»Ich höre und – staune,« erwiderte er kühl.
Sie aber drückte ihm einen Kuß auf die Wange und setzte sich wieder.
»Der langen Debatte kurzer Sinn ist also der, daß ich meine, wir möchten endlich in der Nachbarschaft unsere Besuche machen,« sagte sie.
»Wenn du die Gewogenheit gehabt hättest, diesen kurzen Sinn früher zu exponieren, so hätte dir das jene bösen Worte erspart, welche so wenig für dich paßten,« erwiderte Falkner immer noch kühl und verletzt.
»Ja, wenn!« lachte sie. »Siehst du, ich habe da einmal ein Gedicht auswendig lernen müssen, da verkleidete sich ein Schäfer als Abt, und ein Kaiser frägt ihn, wie lange er braucht, um die Erde zu umreiten. Und da antwortet ihm der Schäfer: ›Wenn ich mit der Sonne aufstehe,‹ etc. etc. Da lacht der Kaiser und sagt: ›Ihr füttert die Pferde mit Wenn und mit Aber.‹ Du scheinst mir auch solch' ein Hans Bendix zu sein. Als ob ich was dafür könnte, daß ich irgend etwas gesagt habe. Wenn! Ja, wenn ich zwei Räder hätte, wäre ich wahrscheinlich ein Bicycle und nicht die Baronin Falkner geborene ungezogene Prinzessin von Nordland.«
Nun flog doch ein leises Lächeln über Falkners Züge, und die junge Frau erkannte daraus, daß sie gewonnen hatte.
»Also die Besuche,« setzte sie mit wichtiger Miene hinzu.
»Die können wir heut' noch machen,« erwiderte Falkner. »Schingas und Dolores – falls letztere schon zurück ist – damit wären wir fertig.«
»Dolores soll gestern Abend gekommen sein,« meinte Lolo, »aber daß wir damit fertig wären, ist ganz und gar nicht meine Ansicht. Wir sind ja kein ›Hof‹ mehr in Monrepos, warum uns also so exklusiv machen? Das war früher langweilig genug! Ich bin ja gottlob keine Prinzessin mehr und will auch 'mal andere Leute sehen als den berühmten Keppler, den lumpigen Schinga und die schöne Dolores.«
»Und wer sollen die anderen sein?«
»Nun, liegt nicht ein und eine halbe Meile von hier die berühmte Stadt Kuckucksnest mit ganzen dreitausend Einwohnern? Liegt nicht in dieser selben Seestadt am Mühlgraben ein Ulanenregiment in Garnison? Also auf nach Kreta!«
Falkner überlegte.
»Es ist wahr,« meinte er dann, »wir könnten dort Besuche machen bei den verheirateten Offizieren. Dein Vater hat zwar daran nie gedacht, aber es ist ja hier etwas anderes, und man wird in der Garnisonsstadt die Zurückgezogenheit von Monrepos wohl bedauert haben.«
»Hurra! Nun wird's hübsch!« jubelte Lolo, selig, daß sie gesiegt hatte, und als Falkner ihr sagte, so schnell ginge das nicht, denn man müßte doch erst die Gegenbesuche und die ersten Einladungen abwarten, ehe man an einen wirklichen Verkehr denken könne, da erwiderte sie sehr naiv:
»Aber ich bitte dich! Unser Erscheinen in Kuckucksnest wird das Signal zu den ersten Besuchen der unverheirateten Offiziere bei uns sein. Und das ist doch die Hauptsache. Was mache ich mir aus den Ehemännern und Ehefrauen!«
»Ich dachte doch aber, du wärst auch eine,« warf Falkner ein, halb amüsiert über ihre drollige Unverblümtheit, halb skandalisiert über die unbewußte Frivolität, welche daraus sprach. Und es fiel ihm das Wort der Prinzeß Alexandra ein: »Sie werden noch viel zu erziehen haben an ihr.« – »Vielleicht noch mehr zu bändigen, als zu erziehen,« dachte er mit einem Seufzer.
Lolo plauderte aber immerzu von ihren geselligen Plänen, und wie ein Mühlrad plapperte das rosige Mündchen der jungen Frau rastlos weiter und weiter, während er nur halb hinhörte, mehr angeregt zum Nachdenken als zum Hören. Denn ihm ahnte, daß für diese kleine Widerspenstige ein Petrucchio von besonderer Art gehören müßte, aber er gelobte sich's treulich, es zu werden.
»Ich sehne mich so nach anderen Gesichtern,« plauderte Lolo weiter, »denn siehst du, es war zu Hause wirklich zu eintönig. Und hier in Monrepos im Sommer auch. Der alte Schinga ist ja ganz spaßhaft, aber man will doch 'mal eine Abwechslung haben. Und Dolores wäre ja in ihrer Art sehr nett, aber ich war doch einmal sehr eifersüchtig auf sie und kann den Gedanken nicht los werden, daß ich's wieder werden könnte. Denn, wie ich mir's auch überlege, ich kann mir nicht zusammenreimen, warum ihr euch nicht geheiratet habt.«
»Und das wäre ein Grund zur Eifersucht?« fragte Falkner ironisch, aber im Innern seltsam angemutet von den Worten seiner Frau.
»Nein,« sagte diese, »das wäre eigentlich kein Grund. Aber ich weiß nicht – die Eifersucht muß doch nicht ganz von mir gewichen sein. Ich bilde mir immer ein, daß du sie schöner finden mußt als mich.«
»Nun, dann wollen wir ihr aus dem Wege gehen,« erwiderte Falkner, »nicht, weil ich fürchte, diesem Zauber zu unterliegen, sondern um dir jegliche Bitterkeit und Selbstqual zu ersparen.«
Und in der That hatte er sich vorgenommen, den Falkenhof möglichst zu meiden aus genau dem angegebenen Grunde. Nein, er fürchtete sich nicht, denn er hielt sich mit Recht für stark genug, das Banner der Pflicht allzeit hoch zu tragen, aber er wollte Dolores mehr die Bitterkeit dadurch nehmen, daß er ihr fern blieb, als seiner Frau, auf welche sein Entschluß ja auch jetzt zu passen schien. Dieses Fernbleiben, dieses völligste Entsagen hatte er sich zur Richtschnur gemacht – er wußte, ohne daß sie's ihm gesagt hatte, daß Dolores genau ebenso dachte und handeln würde, daß sie, wie er, mit der ganzen Kraft ihres starken Herzens vergessen lernen würde und verschmerzen. Und er hoffte, daß es dazu nicht zu spät war für beide – daß der Geier, das Leben, sein Werk noch thun und ihren Namen aus seinem Herzen reißen würde, ja er hoffte fast, daß sie etwas thun möchte, das diesen Namen in Lethe tauchen konnte für alle Zeit.
Und so wandten sie sich den nächsten Nachbarn etwas ab und dem Verkehr in der Ulanengarnison zu, welche das interessante Paar freudig begrüßte, denn das weltferne Leben in dem kleinen Nest bot nicht so viel Abwechslung, daß man sich über einen neuen Verkehr nicht gefreut hätte. Die Junggesellen des Regiments besonders waren entzückt über das Haus, das sich ihnen eröffnete, und lagen der reizenden blonden Herrin von Monrepos in corpore zu Füßen. Es gehörte sehr bald zum täglichen Brot, daß allabendlich mehrere der jüngeren Offiziere in Monrepos erschienen, dort der Frau vom Hause Reitunterricht gaben, mit ihr spazieren fuhren und sich jederzeit sehr gut amüsierten. Und als die Manöverzeit dann herankam und die Kuckucksnester Garnison ausrückte, wurde diese Waffe abgewechselt durch Einquartierung. Da kamen und gingen alle Waffengattungen, und zuletzt lag ein ganzes Regiment Soldaten verteilt in Monrepos, Falkenhof und Arnsdorf, über drei Wochen lang.
In dieser Zeit war Lolo Falkner nicht viel daheim. Sie fuhr oder ritt hinaus zum Exerzieren und Manövrieren ins Terrain, dann kam die Mittagstafel mit den Herren, welche auf Monrepos im Quartier lagen, worauf sich dann meist noch die Herren aus den anderen Kantonnements zusammenfanden, besonders von Arnsdorf her, wo die Quartiere schlecht, die Verpflegung noch schlechter war, wenn auch liebenswürdig und gern gegeben. Da hiervon ein junger Leutnantsmagen aber leider nicht satt wird, ebensowenig wie ein älterer Rittmeistermagen, so kam man meist nach Monrepos herüber, wo die kleine reizende Frau von Falkner jeden ganz kameradschaftlich begrüßte und in dem heiteren Herrenkreise übersprudelte von Lustigkeit und Lebenslust.
Das war eine tolle Wirtschaft,
Kriegsvölker und Landesplag' –
Und auch in deinem Herzchen
Viel Einquartierung lag
singt Heine in seinem Liede von den »blauen Husaren.« Und Falkner konnte sich's nicht verhehlen, daß viel Einquartierung in dem Herzen seiner Frau lag, welche in dieser »wilden Wirtschaft« für ihn höchstens hin und wieder ein flüchtiges Wort oder einen zerstreuten Gruß hatte. Aber daß es »viel« Einquartierung war, das beruhigte ihn und ließ ihm die Sache harmlos erscheinen, wenngleich es ihn mit Besorgnis erfüllte, nicht für jetzt, aber für später. Denn Lolo kokettierte unbedingt, dafür gab es keine Beschönigung, und wenn er freundlich mit ihr sprechen wollte und sie ermahnen, vorsichtiger zu sein, da hatte sie entweder »keine Zeit« oder sie war so »entsetzlich müde,« daß sie für ihn ebenso gut oder noch besser hätte in Haparanda