Dolores aber befand sich am nächsten Morgen auch ohne die drei Tropfen Aconit des Herrn Doktor recht wohl und fühlte sich verhältnismäßig frisch.
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Falkner hatte seiner Frau gegenüber kein Wort verloren über das Geschenk der Schlange an Dolores. Zwar, was er im Innersten empört eine unglaubliche Herzensroheit nannte, war ja kaum mehr als ein Kinderstreich, dessen Tragweite nach keiner Seite hin bemessen oder erwogen war, aber der Vorgang hatte so auf ihn gewirkt, daß er sich bei einer Vorstellung darüber nicht die nötige Ruhe zutraute, mit welcher er Lolo zu überzeugen hatte. Darum schwieg er vorläufig ganz – vielleicht, daß die junge Frau dadurch eher zur Überlegung gelangte, obgleich er das kaum zu hoffen wagte. Seine Taktik, obwohl er es kaum so nennen konnte, was ihm Schweigen auferlegte – seine Taktik erwies sich aber als von Erfolg, denn Lolo, welche nach dem gehabten Effekt ihrer »gloriosen Idee« heftige und wohlverdiente Vorwürfe fürchtete, war über das Ausbleiben derselben erst erleichtert, dann erstaunt und zuletzt beunruhigt, denn sie sah und erkannte wohl aus dem Benehmen ihres Gatten, daß dieser Streich seinem Vertrauen zu ihr einen heftigen Stoß versetzt hatte. Und sie, die sich zuerst mit dem nötigen Trotz gewappnet hatte, um seinen Vorwürfen keck entgegenzutreten, sie fühlte ihn in einem gewissen Unbehagen schwinden und schmelzen, und dieses Unbehagen wurde allgemach zur Angst, die Angst zum Herzklopfen. Am Abend nach dem Fest im Falkenhofe aber hielt sie's nicht länger aus, und sie suchte ihren Gatten in dessen Zimmer auf.
»'n Abend, Alfred,« sagte sie, scheinbar harmlos eintretend.
»Guten Abend, Lolo. Willst du etwas von mir?« kam es kalt und erstaunt zurück.
»Nein,« erwiderte sie gedehnt, denn sie hatte ganz vergessen, sich für ihr ungewohntes Erscheinen einen Vorwand auszudenken. Zugleich aber faßte sie einen herzhaften Entschluß. »Ja,« setzte sie kühn hinzu, »ich wollte dich fragen, ob du böse auf mich bist. Du hast seit gestern kaum ein Wort mehr mit mir gesprochen!«
»Hast du das vermißt?« fragte er nicht ohne Bitterkeit und legte das Buch fort, in dem er gelesen hatte.
»Es scheint beinahe so,« murmelte sie.
»Ja, wirklich, Lolo? O, dann brauche ich noch nicht alles für verloren zu halten,« sagte Falkner herzlich – er war entwaffnet, und es hätte in der That schon sehr schlimm stehen müssen mit beiden, wäre er's nicht gewesen. Und nun stellte er ihr vor, welche Menschen- und Tierquälerei der »kapitale Spaß« gewesen, den sie gestern mit der Schlange bei Dolores ausgeübt. Sie hörte es ganz ernsthaft mit an, aber es überzeugte sie nicht ganz.
»Aber Lolo, denke nur, welche Furcht du vor Mäusen hast,« suchte Falkner dieser Lücke nachzuhelfen. »Was würdest du sagen, wenn Dolores dir zum Geburtstag Mäuse in einem Körbchen schenken wollte, um dich mit deiner Idiosynkrasie zu necken!«
»Ich kriegte die Krämpfe und kratzte ihr dann die Augen aus,« rief Lolo mit blitzenden Augen bei dem bloßen Gedanken.
»Nun also! Und du kaufst einem Waldhüter diese von ihm gefangene extra große Natter ab und bescherst sie der armen Dolores. Du hast den Effekt gesehen und kannst sehr froh sein, daß der furchtbare Schreck sie nicht auf dem Fleck tötete – als Geburtstagsgeschenk!«
»Hältst du das für möglich?« fragte sie mit großen Augen und gedämpfter Stimme wie ein Kind im Finstern.
»Gewiß,« sagte Falkner. Er war dessen zwar nicht ganz sicher, hielt aber starke Farben in diesem Falle für die einzig richtige Kur.
»Nun also, dann sei nicht mehr böse, Alfred,« bat sie kleinlaut. »Ich werde Dolores nie wieder eine Schlange schenken.«
Jetzt mußte er sich abwenden, ein Lächeln zu verbergen.
»Damit ist es aber noch nicht gut gemacht, Lolo,« sagte er dann. »Du wirst Dolores wohl ein Wort der Entschuldigung sagen müssen!«
Da stieg der jungen Frau das Blut ins Gesicht.
»Nein,« rief sie, sich emporbäumend, »nein, niemals. Ich werde mich vor ihr nicht demütigen.«
»Du mußt es nicht so auffassen, Lolo,« suchte er sie zu überzeugen. »Du hast es ja so leicht, da du Böses nicht beabsichtigt, sondern nur im Leichtsinn und unüberlegt gehandelt hast.«
»Ich thue es nicht,« sagte sie trotzig.
»Und Dolores wird dir mehr als auf halbem Wege entgegenkommen,« fuhr er fort.
»Woher weißt du das?« fragte sie scharf, mißtrauisch.
»Weil ich es von Dolores nicht anders erwarte,« erwiderte er ruhig.
»Nein, diese hohe Meinung, die du von ihr hast!« rief sie nervös und voll Hohn.
»Ich hoffe, sie hat die gleiche von mir, Lolo!«
»O, zweifellos. Aber ich sage nicht ›Peccavi‹ vor ihr.«
Falkner zuckte mit den Achseln.
»Wie du willst – ich kann dich dazu nicht zwingen, sondern dir nur raten.«
»Es liegt mir gar nichts an ihrer guten Meinung über mich,« behauptete die junge Frau bebend, und als Falkner darauf nichts erwiderte, brach sie in Thränen aus. »Du weißt doch, daß ich eifersüchtig auf sie bin.«
»Du solltest aber auch wissen, daß ich nicht der Mann bin, den dir am Altar geleisteten Eid zu brechen,« erwiderte er ernst.
»Es haben ihn aber schon viele gebrochen,« warf sie ein.
»Dann war's ein Meineid wie jeder andere,« entgegnete er. »Oder hältst du einen Gott geleisteten Eid für geringer, als einen solchen vor Gericht?«
»Ich weiß nicht,« erwiderte sie verwirrt. »Das ist zu hoch für mich. Aber Dolores Abbitte leisten – – niemals!« setzte sie eigensinnig hinzu.
»Warum hast du denn diese Unterredung gesucht, wenn du das Begangene nicht gut machen willst?«
»Weil mir an deiner Meinung etwas liegt – an der von Dolores nichts.«
»Es gehört aber zu meiner guten Meinung, daß man seine Schuld durch ein freies, ehrliches, offenes Wort bekennt und wieder gut macht. Was nützt mir alles Trotzen und Debattieren, wenn man dazu den Mut nicht hat?« fragte Falkner sehr bestimmt.
Doch es war nichts auszurichten – sie blieb eigensinnig bei ihrer Weigerung, trotzdem sie sah, daß es ihn verstimmte und abstieß. Infolgedessen entschloß er sich, dem Falkenhofe fern zu bleiben, machte aber Lolo, um es ihr ganz leicht zu machen, den Vorschlag, eine Zeile an Dolores zu schreiben.
»Die Tochter des Herzogs von Nordland entschuldigt sich nicht bei ihres Vaters Unterthanen,« brauste die »Durchlaucht« in der jungen Frau auf.
»Dann mußte die Tochter des Herzogs von Nordland auch keinen seiner Unterthanen heiraten,« gab Falkner gereizt zurück, und wünschte trotz aller guten Vorsätze und blindestem Pflichtgefühl, zum erstenmal unverhohlen vor sich selbst, daß es in der That so gewesen wäre. Er hielt unter diesen Umständen eine Annäherung an Dolores für die Zukunft für ausgeschlossen, und da es ihm nicht einfallen konnte, vor der Welt mit seiner Frau zu brechen, so mußte er dem Falkenhofe gleichfalls fern bleiben. Er schrieb deshalb an Dolores, zerriß den Brief aber in mehreren Concepten, denn es hatte sich zwischen die Zeilen desselben jedesmal ein warmer Ton geschlichen, den er vermeiden wollte, weil er vor dem strengen Richterstuhl seines Gewissens nicht bestehen konnte. Er hielt daher Keppler an, ehe dieser zur Sitzung nach dem Falkenhofe hinüberging, teilte ihm das Notwendigste mit, nämlich, daß seine Frau ihren unpassenden Scherz nicht als solchen einsehen wollte und er infolgedessen den Falkenhof