Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027232819
Скачать книгу
um sie ruhen zu lassen.

      »Ach nein, bleibt nur,« bat sie. »Ihr wißt, daß die Einsamkeit mir sonst so lieb ist, aber heut' habe ich mich förmlich vor ihr gefürchtet. Ich bin so schrecklich allein –«

      Falkner wußte, daß seine Mutter nicht die Sympathien von Dolores hatte, darum brachte er sie nicht als Gesellschaft in Vorschlag.

      »Wenn du die Gräfin Schinga zu dir herüberbitten wolltest – sie käme gewiß gern,« meinte er.

      »O ja, ich habe an sie noch nicht gedacht,« sagte Dolores, angeregt von der Idee. »Sie müßte nur nicht verlangen, daß ich spreche,« setzte sie hinzu, »denn ich bin so müde – –«

      »Ich werde gleich hinüberfahren nach Arnsdorf und die Gräfin selbst holen,« meinte Falkner aufstehend. Dolores war sehr erfreut über Falkners Bereitwilligkeit und versicherte ihm mit mattem Lächeln, es sei sehr gütig von ihm.

      Lolo, froh, auf so gute Manier aus der »langweiligen Bude,« wie sie den Falkenhof nannte, heraus zu können, schloß sich ihrem Gatten an, und Dolores war wieder allein.

      Aber nur wenige Minuten, da klopfte es leise und Frau Ruß trat hinein, schüchtern fast, denn sie hatte Dolores seit dem vorigen Abend nicht wiedergesehen und wurde selbst ganz blaß bei dem Anblick der weiß eingehüllten, durchsichtigen Erscheinung ihrer Nichte. Dolores selbst hatte das Entsetzen noch nicht vergessen, das diese Frau ihr gestern Abend eingeflößt durch ihren Blick, und darum klang ihr erzwungener Willkommsgruß vielleicht kälter und kürzer, als sie selbst gewollt.

      »Mein Mann ist noch nicht zurück aus der Stadt – der Arzt muß also auswärts gewesen sein,« sagte Frau Ruß fast schüchtern.

      »Wahrscheinlich. Er kann mir ja doch nichts nützen,« erwiderte Dolores.

      »Nein,« stimmte Frau Ruß bei, »der kann dir nichts nützen. Du mußt einen anderen Arzt haben. Darf ich für dich an X. nach Berlin schreiben? Er wird gewiß dann bald kommen?«

      »O, das ist überflüssig. Es wird schon von selbst wieder werden,« entgegnete Dolores gleichgültig.

      »Nein, du darfst das so nicht hingehen lassen,« rief Frau Ruß dringend, »wirklich nicht! Laß mich an den Arzt schreiben, oder besser noch telegraphieren.«

      »Das würde mich sofort mit dem behandelnden Arzte überwerfen – wir müssen sein Gutachten erst abwarten,« sagte Dolores kurz.

      Vor diesem Einwande verstummte Frau Ruß.

      »Kann ich dir deine Arznei geben?« fragte sie nach einer Weile.

      »Du bist sehr gütig. Sie steht dort auf dem Tisch.«

      Frau Ruß ging hin, nahm die Flasche und entkorkte sie.

      »Du hast wenig davon genommen.«

      »Zweimal,« sagte Dolores. »Mir ist der nichtssagende Geschmack so widerwärtig. Aber es schmecken mir viele andere Dinge ebenso – meist der Thee am Abend.«

      »Ja,« nickte Frau Ruß, aber indem sie die Flüssigkeit in den Löffel laufen lassen wollte, fiel die Flasche herab und entgoß ihren Inhalt auf den Teppich, welcher ihn sofort aufsaugte.

      »Nun habe ich wenigstens eine Entschuldigung für mein Nichtnehmen,« meinte Dolores erleichtert.

      In diesem Augenblick ließ Keppler sich melden. Er hatte bis jetzt drüben im Marmorsaal an dem Porträt gemalt, d. h. an dem Kleide, welches zu diesem Ende auf dem Podium auf einem Kleiderständer drapiert war. Dolores ließ den Künstler bitten, einzutreten, froh, daß sie des Alleinseins mit Frau Ruß überhoben war. Diese blieb indes auch – sie ward aber schweigsam wie gewöhnlich und ging endlich, als Falkners mit der Gräfin Schinga zurückkehrten – aber sie hatte auf Keppler den Eindruck gemacht, als hätte sie etwas sagen wollen und die Gelegenheit dazu nicht gefunden.

      Dolores war froh, als sie fort war, und begrüßte die Gräfin mit freudiger Dankbarkeit für ihr Kommen. Und so nahmen die vier denn Platz um die Kranke, und eine halblaute, aber eifrige Konversation, welche Dolores sichtlich anregte, begann, bis sie sich müde und erschöpft zurücklehnte.

      »Wollen Sie etwas Musik?« fragte Gräfin Schinga, und Dolores nickte.

      »Aber etwas recht Sanftes,« bat sie.

      Die Gräfin öffnete den Flügel, dachte eine Weile nach, und dann spielte sie die Introduktion zum letzten Akt der »Traviata,« diese von Todesahnung durchzitterte Weise, in welcher das zum Sterben verurteilte Herz noch einmal hoch aufklopft für einen kurzen Moment und dann erlischt:

      Während Gräfin Schinga spielte, hatte Dolores sich aufgerichtet, hatte das Tuch von sich geworfen und war neben die Spielende getreten, sich mit ihr durch einen Blick verständigend. Und so flocht letztere denn nach der beendeten Einleitung ein paar Accorde der Recitative mit ein und ging über in die Begleitung des letzten Aufschluchzens der Violetta, und Dolores fiel ein mit ihrer Stimme, leise, leise, wie ein Hauch zuerst, dann stärker anschwellend und wieder erlöschend, wie das junge Leben der Singenden:

      Addio del passato, beisogni, ridenti,

       Le rose del volto già sono pallenti;

       L'amore d'Alfredo perfino mi manca

       Conforto, sostegno dell' anima stanca – –

      Sie schloß schon nach dem ersten »tutto, tutto fini« – »alles, alles zu Ende,« aber nie vielleicht hatte sie so erschütternd gesungen. Einmal hatte sie gestockt nach den ersten Zeilen, als der Name »Alfredo« ihr auf die Lippen trat, aber sie hatte weiter gesungen. – Was that es zur Sache, daß sie seinen Namen jetzt in der Verbindung mit ihrer Liebe nannte – denn tutto, tutto fini – –

      Und wie sie geendet hatte und Gräfin Schinga die Hände von den Tasten sinken ließ, da war es einen Augenblick sehr still in dem kleinen Kreise, so still, daß man das Summen der Bienen draußen in der warmen Spätsommerluft hörte. Und Dolores strich mit der Hand über ihre Stirn.

      »Tutto fini –« sagte sie. »Das war mein letztes Lied.«

      »Nein, nein!« rief Keppler abwehrend, die Stimme rauh vor Erregung.

      »Tutto fini,« wiederholte Dolores. »Mir bleibt nur noch einiges zu besprechen mit dem Erben vom Falkenhof.« –

      Indes war unten Doktor Ruß endlich mit dem Arzt angelangt, und Frau Ruß unternahm es, den jovialen alten Herrn hinaufzuführen.

      »Nun, wie geht's oben?« fragte er so heiter, als hätte Dolores den Schnupfen.

      »Es flackert so auf mit ihr und läßt wieder ganz nach,« erwiderte Frau Ruß. »Ich hörte sie eben noch singen. Aber sie ist doch sehr krank – –«

      »Krank?« lachte der kleine Doktor. »Ich bitte Sie, Verehrteste! Ihr Herr Gemahl hat mir so Andeutungen gemacht über eine unglückliche Herzensangelegenheit – wer ist es denn, der Er nämlich?«

      »Mir ist davon nichts bekannt,« sagte Frau Ruß erstaunt.

      »Haha!« pustete der alte Herr, »na, dann nicht, liebe Seele! Ich werde an dem Ungenannten nicht ersticken! Herr Gemahl war aber kolossal positiv, ja, ja! Hat Selbstmordgedanken, die schöne Herrin vom Falkenhof – lustige Gesellschaft, frische Luft – ein chacun für die chacune, das ist die richtige Medizin dafür – werden ja sehen – hm, hm –!«

      »Selbstmordgedanken?« fragte Frau Ruß, entsetzt stehen bleibend.

      »Pst! So 'was sagt man nicht so laut wie Sie,« tuschelte der Doktor. »Dazu braucht's aber keine Apotheke, sondern man muß es eben nur wissen! Ja, wenn ich zur Diagnose immer die Winke des Herrn Doktor Ruß hätte, dann wollt' ich sie schon immer richtig stellen!« – – –

      In den nächsten zwei Tagen wurde es wieder besser mit Dolores, so daß sie spazieren fahren und sich auch etwas an der Gesellschaft beteiligen konnte. Von Monrepos kamen täglich Boten nach dem Falkenhof,