»Sie haben mich scharf studiert, Herr Keppler,« meinte sie, leicht verwirrt.
»Das ist meines Amtes als Kopist der Natur,« erwiderte er.
Und dabei blieb es, er malte sie in der weißen, goldgestickten Atlasschleppe und dem duftigen Kleide von kostbaren alten, echten Spitzen, ganz ohne anderen Schmuck als den ihrer Schönheit und ihres Goldhaares, nur in diesem, schräg schwebend hoch über ihrer Stirn malte er den Halbmond von Diamanten, wie sie ihn auf der Hochzeit der Großherzogin getragen hatte. Die Arbeit ging rasch und flott vorwärts, und auffallend schnell modelte sich die herrliche weiße Gestalt heraus auf dem schmalen, hellgetönten Paneel – ein lichtes Gedicht, eine Symphonie in Farben, vielleicht nicht so genial wie die Satanella, sicher aber schöner, zum Herzen sprechender.
Einmal beim Malen kam Falkner hinzu in Begleitung von Lolo – er ging selten allein in den Falkenhof.
»O wie schön,« sagte er unwillkürlich, als er vor das Werk des Meisters trat.
»Meinst du das Original oder das Bild?« fragte Lolo und warf den Kopf zurück.
»Meine Frau bringt mich in ein Dilemma,« erwiderte er ruhig. »Denn meine ich das Original, so kränke ich vielleicht den Meister, und meine ich das Bild – was soll das Original von meiner Höflichkeit denken. Folglich wähle ich die goldne Mittelstraße, die hier zur Wahrheit führt, und sage: Das Porträt ist getreu dem Original!«
»Gut gebrüllt, Löwe,« citierte Keppler lachend seinen Shakespeare, indem er ruhig weiter malte.
Dolores sagte nichts. Sie stand auf ihrer Estrade in dem zum Atelier eingerichteten einstigen Tanzsaal des Falkenhofes – einem wundervollen großen Raum mit weißem Stuckmarmor bekleidet und bemalter Decke, auf der es im Rokokogenre von Göttinnen, Nymphen, Amoretten und Seeungeheuern, welche Arnold Böcklin entzückt hätten, zwischen Blumen und Fruchtgewinden wimmelte, der aber entschieden sehr einer Restauration bedürftig war. Aber der nach Norden gelegene Raum war kühl und hatte gutes Licht, das durch hohe, schmale Fenster voll auf die weiße Gestalt flutete, welche ungezwungen neben einem niederen, plüschbezogenen Lehnsessel aus der Renaissanceepoche stand und die schlanke, lilienweiße Linke leicht auf die Lehne stützte.
»Ich fasse nicht, wie du das Modellstehen aushalten kannst, Dolores,« meinte die junge Frau, indem sie an den Spitzen von Dolores Kleid zupfte. »Ich wenigstens werde davon so müde, als hätte ich im Felde Kartoffeln gehackt.«
»Ich bin auch sehr müde,« sagte Dolores und erblaßte in diesem Moment so, daß Keppler erschrocken die Palette hinlegte.
»Dolores – du solltest dich nicht so anstrengen,« rief Falkner, neben sie tretend. »Komm herab – laß es genug sein für heute.«
»Nein, nein,« sagte sie mit mattem Lächeln, »es geht immer sehr schnell vorüber –«
»Wie, du leidest öfter daran? Was ist es?« fragten Falkners a tempo.
»O, eigentlich nichts,« erwiderte Dolores apathisch. »Es mag eine Folge des heißen Sommers sein, daß ich so träge geworden bin seit Tagen – seit einer Woche etwa. Ich ermüde bei jeder Beschäftigung, und es ist mir alles ganz gleichgültig, ob es so wird oder so. Und manchmal kommen die kleinen Frostanfälle, von denen ich eben einen hatte, und die mir dann alles Blut für einen Moment erstarren machen.«
»Aber du solltest doch einen Arzt fragen,« sagte Falkner, besorgt in das schöne, aber vergeistigt blasse Antlitz seiner Cousine sehend.
»Wozu? Es ist nichts, wird vorübergehen,« entgegnete sie.
In diesem Moment trat Ruß in den Saal.
»Ah, ah! Ein ganzes Convivium hier versammelt?« fragte er überrascht. »Wenn das Mama gewußt hätte –«
»Wir kommen noch, ihr guten Tag zu sagen,« fiel Falkner ein, »heut' galt aber Dolores unser Besuch in erster Linie. Doch vor allem ein Wort an dich: du mußt deinen Einfluß geltend machen, daß Dolores einen Arzt konsultiert.«
»Ist sie krank – unsere lebensfrische, starke, gesunde Dolores?« fragte Doktor Ruß überrascht und wandte sich nach ihr um. Dabei fiel das Licht so auf sein Gesicht, daß es sich einzig und allein in seinen ungefaßten, starken Brillengläsern sammelte und diesen das Aussehen von enormen Augen ohne Lider, Wimpern, Iris und Pupille verlieh, wie wir sie in ihrem regungslosen Glanze bei Schlangen sehen.
Dolores fuhr vor diesen auf sie gerichteten, durch die Beleuchtung furchtbaren Augen mit einem leisen Schrei zurück – ein Beweis für die Abgespanntheit ihrer Nerven – und ein Schauer des Entsetzens überrieselte sie. Aber sie bezwang sich schnell.
»Ich glaube, der Einfluß des Herrn Doktors auf mich wird überschätzt,« sagte sie kühl und vielleicht schroffer, als sie gewollt. »Lassen wir also meine kleine Indisposition beiseite, und hören wir lieber, was die Herrschaften von Monrepos heut' nach dem Falkenhofe geführt hat.«
»Ah – ich bitte ungebeugte Willenskraft, unbeeinflußte Unabhängigkeit bei der sogenannten Patientin festzustellen,« rief Doktor Ruß scherzend und scheinbar unberührt von der unzweideutigen Abweisung.
»La garde meurt, mais elle ne vomit pas,« vollendete Lolo mit einem Kompliment gegen Ruß, welcher, da die anderen lächelten und lachten, es nolens volens mitmachte. »Das ist nämlich Graf Schingas Devise, die er sich selbst übersetzt hat,« erklärte die junge Frau, »er hat sich im Lexikon das Wort ›übergeben‹ statt ›ergeben‹ gesucht – folglich nicht La garde ne se rend pas, sondern elle ne vomit pas.«
»Ja, es ist eine böse Sache um Sprachen, die man nicht versteht,« sagte Falkner amüsiert. »Überhaupt sind die fatalen Fremdwörter eine böse Klippe für unseren guten Grafen, der neulich in Berlin bei einer befreundeten Familie den ›Cicero‹ spielen mußte und sie unter anderem auch in den ›Theologischen‹ Garten führte.«
»Ah,« meinte Keppler, »die Garde des Grafen Schinga erinnert mich an einen guten Freund, welcher in einer englischen Familie, mit der ich noch besser befreundet war, gastliche Aufnahme gefunden hatte und sich bei seiner Heimkehr gedrängt fühlte, den Gastfreunden nochmals dafür zu danken. Er drockste also einen recht steifen englischen Brief zusammen, den er sich erst deutsch aufgesetzt hatte, und der mit dem Satze schließen sollte: Gott bewahre Sie und Ihre liebe Familie. Da fehlte ihm das rechte Wort für ›bewahren‹ – und er fand dafür in seinem Lexikon: to conserve, to preserve and to pickle. Die beiden ersten Vokabeln schienen ihm aber in keiner Weise den Sinn wiederzugeben, und so schrieb er denn stolz den Schlußsatz nieder: ›May God pickle you and your dear family.‹ – Ob der Gastfreund von dem Wunsche, nebst den Seinen in Essig gelegt zu werden, sehr erbaut war, ist zu bezweifeln.«
Die harmlose kleine Geschichte Kepplers fand die nötige Würdigung, erheiterte die Stimmung merklich und klärte die kleine Wolke, welche die scharfe Zurückweisung von Doktor Ruß' Einfluß auf und durch Dolores hervorgerufen hatte, vollkommen.
»Und nun zu des Pudels Kern,« meinte Falkner, indem er sich wieder an Dolores wandte. »Wir sind gekommen, dich zu bitten, deinen Geburtstag drüben bei uns in Monrepos zu feiern.«
»Ihren Geburtstag? Wann ist der?« fragte Keppler elektrisiert.
»Morgen,« erwiderte Dolores, und indem sie Falkners zulächelte, setzte sie hinzu: »Es ist so freundlich von euch, meiner zu gedenken, aber morgen müßt ihr mit euren Gästen zu mir kommen. Es ist mein erster Geburtstag als Lehnsherrin, und da muß ich doch allem, was da fleucht und kreucht im Bereiche des Falkenhofs, ein Fest geben, inklusive meiner Gäste, der Husaren. Also abgemacht?«
»Abgemacht,« rief Lolo, doch Falkner sagte:
»Schade –! Wir hätten dich gern bei uns gefeiert, doch ich sehe, daß du Pflichten an diesem Tage zu erfüllen hast.«
Da stieg eine feine Röte in ihre blassen Wangen.
»Es thut mir so leid,