Nach beendigter Tafel sollte der Aufzug der Dorfbewohner vor der Terrasse stattfinden, darauf aber ein Feuerwerk abgebrannt werden, das die Beamten des Lehns ihrer Herrin stifteten. Ehe man aber heraustrat, kam Dolores an Lolo heran und reichte ihr die Hand.
»Die dummen, zerbrochenen Gläser haben dich doch nicht erschreckt?« fragte sie. »Das hat ja gar keine Bedeutung.«
»Natürlich nicht,« erwiderte die junge Frau überlegen.
»Nun, es freut mich, daß du den thörichten Köhlerglauben über solche Dinge nicht teilst,« meinte Dolores. »Ich glaube auch nicht an eine besondere Bedeutung derartiger Zufälligkeiten. Aber jetzt mußt du mir dein Geschenk zeigen!«
»Ja, ja, mein Geschenk,« rief Lolo begeistert. »Ich hatte es schon wieder ganz vergessen – komm!«
Auf einem Seitentischchen in der großen Halle, welche auf die Terrasse mündete, hatte man das runde, flache Körbchen von vergoldetem Span hingestellt, welches Lolo von Monrepos herüber gebracht hatte. Umgeben von der Schenkerin, Falkner und mehreren Herren, schritt Dolores darauf zu, öffnete das an der kleinen Haspe hängende Schlößchen, schlug den Deckel auf und – fuhr im nämlichen Augenblick mit lautem Schrei zurück, denn auf dem rosa Atlaspolster ringelte sich ängstlich und wild gemacht eine jener bräunlichen Nattern, wie unsere Wälder sie oft bergen, und fuhr zischend auf Dolores los, welche vor Schreck und Entsetzen bewußtlos zusammenbrach und eben nur noch von Falkner und einem der Offiziere aufgefangen wurde, während ein anderer schnell entschlossen das geängstigt auf dem Fußboden sich windende und schlagende Tier mit einem der zunächst stehenden Säbel tötete. Es war ein ganz harmloses Reptil, aber es war nicht klein, und wer ein Grauen davor hat, dem verrichtet's denselben Dienst wie eine Riesenschlange, der man unerwartet gegenüber steht.
Dolores erholte sich in derselben Minute wieder, in welcher Schreck und Antipathie sie besinnungslos gemacht, aber sie war totenblaß und ihre Hände steif und kalt, während schwere, eisige Tropfen auf ihrer Stirn standen. Man versicherte ihr sofort, daß die Schlange unschädlich gemacht sei, aber sie brachte dennoch kein Wort über die Lippen und als Lolo sich ihr, sichtlich betreten über den Erfolg ihres gemachten Spaßes, langsam näherte, da wandte sie sich ab von ihr.
Mit der ihrem Charakter eigenen Selbstbeherrschung erklärte sie sich im nämlichen Augenblick bereit, auf der Terrasse zu erscheinen und ließ sich von Falkner hinausführen.
»Dolores, glaubst du, daß ich in dieses – dieses Geschenk eingeweiht war?« fragte er, zu ihr herabgeneigt.
»O nein,« erwiderte sie freundlich.
Und dann nahm sie Platz inmitten ihrer Gäste und der Aufzug der Bauern mit ihren Frauen und Mädchen in deren malerischer Landestracht begann. Die Schulzen aus den verschiedenen Dörfern, die zum Falkenhof gehörten, hielten Reden, die Mädchen brachten Kuchen, Eier, Hühner und Lämmer als Geschenk und sagten Gedichte auf, und Dolores hatte für jedes einen herzgewinnenden Dank, ein besonders freundliches Wort. Auf dem Dominialhofe waren Tafeln gedeckt und dorthin mündete der Zug zum leckeren Mahle von Schweinebraten, Klößen, Salat, Kuchen und Obst, und die Leute an den aufgelegten Bierfässern hatten alle Hände voll zu thun, die Gläser zu füllen, während es am Schulzentische, wo die Gemeindevorsteher saßen, reichlich Wein gab, welchen Dolores selbst ihren Untergebenen zutrank, um nach vollendetem Mahle den Tanz auf dem Rasen selbst zu eröffnen und einen Glücksbeutel herum zu reichen, daraus ein jeder sich eine Nummer ziehen konnte, welche ihm ein hübsches, praktisches Geschenk aus der bunten Marktbude am Parkeingang einlöste.
Es war alles so hübsch und sinnig geordnet mit vollstem Verständnis für Geschmack und Neigung der Landleute, welche bei aller Disciplin freie Bewegung hatten, daß man rückhaltlos die Begabung der jungen Lehnsherrin für derartige Feste anerkannte. Und in der That gehört mehr dazu, den schlichten Landmann zu erfreuen, als Geld und eine offene Hand – es gehört ein offenes Herz dazu und liebevolles Eingehen in das, was ihm lieb ist durch Tradition und eigene Neigung, es gehört dazu eine von Herzen kommende Freundlichkeit, nicht jene Herablassung, welche auch das freundlichste Wort hohl klingen läßt und zum Stachel macht. Und wer da meint, daß ihm durch ein Gespräch mit dem niederen Mann ein Stein aus der Krone fällt, der kann sich darauf verlassen, daß dieser Stein sehr schlecht und locker gefaßt war, denn wir können aus dem gesunden, ursprünglichen Urteil des geringen Mannes oft mehr lernen, als aus Dutzenden von Büchern. Die Erziehung und die Bildung machen uns ja erst von dem Volke verschieden, denn der Schneeschipper unten auf der Straße hat vielleicht genau dieselbe Quantität Gehirn wie du, nur daß es bei dir geweckt durch den Ruf »Excelsior,« während es bei ihm schlummert, roh weiter arbeitet oder am Ende ganz einschläft.
Das Volksfest im Falkenhof war also ein solches im besten Sinne des Wortes, denn Dolores wußte durch ihre Arrangements, die sie mit Engels ausgearbeitet, ihre Untergebenen zu erheitern und harmlos zu unterhalten, immer mitten unter ihnen erscheinend und alle Mütter auffordernd, ihre Kinder morgen nach dem Falkenhof zu bringen zu Spielen und süßen Bissen.
Doch als die Fässer leer waren und die letzte Fiedel verklungen und die bunten Papierlaternen und Stocklaternen verlöschten, und alles sich lachend und singend mit donnernden Hochs auf die Lehnsherrin entfernte, als auch die Nachbarn fort waren und man sich Gute Nacht sagte, da brach Dolores fast zusammen. Es war zuviel für sie gewesen, die, sonst so stark und gesund, das Wort »Anstrengung« nicht kannte. Sie erschreckte Tereza erst durch eine lange Ohnmacht, aus welcher sie total erschöpft erwachte, um dann in einen ruhelosen, fieberhaften, traumgequälten Schlaf zu verfallen.
Tereza hatte in ihrer Angst erst Mamsell Köhler herbeigerufen, welche mit Essigäther, Salmiakgeist und Eau de Cologne hinzueilte und die Bewußtlose damit zu beleben suchte. Als dies gelungen war und Dolores zu Bett lag, hatte sich's die Beschließerin aber nicht versagen können, Frau Ruß, welche noch wach war, von dem Vorkommnis zu unterrichten, worauf Doktor Ruß nach oben eilte und es von Tereza durchsetzte, an das Bett der Kranken geführt zu werden. Dort prüfte er den Puls der unruhig Schlafenden, maß ihre Temperatur durch Einlegen eines Maximalthermometers in die linke Achselhöhle, was Tereza sehr mißtrauisch beobachtete, und ging dann wieder herab.
Nach einer Weile erschien er bei seiner Frau, ein Fläschchen mit einer farblosen Flüssigkeit in der Hand.
»Liebes Weib,« sagte er, »unsere teure Dolores scheint heut' Abend zu viel gethan und ihre Nerven überspannt zu haben – hm, hat entschieden Fieber, wenn auch nicht in hohem Maße. Ich habe ihr hier drei Tropfen Aconit der dreifach verdünnten Potenz in Wasser zurecht gemacht, und bitte dich, nach oben zu steigen, den Inhalt des Fläschchens in ein Glas Wasser zu mischen und dieses der Kranken löffelweise während der Nacht durch Tereza verabreichen zu lassen.«
Frau Ruß rührte sich nicht.
»Willst du gehen, liebste Adelheid?« fragte der Doktor sanft.
»Nein,« sagte sie laut und hart.
»Nein?« wiederholte er. »Ich habe wohl nicht recht verstanden?«
»Doch,« erwiderte sie kurz.
Da lachte er leise in sich hinein.
»Also immer noch eifersüchtig, Geliebte?« fragte er mit vollem Brustton, doch sie antwortete nicht.
»Nun, ich kann dich nicht zwingen,« fügte er hinzu. »Du willst also sicher nicht diese Arznei nach oben tragen?«
Da stand sie plötzlich auf. »Ja,« sagte sie, »gieb her!«
»Ah, das ist vernünftig. Und die Vorschrift des Gebrauchs – –«
»Ich kenne den ganzen homöopathischen Humbug,« erwiderte sie trocken, nahm die Flasche aus seiner Hand und ging.
Auf dem zweiten Treppenabsatz nach oben befand sich aus guter alter Zeit her in die Wand eingelassen ein kupfernes Behältnis für Wasser, das aus einem Delphinrachen in ein kupfernes Becken in Muschelform rann und ehedem wohl zum Spülen von Gefäßen bestimmt