Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
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nicht zum Sterben zu Mute, im Gegenteil –!

      Und so hielt auch er sich fern und hörte nur von Keppler Genaueres. Danach war sie ja, mit Ausnahme des bleischweren Gefühls in den Gliedern, einiger Frostanfälle und Stunden gänzlicher Apathie, relativ wohl, ja selbst heiter, und klagte nur über die schlaflosen Nächte, die so langsam und tödlich bedrückend dahinschlichen. Der gute Doktor Müller mit seiner Rußschen Diagnose kam nicht mehr wieder.

      »Einquartierung hilft besser als ich,« hatte er pfiffig behauptet, Dolores Sekt und Kaviar verordnet und war froh gewesen, die langen Fahrten nach und von dem Falkenhofe wieder mit seinem gewohnten Skat im »Grünen Hirsch« zu Kuckucksnest vertauschen zu dürfen. Von einem anderen Arzte wollte Dolores nichts wissen, und die Gesellschaft der darauf dringenden Frau Ruß vermied sie möglichst, besonders unter vier Augen.

      Am Abend des vierten Tages, als Gräfin Schinga, die ihr treulichst Gesellschaft leistete, nach Hause gefahren war, trat Doktor Ruß bei der müde und abgespannt dasitzenden Dolores ein.

      »Ich kann es gar nicht mehr mit ansehen, daß Sie nicht schlafen,« sagte er sanft und teilnahmsvoll. »Darum bin ich heut' Nachmittag nach der Stadt gefahren und habe mit Doktor Müller gesprochen. Derselbe konnte leider nicht selbst kommen, hat mir aber ein Schlafmittel für Sie mitgegeben, welches Sie in Wasser nehmen sollen, sobald Sie fühlen, daß der Schlaf wieder nicht von selbst kommt.«

      »O, ich danke Ihnen tausendmal,« rief Dolores, das Fläschchen von blauem Glase entgegennehmend, das er ihr reichte.

      »Ich habe das Rezept gelesen,« meinte Doktor Ruß. »Chloralhydrat mit etwas Sirup und Bittermandelwasser – es wird schon seine Dienste thun.«

      Damit wollte er sich entfernen, doch Dolores reichte ihm nochmals die Hand.

      »Gute Nacht und herzlichen Dank,« sagte sie, und fügte hinzu: »Durch diesen Zaubertrank kann ich ja mit Wallenstein sagen:

      Ich denke einen langen Schlaf zu thun,

       Denn dieser letzten Tage Qual war groß.

      Freilich hatte der Generalissimus einen längeren Schlaf als er dachte, denn er wurde ermordet.«

      »Gute Nacht,« erwiderte Doktor Ruß so leise und mit so veränderter Stimme, daß Dolores dieselbe gar nicht wieder erkannte. Und er glitt zur Thür hinaus wie ein Schemen.

      Ein Weinglas mit Wasser neben sich nebst der blauen Flasche, legte sie sich zeitig zur Ruhe und wartete auf den Schlaf, doch derselbe kam nicht. Nebenan in dem Ankleidekabinett war Tereza eingeschlafen – die treue Seele hatte all' die vorigen Nächte gewacht und war zu Tode ermüdet.

      Auf dem Uhrturm des Falkenhofes schlug es elf Uhr, und als es Mitternacht schlug, machte Dolores Licht, goß den Inhalt des Fläschchens in das Wasser und trank das stark nach bitteren Mandeln duftende Medikament in einem Zuge aus. – – – – –

      Und es schlug Eins. Da erhob Dolores sich resigniert von ihrem Lager, weil doch auch das Schlafmittel nicht wirken wollte, warf ihren Schlafrock über, nahm ein Licht und ging in die kleine Bibliothek, mit Lesen die langen, langen Nachtstunden zu kürzen.

      Sie entzündete eine Lampe und holte ein Buch, aber es wollte nicht gehen mit dem Lesen, denn sie war zu müde, ihre Augen zu übernächtig. Und weil die Augen sie schmerzten von dem vielen Wachen und vom Licht, so lehnte sie sich zurück und schloß die Lider, und wer jetzt hineingetreten wäre, hätte sie müssen für gestorben halten, so blaß und regungslos saß sie da in dem matten Lichte der bläulichen Glaslampe. Mit einem Mal war's ihr, als hörte sie nebenan im Saal eine Thüre gehen und leise, leise Schritte – – »Tereza,« dachte sie müde und blinzelte unter den Lidern hervor nach den Portieren, welche den Saal von dem Kabinett abschlossen. Und die Schritte kamen näher und hin und wieder knisterte unter ihnen ein locker gewordenes Teilchen des alten Parketts – endlich ward die Portiere zurückgeschlagen und – – Doktor Ruß stand auf der Schwelle.

      Dolores sah ihn stehen und der Gedanke durchfuhr sie: »Was will er hier, mitten in der Nacht?« Still und ruhig blieb sie sitzen, die Augen geschlossen, und leise, leise schlich er näher und stand endlich dicht vor ihr und beugte sich herab, auf ihre Atemzüge zu lauschen, die sie künstlich zurückhielt.

      »Sie ist tot,« murmelte er, griff in die Brusttasche seines Rockes und zog ein Blatt Papier hervor, das er auf den Tisch legte.

      Da schlug Dolores die Augen auf zu ihm.

      »Was wollen Sie hier, Doktor Ruß?« fragte sie laut.

      Da fuhr er zurück mit einem heiseren Schrei, der wie das Brüllen eines gereizten Panthers klang.

      »Was haben Sie mich erschreckt,« sagte er nach einer sekundenlangen Pause gefaßt, »ich dachte, Sie schliefen –«

      »Den ewigen Schlaf. Sie sagten so,« ergänzte Dolores.

      Langsam trat er wieder näher und legte die Hand wie zufällig auf das Papier auf dem Tische.

      »Sie sahen so furchtbar bleich aus,« entgegnete er. »Das macht dies nichtswürdige blaue Licht,« setzte er hinzu, und es klang wie wenn er dazu mit den Zähnen knirschte. Dabei fuhr die Hand mit dem Papier zurück in die Brusttasche.

      »Sie haben mir noch immer nicht gesagt, warum Sie hier sind zu so ungewöhnlicher Zeit,« erwiderte sie kühl, aber im Herzen ein vages Gefühl von Angst.

      »Ich war aufgewacht, und es war mir eingefallen, daß ich vergessen hatte, Ihnen zu sagen, Sie sollten nur die halbe Dosis des Schlafmittels nehmen,« erklärte er sein Erscheinen plausibel genug. »Da hatte mich die Angst, Ihnen durch Nachlässigkeit geschadet zu haben, aus dem Bette getrieben, und ich war leise heraufgekommen –«

      »Sehr leise. Zu leise für Ihre gute Absicht,« warf sie ein.

      »Aber ich sehe zu meiner Beruhigung, daß Sie das Mittel gottlob gar nicht gebraucht haben,« schloß er.

      »Doch,« sagte sie, »ich habe es sogar ungeteilt genommen – Ihre Vorsicht käme also zu spät, wenn das Mittel, wie alle Mittel des Doktor Müller, nicht so ausgezeichnet wirkungslos gewesen wäre.«

      »Genommen? Das Ganze genommen?« wiederholte er wie ein Träumender.

      »Bis zum letzten Tropfen,« nickte Dolores etwas spöttisch.

      »Das ist nicht wahr!« brach er los.

      Da erhob sie sich heftig, schritt in ihr Schlafzimmer und kam gleich darauf mit der leeren Flasche zurück, die sie auf den Tisch warf.

      »Hier,« sagte sie sprühenden Blickes. »Und nun verlassen Sie mich, und wenn ich's Ihnen nachsehe, daß Sie mich der Lüge geziehen haben, so schieben Sie's auf das Konto dieser späten Stunde, in der Sie vielleicht nicht wußten, was Sie redeten!«

      Doktor Ruß hatte mit zitternden Händen die blaue Flasche ergriffen und stand Dolores gegenüber, stumm, aber mit keuchendem Atem und gierigem, raubtierartigem Blick. Und wieder packte Dolores, die stets so mutige, ein unbestimmtes Angstgefühl – im Falkenhof war's still zu dieser Nachtstunde, keine Menschenseele war wach und Tereza schlief so fest, daß man sie bis hier herein atmen hörte – – und wenn dieser Mann wollte – –

      Da glitt ein Schatten über die Lampe und im selben Momente stand Ramo zwischen seiner Herrin und ihrem Gaste.

      »Baronesse haben geläutet?« fragte er ruhig, als wäre es mitten am Tage. Sie hatte es nicht gethan, aber sie begriff die Wachsamkeit des treuen Menschen.

      »Du sollst Herrn Doktor Ruß die Treppe herab leuchten – er hat kein Licht,« sagte sie mit einem tiefen, freudigen Atemzuge.

      Doktor Ruß aber hatte sich ganz wiedergefunden.

      »Gute Nacht, liebe Dolores – versuchen Sie's noch, ein wenig zu schlummern. Ich werde wegen des Chlorals morgen mit Doktor Müller sprechen. Er hat Ihre Natur für allzu nachgiebig gehalten mit dieser schwachen Dosis,« sagte er und reichte ihr die Hand.

      Aber Dolores schien dieselbe nicht zu sehen, sondern wandte sich einfach ab und ging gelassen in ihr Schlafzimmer, das