bist zu hart,« sagte die Prinzeß mit leisem Vorwurf. »Bedenke, sie ist unsere Schwester, und noch so jung – ein Kind!«
»Eben dafür sind ihre geselligen Anfänge aller Ehren wert. Bedenke nur, liebe Sascha, sie hat im vergangenen Winter ihr erstes Auftreten in der Welt gemacht; sie hat, was bei ihrem Liebreiz und ihrer beauté du diable sehr natürlich ist, enorm gefallen, sie hat Epoche gemacht an unserem Hofe, und alles verwöhnt sie. Dieses süße Gift hat seine Wirkung auf sie nicht verfehlt, sie weiß sich angebetet, sie fühlt sich souverän und frei von unserem Einfluß, und ihre bessere Einsicht muß zurücktreten.«
»Wie aber kann da geholfen werden?« rief Prinzeß Alexandra bekümmert.
»Man muß Lolo vermählen – ich sehe kein anderes Mittel! Einem Manne vermählen, der es versteht, sie zu leiten und ihren Eitelkeitsrausch zu dämpfen. Natürlich bleibt bei allen Chancen noch die Furcht, daß ihre Ehe eine unglückliche ist. Sie müßte denn ihren Gemahl wahrhaft lieben!«
»Lieben!« wiederholte die Prinzeß, »ach, dann sind unsere Aussichten traurig, denn wo finden wir armen Fürstentöchter Liebe bei uns Ebenbürtigen. Die Liebe führt bei uns den modernen Namen Konvenienz.«
»Dann ist es unsere Pflicht, Lolo so zu lieben, daß ihr gestattet sein muß, sich dem Manne ihrer Wahl zu vermählen,« sagte der Erbprinz fein, und dabei leuchtete es in seinem Antlitz gar freundlich auf.
»Eine Mesalliance?« Prinzeß Alexandra war etwas blaß geworden. »Emil, du weißt, wie sehr ich dagegen bin, nicht aus Hochmut oder Vorurteil, sondern weil es nicht gut thut, wenn Menschen aus dem Stande, in dem sie geboren und erzogen wurden, heraustreten. Die Prinzipien, in denen sie aufgewachsen, lassen sich nicht ausreißen, wie man eine Pflanze dem Erdreich entreißt, sie brechen früher oder später doch da durch, wo sie eine tiefe, mitunter unüberbrückbare Kluft reißen.«
»Sehr richtig, liebe Schwester, für den Fall, daß ein Fürstenkind in kleinbürgerliche Verhältnisse gerät. Aber Lolo könnte ja einen Edelmann wählen!«
»O, Emil, laß mich das alles erst überdenken! Wenn du wüßtest, in welches Dilemma ich hier geraten bin – und wer kann mir sagen, wie ich recht handle als Schwester an Mutterstatt! Ich baue noch auf Lolos Jugend – ihr Charakter ist noch ungeformt –«
»Aber ungeformt ist der weiche Stoff schon erhärtet von dem süßen Gift der Bewunderung! Das hat einen festen Panzer gelegt um das junge Herz, an dem gleiten unsere Bemühungen ab, besonders, da Lolo eine wirklich gefährliche Anlage hat, eine Kokette zu werden. Und ich muß gestehen, ich fürchte für sie, wenn unsere diesjährigen Sommergäste kommen und sie in dieser Zurückgezogenheit keine andere Gelegenheit hat, ihren Zauber wirken zu lassen!«
»Es kommen Baron Falkner und Herr Keppler« – sagte die Prinzeß nachdenkend.
»O,« meinte der Prinz, »was Falkner betrifft, so ist er nicht der Mann, sich davon fangen zu lassen, in dieser Beziehung können wir ruhig sein. Aber Keppler ist ein interessanter Mensch in den besten Jahren, empfänglich für alles Schöne, besonders, wenn er berufen ist, dieses Schöne zu malen. Wir müssen eben acht geben, um im nötigen Moment einzugreifen!«
Hier wurden die Geschwister unterbrochen, denn der Kammerdiener des Herzogs brachte auf einer silbernen Platte die eingelaufenen Briefe und Zeitungen, und der alte Herr nahte sich deshalb der Terrasse, am Arm seine jüngste Tochter, die ihm vorplauderte und vorlachte, daß das faltige Antlitz dieses Souveräns en miniature zu strahlen begann.
»Gott sei Dank, daß wir wieder auf dem Lande sind,« rief er vergnügt, indem er die Briefe zu sortieren begann.
»Ich finde es in der Stadt amüsanter,«