Da stieg wieder ein feines Rot auf in ihren Wangen – das zarte, duftige, hingehauchte Rot der Meeresmuscheln.
»So – dieses leise Inkarnat der maiden-blush-Rose und diesen weichen Ausdruck in Ihren Augen muß ich festhalten,« sagte Keppler und sah sie fest an, »beides paßt so trefflich zu der lichten Stimmung des Bildes – und steht in solch schroffem Gegensatz zur Satanella,« setzte er eifrig malend hinzu.
Da wurde das Rot auf Dolores' Wangen etwas tiefer, Falkner aber trat neben Keppler heran und sah seiner Arbeit zu.
»Es ist ein Umschwung, daß Sie, der sonst stets oder mit Vorliebe auf tief gesättigtem Hintergrund malten, meine Cousine im weißen Kleide an die weiße Marmorwand stellen,« meinte er.
»Es ist eine Ausnahme, zu welcher der Stoff nicht nur verleitet, sondern gebieterisch hinweist,« erwiderte der Maler.
»Ich wollte, es wäre morgen mein Geburtstag,« sagte Lolo auf der Estrade zu Dolores' Füßen hockend.
»Warum? Hast du solche Sehnsucht, älter zu werden?« fragte Ruß.
»Nein, aber man bekommt da immer eine Masse hübscher Sachen geschenkt,« erklärte die kleine Freifrau ehrlich.
»Ich wüßte nicht, wer mir etwas schenken sollte,« warf Dolores ein.
»Ach du Ärmste,« gähnte Lolo. Sie langweilte sich schon wieder sehr. Doch plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Ich werde dir etwas schenken,« jubelte sie und begann vor Freude einen Solotanz zu tanzen. »Ich habe ja eine gottvolle Idee –« –
»Desto besser,« sagte Dolores lächelnd, »ich werde dir auch wieder etwas schenken.«
Als sie dann nach Hause fuhren, fragte Falkner seine Frau, was sie der Cousine zu geben gedächte.
»Abwarten!« erwiderte Lolo geheimnisvoll. »Ihr werdet alle Kopf stehen und ›paff‹ sein.« – –
Dolores war wirklich, wie der Engländer sagt, »out of sorts.« Sie war nicht gerade krank, aber sie war jenen kalten Schauern ausgesetzt, von denen der Volksaberglaube sagt: Der Tod lief über mein Grab. Diese Schauer kehrten so oft nicht wieder, um ernste Krankheitssymptome zu bedeuten, aber sie fühlte sich matt und müde und apathisch. Statt, wie sie es gewohnt war, stets beschäftigt zu sein, konnte sie jetzt stundenlang sitzen und denken. Aber ihre Gedanken wanderten dabei irr hin und her oder verloren sich in ein Dunkel und in solch' ungemessene Weiten, daß sie ganz erschöpft von dem Suchen und Halten in eine Lethargie verfiel, welche nicht abzunehmen schien, sondern sich oft so lange verlängerte, bis Tereza und Ramo vereint sie aufrüttelten. War sie dann im Gespräch mit anderen, so ward es besser, doch die Lebhaftigkeit und Schlagfertigkeit von früher war fort und von ihr gewichen.
»Ich bin zu allem zu faul,« sagte sie oft zur Gräfin Schinga, welche jetzt öfters kam und ihr Chopin vorspielte.
»Die Dilettantin muß die Meisterin anregen,« pflegte sie zu sagen, wenn sie sich zum Flügel setzte, aber Dolores hörte sie gern spielen, denn was ihr an tieferem Studium abging, ersetzten Genie und Instinkt.
Der Geburtstagsmorgen wurde wie alltäglich einer Porträtsitzung gewidmet, bei welcher Keppler ihr das eigene Porträt, wenn auch noch unvollendet, als Angebinde überreichte. Sie war überrascht und erfreut und wunderte sich doch, wie mühsam und farblos der Dank ihr von den Lippen kam. Dann kamen Herr und Frau Ruß und überreichten eine antike Armspange, welche sich in ihrem Besitz befand, und Dolores fragte sich, wie es möglich sei, daß das Grauen, welches sie gestern vor Doktor Ruß infolge einer optischen Täuschung empfunden hatte, heute wiederkehren konnte bei seiner wohlgesetzten kleinen Rede.
»Ich muß wirklich krank sein, daß ich so thöricht bin,« dachte sie, ohne das Furchtgefühl, das sie wieder beschlich, bekämpfen zu können, und erleichtert atmete sie auf als Engels erschien, gefolgt von Knieper, welcher zur Feier des Tages ein Halsband von Blumen und einen Strauß am Schwänzchen trug.
»Na, immer noch nichts gefunden von dem brasilianischen Meuchellumpen?« fragte der Verwalter in der Thür den öffnenden Ramo.
»Nichts, Herr Engels,« antwortete der Diener.
»Schadet nichts, werden den Galgenstrick schon kriegen,« versicherte der Frager mit Zuversicht.
»Nur nicht den falschen,« meinte Doktor Ruß mit Hohn.
»Glauben Sie, daß hier so viele herumlungern?« fragte Engels treuherzig, worauf Doktor Ruß nur mit den Achseln zuckte.
Zur Dinerstunde fanden sich um sechs Uhr abends neben den auf dem Falkenhof einquartierten Herren noch Graf und Gräfin Schinga ein – die Herrschaften von Monrepos kamen mit ihren Gästen erst im letzten Moment und weit hinter der Zeit. Der Kommandeur des Husarenregiments reichte nach ihrem Eintreffen Dolores sofort den Arm und führte die in schlichter, aber unendlich geschmackvoller weißer Wollrobe Gekleidete zur Tafel, welche in der reich und verschwenderisch im Renaissancestil ausgestatteten Banketthalle des Falkenhofs gedeckt und mit den Silberschätzen des Hauses geschmückt war. Als man schon saß, rief Lolo plötzlich aus:
»O, Dolores, ich habe mein Geschenk für dich im Wagen gelassen!«
»Wir können es nach dem Essen ansehen,« nickte Dolores dankend.
»Ja ja! Aber laß es inzwischen holen und ins Haus tragen,« bat die junge Frau. »Es ist ein vergoldeter Korb – aber daß niemand ihn öffnet. Hört ihr?« ermahnte sie die Diener.
»Das ist ja beinahe, als ob Sperlinge darin wären,« schrie Schinga über den Tisch herüber.
»Ja, wenn du denkst, du hast'n,
Da springt er aus dem Kasten,«
erwiderte Lolo übermütig.
Falkner glaubte jetzt zu verstehen, denn seine Frau besaß solche Figuren, welche eine Feder in die Höhe schnellte, wenn man den Kasten öffnete, in welchem sie sich befanden.
Eine solch' vergnügte Gesellschaft hatte der Falkenhof seit Jahrzehnten nicht beherbergt, wie heute, denn die Speisen waren gut und die Weine aus den tiefen, kühlen Kellern vortrefflich. Außerdem dufteten die Rosen in den Aufsätzen von Silber und altem Meißner Porzellan, und um die Tafel saß ein Teil der goldenen Jugend der großen Armee, an ihrer Spitze aber als Hausfrau und Wirtin Dolores Falkner – da hätte schon viel dazu gehört, um die allgemeine frohe Manöverstimmung herabzudrücken.
Die Toaste, welche außerdem noch ausgebracht wurden, trugen durch den Brauch, allemal dabei auszutrinken, wesentlich zur Erhöhung der rosigen Stimmung bei. Erst erhob sich der Kommandeur und dankte der Schloßherrin für die vortreffliche, fast fürstliche Aufnahme seiner selbst und seiner Offiziere im Falkenhof, deren Jäger immer noch hofften, ihr den lang umpürschten Steinadler als Geburtstagsgeschenk nachträglich überreichen zu dürfen. Dann ließ Graf Schinga Dolores als Nachbarin leben in ebenso kunstlosen wie unverständlichen Redewendungen, worauf Doktor Ruß ein kleines Meisterwerk von Rede vom Stapel ließ. Zuletzt aber schlug Falkner an sein Glas, erhob sich, und rief, es hoch empor hebend: »Der Herrin vom Falkenhof!«
Dolores wußte wohl, was dieser kurze Toast für sie bedeutete – eine Anerkennung ihrer Rechte, eine Abbitte zugefügten Unrechtes, den Schlußstein zu der Brücke, welche über den Abgrund führte, der einst beide getrennt. Beglückt, umbraust von dem dreifachen Hoch ihrer Gäste, erhob auch sie sich und ließ ihr Glas mit dem Falkners zusammenklingen.
»Hie guet Falkner alleweg!« sagte sie mit dankbarem Herzen.
»Es trafen sich die Gläser und gaben guten Klang,« summte Doktor Ruß vor sich hin, als die geschliffenen Krystallkelche leise und hell zusammenstießen.
»Prosit, Dolores,« rief Lolo herüber und streckte die Hand mit dem gefüllten Glase aus. Die Gerufene dankte lächelnd, berührte leicht das hingehaltene Glas mit dem ihren und klirr – – lagen beide Gläser zersprungen und zersplittert auf dem weißen Tafeltuch.