***
Frau Ruß aber hatte am andern Morgen eine böse Zeit mit ihrem Gatten, der in seiner schlechtesten Laune war und sie mit giftigstem Hohne überschüttete, nervös lachte und in einem Zustande fieberhafter Reizbarkeit seine Kleider durchsuchte nach einem Blatt Papier in einem offenen, unbeschriebenen Couvert, das er verloren haben wollte. Frau Ruß suchte schweigend mit, aber es war nicht zu finden, und dann mußte sie hinausgehen in die kleine Bibliothek, um nachzusehen, ob er es dort verloren habe. Doch es war auch dort nicht zu finden, trotzdem noch niemand das Kabinett betreten hatte, weil es dicht neben dem Schlafzimmer der Schloßherrin lag, diese aber noch schlief und nicht gestört werden sollte. Auch Ramo, welcher die Lampe ausgelöscht hatte, nachdem er Doktor Ruß herabgeleuchtet, hatte nichts gesehen oder aufgehoben.
Hätte Doktor Ruß geahnt, daß sich ihm das Papier so nahe befand, daß es in der Kleidertasche seiner Frau war –! Aber das ahnte er nicht. Und während er umherging, rastlos, blaß, mit unstetem Blick, da saß seine Frau da, die Hände im Schoß gefaltet, müßig, und unter den Augen tiefe, blaue Ränder, die Wangen hohl und in dem verblaßten, blonden Haar ein schneeweißer Streifen, der gestern noch nicht dagewesen war.
»Wie sitzest du da? Arbeite!« fuhr er sie an, und als sie sich daraufhin nicht rührte, höhnte er: »Du siehst aus, wie eine getrocknete Leichenpredigt! Was fehlt dir? Hast du einen Geist gesehen?«
»Das ganze wilde Heer,« erwiderte sie mit zuckenden Lippen.
»Wohl bekomm's!« zischte er.
Um die Mittagszeit, ehe zum Lunch geläutet wurde, kam Falkner und fragte nach Dolores, die er in der Halle mit Engels traf – blässer denn je, aber scheinbar wohler.
»Lolo hat sich in den Kopf gesetzt, heut' ein Picknick am Hexenloch zu veranstalten,« sagte er, »und da bin ich denn beauftragt, dich zu fragen, ob du es uns erlaubst und selbst teilnehmen wirst mit deinen Gästen. Es soll statt des Diners gelten.«
»Ach ja, das ist eine hübsche Idee,« erwiderte sie freundlich. »Wir wollen das gleich mit Mamsell Köhler besprechen, meine Gäste treffe ich jetzt beim Lunch und werde es ihnen dabei sagen, damit sie ihren Dienst vorher abmachen.«
»Aber wirst du selbst denn kommen können?«
»Ich hoffe, ja. Und wenn ich mich heimlich eher entferne als die anderen, so bitte ich dich, die Pflichten des Wirtes zu übernehmen und meinen Rückzug zu decken. Bleibst du zum Lunch?«
»Nein – ich danke dir. Ich will Lolo nicht daheim allein lassen mit den Herren.«
»Das ist recht,« stimmte sie zu. »In diesem Sinne darf ich dich nicht halten.«
Fräulein Köhler stöhnte innerlich zwar große Stücke über »den Picknickunsinn,« aber er wurde dennoch ins Werk gesetzt.
Dolores zog sich sofort nach dem Lunch zur Ruhe in ihr Zimmer zurück, und so oft Frau Ruß an diesem Tage oben anklopfte oder bei dem unablässig wachsamen Cerberus Ramo anfragte, ob sie Dolores sehen könnte, so oft wurde ihr gesagt, daß die Herrin vom Falkenhof ruhe, und als es so weit war, um zum Picknick am Hexenloch aufzubrechen, da war Gräfin Schinga oben – Frau Ruß also überflüssig geworden.
Dolores war seit jenem verhängnisvollen Abende nicht mehr am Hexenloch gewesen, trotzdem sie diesen wildromantischen, geheimnisvoll malerischen Fleck Erde unter den Blutbuchen und den hohen, ernsten Tannen früher so sehr geliebt hatte. Daß der Platz, an den sich so viele unheimliche Sagen knüpften, an dem sie die süßeste und doch auch bitterste Stunde ihres Lebens verlebt, an welchem sie fast den Tod gefunden, heut' wiederhallen sollte von heiterem Lachen und lustigen Worten, das schien ihr, als sie sich's überlegte, freilich ganz undenkbar, aber es ist ja schließlich der Lauf der Welt, und so fuhr sie im leichten Parkwagen an der Seite ihres vornehmsten Gastes, des Kommandeurs, zum Picknickplatz, denn der Weg war ihr zu weit geworden für ihre schwankende Gesundheit, und sie wollte dann lieber zurück gehen. Die anderen waren alle schon da, als sie am Hexenloch ankamen, und lagerten auf dem grünen Rasen um das weiße, ausgebreitete Tafeltuch, darauf ausgebreitet stand, was eine feine Küche zu liefern vermag.
Dolores überlief unwillkürlich ein kalter Schauer, als sie die Stätte betrat, wo sie mit den dunkeln, tückischen Wassern um ihr Leben gekämpft – aber damals war es offener Kampf gewesen mit einem Feinde, der sie besiegt hätte ohne Alfred Falkners Hilfe; heut' aber kämpfte sie denselben Kampf mit einem Feinde, den sie nicht zu nennen wußte, und ihr ahnte, daß sie diesem verkappten Unhold erliegen würde. Denn er hatte sich zu ihr gestohlen wie der Dieb in der Nacht, er hatte ihre blühende Gesundheit untergraben, ihr Kraft und Lebensmut geraubt und lag mit bleierner Schwere in ihren Gliedern.
Und es war fast wie damals am Hexenloch, nur daß die Sonne höher stand und neugierige Strahlen warf auf das blitzende Silberzeug der improvisierten Tafel auf dem Rasen, auf die leuchtenden Uniformen der Husaren, auf Dolores Falkners schimmerndes Haar. Es waren außer ihr nur noch drei Damen zugegen: Lolo, Gräfin Schinga und Frau Ruß. Und letztere hatte sich neben Dolores gesetzt, doch wurde sie, der bunten Reihe wegen, bald von ihrer Seite gedrängt.
Als man beim ersten Glase Sekt miteinander anstieß, da ließ Dolores auch das ihrige mit dem des Doktor Ruß zusammenklingen.
»Seien Sie nicht böse – ich bin eine kranke und nervöse Person,« sagte sie mit Bezug auf die Vorgänge der letzten Nacht, denn sie hatte sich's überlegt, wie leicht man manchmal ein Wort spricht, wie »es ist nicht wahr,« ohne dabei etwas zu meinen in diesem Ausruf des Staunens. Und der Mann hier, dessen Blick sie mehr erschreckt, als seine Worte sie empört hatten – er war ihr Gast.
»Man ist Damen niemals böse,« erwiderte Doktor Ruß und zog ihre Hand an seine Lippen.
Bald thaten der Sekt und die muntere Gesellschaft ihre Schuldigkeit – denn durch den Park klang weithin das laute, herzliche Lachen des sorglos fröhlichen Kreises. Und die lauteste darunter, ein Sprühteufel an Witz und Laune, war Lolo Falkner!
Doch auch Dolores' matte Lebensgeister belebte der Wein und die hinreißend gute Laune der künftigen Schlachtenlenker, und sie lachte ein paarmal sogar fröhlich auf bei einem besonders unwiderstehlich guten Scherz derselben.
Da jagten sich lustige Manövergeschichten mit lustigeren Schnurren, und manch' ein Kalauer wurde mit lachendem »Au! au!« im Chore abgelehnt – ein Kobold, der zu einer Thür hinausgeworfen, zur anderen wieder hereinkam mit lachendem Gesicht, ein gar nicht loszuwerdender Lachgeist im heiteren Kreise.
Da fiel es plötzlich jemand ein, nach dem Ursprung des Namens »Hexenloch« zu fragen, und Doktor Ruß erzählte mit seinem wohltönenden Organ die Legende desselben, wie sie verzeichnet stand in den Annalen des Falkenhofs. Erst hörte nur der Frager zu, dann noch andere und zuletzt schwieg der ganze Kreis und lauschte auf eine jener finsteren Tragödien finsteren Aberglaubens aus längstverklungener Zeit, meisterhaft erzählt mit allen Mitteln, allen Raffinements eines Vortragsmeisters.
»Donner Wachsstock! Auf das gruselige Zeug muß man eins gießen,« sagte Graf Schinga, als Doktor Ruß geendet.
Und damit trank er ein großes Glas Sekt, das er sich schon während der Erzählung vom Hexenloch mit frischen Pfirsichen präpariert hatte, auf einen Zug aus.
Das wievielte es war, wußte kein Mensch zu sagen, man konnte es aber an seinen funkelnden Äuglein und der sich sanft rötenden Nase ungefähr berechnen.
»Hu! 's wird einem ganz kalt!« sagte Lolo Falkner und schüttelte sich. »Wie kann man sich nur einen so schönen, lustigen Abend mit solch' schauerlichen Geschichten verderben! Mir sind die lustigen Geschichten lieber. Wer erzählt eine?«
»Du, Erfurt, erzähle 'mal der Baronin deine Erlebnisse aus dem letzten Quartier,« rief ein Leutnant dem andern zu.
»Ja, ja, erzählen! Das ist nämlich eine kapitale Geschichte! Und dazu der Erfurt –! Nein, zum Schreien!« schwirrte es durcheinander.
»Silentium!