»Natürlich, krasse Sentimentalität,« erwiderte sie. »Und nun will ich schlafen gehen, denn morgen kommen die Husaren!«
»Eleonore –!«
»Ja, ja, ja,« rief sie und hielt sich die Ohren zu. »Ich weiß schon, was du sagen willst, aber es soll doch eine lustige Zeit werden, denn tel est mon plaisir!«
Da verließ er sie, zornig, betrübt und empört zugleich und saß die ganze Nacht auf und sann, und ging mit sich zu Rate, was hier zu thun seine Pflicht sei, denn er durfte sie diese schiefe Ebene nicht weiter gehen lassen, damit sie nicht ins Rollen kam und am Abgrund keinen Halt mehr hatte. Er hatte in den schönen, stolzen Zügen von Dolores gelesen, wie sie über das Wesen und Gebaren seiner jungen Frau dachte, aber er hatte darin auch zu lesen geglaubt, daß sie ihn verantwortlich machte dafür, und dieser Gedanke gab ihm neue Kraft, wenn der gerechte Zorn über Lolo ihn übermannte und er das übermütige kleine Geschöpfchen als unverbesserlich beiseite schieben wollte.
»Noch drei Wochen, und ich bin wieder allein mit ihr, und dann will ich mit leiser, zarter Hand, daß sie's nicht merkt, die wilden Schößlinge in ihrem Charakter zu veredeln suchen,« dachte er mit dem festen Vorsatz eines Mannes, der die Pflicht zur Richtschnur genommen hat und weder rechts noch links sehen will. Aber er dachte es auch mit jener souveränen Zeitbestimmung der Menschen, welche ihr »Ich werde es thun« aussprechen, als wären sie der Ausführung ihres Vorsatzes sicher. Hätte Falkner gewußt, wie es in drei Wochen hüben wie drüben aussehen würde – doch auch Lolo dachte an jenem Abende noch an Dolores, denn wie sie vor den Spiegel trat, da fiel ihr ein, wie die Lehnsherrin vom Falkenhof bei ihren unbesonnenen, vielleicht wirklich nur halbgemeinten Worten sie angeschaut – vorwurfsvoll und mit unverhehlter Verachtung, wie sie meinte.
»Schon ganz altjüngferlich,« dachte sie zornig. »Und wenn sie Alfred bedauert wegen seiner schlechten Behandlung durch mich, warum hat sie ihn denn nicht geheiratet? Er war ja zu haben, ehe ich in Betracht kam! Wart', Donna Dolores Falconieros, für diese Gardinenpredigt ohne Worte werd' ich dir schon noch einen Schabernack spielen.«
Im Falkenhofe beschäftigte man sich natürlich auch mit dem Paare. Frau Ruß gab ihrem Manne gegenüber ihrer schwiegermütterlichen Entrüstung vollsten Ausdruck – das war der Instinkt, mit dem die Löwin ihr Junges, die Henne ihr Kücken verteidigt, selbst gegen imaginäre Gefahren. Doktor Ruß beantwortete diesen Ausbruch seiner Gattin mit Lächeln und Achselzucken.
»Wenn dein Sohn kein Pantoffelheld ist, so wird er sich schon zu helfen wissen. Sie sind eben noch in den Flitterwochen, die beiden, und trotzdem ich sie für einen kleinen Satan halte, denke ich doch, daß er den Spieß bald umdrehen wird,« meinte der erfahrene Mann.
Doch Frau Ruß war einmal herausgetreten aus sich und ihrem Schweigen, und ihr volles Herz mußte das, wovon es überlief, erst von sich geben.
»Ah, du glaubst, Alfred wird ein Ehemann werden von deinem Schlage,« sagte sie anzüglich, »ein Knechter, ein Unterdrücker, ein unbarmherziger Niedertreter des eigenen Willens und eigenen Fühlens.«
»Ei, ei, Frau Adelheid Ruß, da hört man ja plötzlich eine Meinung von Ihnen,« hohnlachte er, sichtlich sehr amüsiert über dieses Rütteln an den Ketten, diesen Ausbruch lang zurückgehaltenen Unmuts.
»Hab' ich etwa nicht recht?« fragte Frau Ruß. »Hab' ich mich heut' Abend nicht ins Haus schicken lassen müssen von dir, wie ein unartiges Kind?«
Diese Worte machten der Heiterkeit des Doktor Ruß sofort ein Ende.
»Warum hast du mich so unausgesetzt angesehen?« fragte er.
Nun zuckte sie mit den Achseln.
»Sieht doch die Katze den Kaiser an,« erwiderte sie kurz.
»Ei, ei! So, so!« machte Doktor Ruß langsam. »Nun, mir ward es lästig, und ich schickte dich darum hinein, meine Süße.«
Sie antwortete nicht, doch ein seltsam forschender Blick huschte hinüber zu ihm.
Da trat er hart an sie heran und sah ihr in das kalte, wieder ganz ausdruckslos gewordene Gesicht.
»Ich will wissen, warum du mich so angesehen hast,« sagte er leise, fast zischend, und als sie darauf nur gleichgültig mit den Achseln zuckte, fuhr er fort: »Ich werde deiner Erinnerung etwas zu Hilfe kommen. Es war, als Dolores uns die Geschichte von dem Schuß erzählte.«
»Ja,« erwiderte Frau Ruß unbewegt. »Ich wollte gern wissen, ob du sie für wahr hieltest –«
»Und weiter hatte dein auffälliges Anstarren keine Bedeutung?« forschte er weiter.
»Ich wüßte nicht, welche,« gab sie zurück.
»Ich wollte dir's auch geraten haben,« murmelte er laut genug, um verstanden zu werden, und ging dann ein paarmal im Zimmer auf und ab, ohne es zu bemerken, daß Frau Ruß ununterbrochen die Schlingen an ihrem Strickzeug fallen ließ – eine Nachlässigkeit, die ihr sonst kaum passierte. Aber sie hob die Schlingen nicht wieder auf, sondern strickte in einem Tempo weiter, welches sehr gut und täuschend das Zittern ihrer großen, weißen Hände verbarg. Und Doktor Ruß sah weder auf die Hände, noch auf die Socken von Estremadura, welche für ihn entstanden, und er sah auch nicht die verlorenen Maschen, welche ihm hätten sagen müssen, daß das innere Gleichgewicht seiner Frau in wildem Schwanken begriffen war. Doch, wie gesagt, das Tempo, in welchem sie weiterstrickte, ohne anzuhalten, maskierte all' das vollständig, und nach einer Pause nahm Doktor Ruß das Gespräch wieder auf.
»Der Schuß kann den Ursprung haben, den Dolores ihm beimißt,« begann er, »obgleich die Idee, daß ein rachsüchtiger Brasilianer aus Südamerika eigens dazu herreisen sollte, um sich für seine Absetzung zu rächen, stark abenteuerlich und romanhaft ist. Aber unmöglich ist es immerhin nicht, und Ramo wird schon aufpassen. Ich für meinen Teil denke aber, das Papier wird die Kugelmarke schon gehabt haben, als es hier ankam, und Engels hat sie einfach übersehen, als er sah, daß der Brief spanisch war und er ihn doch nicht lesen konnte. Nun glaubt ja Dolores, die Detonation der Waffe gehört, den Briefbogen in ihrer Hand sich bewegen gefühlt zu haben. Beides kann auf Täuschung beruhen, denn es giebt Schußwaffen, deren Knall kaum dem Schnalzen der Zunge an Stärke gleichkommt –«
»Ich weiß es,« sagte Frau Ruß. »Dolores hat eine Pistole, mit der sie neulich Scheibe schoß. Man hörte die Schüsse kaum.«
»So?«
»Sie hatte dir die Waffe ja wohl geliehen, als sie verreist war?« fragte Frau Ruß unbefangen.
»Mir? Wie kommst du darauf?« fragte er, stehenbleibend, scharf. »Hast du mich damit schießen sehen?«
Die Nadeln flogen, und die Maschen fielen ungezählt, wie gesäet – –
»Nein, ich dachte nur, weil du davon sprachst, dir die Waffe zu leihen.«
Wieder ging er auf und ab.
»Nein, ich that es nicht,« meinte er, »es hat keinen Zweck, und die Pistole kann unkundigen Händen gefährlich werden, wie Dolores sagte. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Ich war immer ein schlechter Schütze.«
»Ja,« sagte Frau Ruß. »Gottlob!«
»Wie so, teures Weib?«
»Nun, es ist schon so viel Unglück passiert mit dem dummen Schießen,« schloß sie, und er nickte bestätigend.
Daß Dolores selbst an jenem Abende noch lange über diesen vielbesprochenen Schuß nachdachte, ist selbstverständlich, wenn man erwägt, daß sie sich als Zielscheibe dafür ansehen mußte. Ramo, dem sie nun auch davon erzählte und ihm auftrug, wachsam zu sein, war mehr erschrocken als er zeigte, und kombinierte sogleich die Fußstapfen im Nordflügel, der nunmehr für die Einquartierung wieder eingerichtet war, mit dem Schützen im Park. Doch Dolores wollte das nicht einleuchten.
»Denke nur, wie lange es her ist, seitdem wir damals diese Fußspuren fanden,« meinte sie. »Es ist viel Zeit dazwischen,