»Was ist das für Eis?« schrie sie dem Diener entgegen.
»Erdbeer und Vanille, gnädige Gräfin –«
»Esel!« Und mit diesem Liebesnamen flog dem in seiner Einfalt Antwortenden einer der stark getragenen Pantoffeln der Dame an den Kopf.
Dolores fühlte sich aufs peinlichste berührt. Auch sie hatte das Eis gekostet und zurückgestellt – es schmeckte wie gefrorenes Salzwasser. Aber das war in ihren Augen noch kein Grund, den daran unschuldigen Diener dafür zu strafen, und zudem begriff sie nicht, wie man einen solchen überhaupt in sein Zimmer treten lassen konnte, wenn man sich in solch' tiefem Negligé befand, wie ihre Wirtin. Der Mensch räumte alles wieder fort und ging. Dolores erhob sich.
»Ich glaube, es ist Zeit für mich, zurückzufahren,« sagte sie, aber die Gräfin zog sie wieder auf das Sofa nieder.
»Bleiben Sie noch, bitte,« sagte sie. »Und wenn Sie's aus Sympathie nicht thun können, so thun Sie's aus Barmherzigkeit. Ich bin ja immer allein!«
Dolores sah überrascht auf – das war wie ein Ruf der Verzweiflung, der ihr da entgegentönte, es schien als ob das Wundern in diesem Hause kein Ende nehmen könnte.
»Und Sie werden wiederkommen, nicht wahr? Und ich darf Sie besuchen?« fuhr die Gräfin fort. »Ach, es ist schrecklich, so jahraus, jahrein zu sitzen und mit niemand sprechen zu können, denn wir bleiben immer in Arnsdorf, Sommer und Winter.«
»Aber Ihr Gemahl besucht doch die Residenz?« fragte Dolores, nur um etwas zu sagen.
»Das berührt mich nicht,« erwiderte Gräfin Schinga kühl. »Ich sehe ihn ohnehin nur selten, seitdem ich die Schlangen habe. Sie würden mir nicht glauben, wenn ich Ihnen erzähle, welche Mühe es mir gemacht hat, sie zu zähmen, und sehen Sie, mein Arm weist noch die Narben auf von ihren Bissen. Aber jetzt kennen sie mich und hören, wenn ich sie rufe!«
»Mein Gott, welche entsetzliche Liebhaberei,« rief Dolores.
»Es ist nicht gerade das,« meinte die Gräfin. »Ich habe mich im Anfang auch erst an die kühlen, glatten Dinger gewöhnen müssen. Aber was hilft's? Es ist Notwehr!«
»Notwehr?« wiederholte Dolores verwundert. »Ich meine, ein großer Hund thäte die besten Dienste.«
»Nicht doch,« lachte die Gräfin. »Sehen Sie, einen Hund würde er töten, wenn er auf ihn dressiert wäre, ohne jedes Bedenken töten. Aber die Schlangen wagt er nicht anzurühren, und meidet sogar das Zimmer, in welchem sie sind.«
»Wer?« fragte Dolores verwundert.
»Nun, mein Mann!«
Es ward einen Augenblick sehr still in dem Gemache, dann aber erhob sich Dolores wirklich und nahm Abschied.
»Und Sie kommen wieder, nicht wahr?« bat die Gräfin noch an der Thür. »Es wird mir so wohl thun, Ihr schönes, reines Antlitz zu sehen, das heißt wenn Sie es vermögen, einer Frau zu nahen, die sich Schlangen hält, damit ihr Mann ihr fern bleibt, die Zola liest und den ganzen Tag Nargileh raucht. Sie werden schon noch mehr Untugenden an mir entdecken, aber darunter doch vielleicht ein Goldkörnchen! Das müssen Sie mir suchen helfen, Sie liebes, schönes Menschenkind, denn ich hab's verloren, und weiß nicht, wo ich's finden soll –«
Und damit schlang die seltsame Frau den Arm um den Nacken ihres Gastes und gab ihr einen Kuß auf die Wange. Dann klappte die Thür zu. Verwirrt stieg Dolores die steile Treppe hinab, unten empfangen von dem Grafen.
»Na, Gott sei Dank, daß Sie endlich kommen,« schrie er ihr entgegen. »Jetzt müssen wir unsere Nachbarschaft mit einem Glase Champagner taufen, in aller Gemütlichkeit, denn dort oben ist's doch zu gruselig von wegen dieser Bestien –! Na, ich wollte Sie schnell heraushaben aus dieser Schlangenhöhle, und schüttete deshalb dem Koch eine gute Handvoll Viehsalz in den Eiscreme – es hat Sie aber doch nicht schnell genug herausgetrieben!«
Dolores protestierte erst höflich, dann energisch gegen den Champagner, aber es half nichts, sie mußte in der Hausthür stehend ein Glas leeren. Dabei wurde ihr das alte Pony noch einmal angeboten. Endlich saß sie im Wagen und fuhr unter den Klängen ihres Entreekonzertes wieder zum Thor hinaus, sie gab sich den Anschein als sähe sie nicht, daß Graf Schinga ihr, die Champagnerflasche im Arm, in der Hausthür nachwinkte und die Gräfin droben am Fenster mit ihren lebenden Schlangenarmbändern erschienen war – sie war froh, hinauszukommen aus dieser wüsten Atmosphäre von wirklichem und moralischem Ruin.
An der Schmiede hieß sie den Kutscher halten, stieg aus und schickte den Wagen heim. Dann schritt sie, den Hut am Arm tragend, hinein in den kühlen, grünen Wald, dessen reine Luft ihr heute wohlthat wie nie, aber dabei mußte sie immerzu an die Frau denken, die sie eben verlassen, und ein scharfes Weh durchzog ihre Brust: mußte der Schmerz überall wohnen, wo ein Menschenherz schlug, mußte das Leben seine Wunden in jede Seele schlagen? Warum konnte es nicht Auserwählte des Glückes und des Friedens geben? Ja, sie kannte wohl Menschen, in deren Herz reiner, heiterer Friede wohnte, aber ehe er eingezogen war unter der Mönchs- oder Nonnenkutte, oder aber unter dem Gewande der Welt, hatte dieses Herz erst brechen und verbluten müssen, ehe der Friede zu ihm kam. Dabei kam es so traurig über sie, denn vor wenig Wochen nur war sie noch so glücklich gewesen mit ihrer Kunst, und jetzt? Jetzt stahl sich ein fremdes Wehe über sie, und das machte das leuchtende Sonnenlicht trübe und die Blumen welk und dürr, und der Besitz, an den sie in der weiten Ferne mit Sehnsucht gedacht und von ihm geschwärmt, er ward ihr vergällt, seitdem der, den sie ihm freudigen Herzens überlassen hätte, ihn ihr verächtlich vor die Füße geworfen. Ihr ganzer Stolz bäumte sich auf, wenn sie dessen gedachte, und zornig schüttelte sie das Weh von sich ab, das ihr dabei im Herzen aufstieg, d. h. sie vermeinte es von sich weisen zu können und wußte nicht, daß es schon Wurzel gefaßt und nicht mehr auszurotten war. Denn was von einem anderen angethan ihr nur Empörung verursacht hätte, das schlug von seiner, von Alfreds Hand, eine Wunde, die kein Kraut zu heilen vermochte.
Ungesehen von den auf der Terrasse zu Monrepos Sitzenden – sie unterschied deutlich die Gestalten Falkners und Kepplers und hörte ein silberhelles Kinderlachen – huschte sie schnell vorüber. Erst, als sie ihr eigenes Gebiet wieder betrat, atmete sie auf – hier hatte sie ja das Recht, umher zu wandeln – dort dünkte ihr das jedem Passanten gewährte Privilegium des Vorübergehens Konterbande unter dem Bann der großen, dunklen Augen, die stets mit solch' hartem Ausdruck auf ihr ruhten.
Sie nahm den Weg nach dem Hexenloch, dessen von romantischem Zauber umsponnene Umgebung sie so sehr anzog. Hier ließ sich's so gut träumen und sinnen an dem kleinen rauschenden Wasserfall, dessen silberhelle Wasser in dem Tümpel so dunkel aussahen oder, wenn die Sonne durch die prächtige Blutbuche an der südlichen Uferseite schien, wie Blut.
Durch kühle Laubgänge schritt Dolores langsam dahin und bog dann herum nach dem stillen, lauschigen Platz, doch wie sie um die Hecke bog, sah sie sich plötzlich einer Dame im hellen Sommerkleide gegenüber, die auf einem Baumstumpf saß und eine Aquarellskizze des Hexenlochs machte. Neben ihr, von rücklings halb auf dem Baumstamm liegend, saß ein junger Mann und las vor.
Hohe, überschlanke Buchen
Wölben sich zum Schattendach –
Weil sie Licht und Sonne suchen
Ist ihr Wachstum gar so jach.
Und sie streun als weichen Teppich
Dürres Laub gebräunt und dicht,
Doch den Fels umwuchert Eppich
Immer grün und immer licht –
klang es aus Scheffels Aventiure wie gewählt für den Platz herüber.
»Es fehlt uns nur Biterolfs Elfe,« warf die Dame ein, ohne aufzusehen.
»Bei Gott, da ist sie,« rief der junge Mann, der emporgeblickt und Dolores' lichtes Haupt auf dem tiefgrünen Grunde gewahrte. Im nächsten Moment aber sprang er auf. »Die Baronin Falkner,« sagte er halblaut.