Dolores verneinte nur stumm, denn es war ihr eingefallen, daß Prinzeß Lolo Protestantin war.
»Na also!« fragte Engels. »Also lassen Sie die Sache mal schief gehen und die Ehe sich lösen, dann zieht die junge Frau ohne Schwierigkeit mit einem anderen Mann ein in den Falkenhof, und der der nächste dazu ist, hat das Nachsehen für immer. Auf diesen Eventualitäten basiert sich die Unmöglichkeit, ein Lehen zu verschenken.«
»Damit muß ich mich wohl bescheiden, Sie Unglück, Scheidung und andere schreckliche Dinge krächzender Rabe,« versetzte Dolores scherzend. »Wer denkt denn überhaupt an solche Dinge, wenn zwei sich heiraten sollen?«
»Natürlich nur der Jurist, wenn man von den bösen Zungen von Profession einmal absehen will,« gab Engels zurück, und da die Geschäfte für heut' erledigt waren, so empfahl er sich auch. In der Thür machte er noch einmal kehrt.
»Hören Sie, Fräulein Dolores,« sagte er unsicher, »das war alles ganz gut und schön mit mir, als ich unter meines Freundes und Brotherrn stets wachsamen Augen dem Falkenhof als Verwalter vorstand. Aber ob ich zum Generalbevollmächtigten tauge, weiß niemand und Sie am allerletzten. Können Sie keinen Besseren finden?«
»Nein, keinen Besseren,« erwiderte Dolores mit solch' überzeugender Freundlichkeit, daß Engels mit leuchtenden Augen ihre kleine Hand ergriff und sie sogar küßte. Und er sagte dann auch weiter nichts als: »Bon! Mein Schaden ist's ja nicht!« – und verließ mit dieser originellen Danksagung »das Lokal,« wie er sich ausdrückte, das brave Herz innen aber geschwellt von Dankbarkeit und dem gerechten Stolze eines redlichen Mannes, der sein Brot lange in oft nicht gerade süßer Abhängigkeit gegessen und sich dafür endlich in einer Stellung sieht, die dem Schiffbrüchigen des Lebens als ersehntes Ziel stets vor Augen geschwebt.
Der Abend brachte dann die Gäste aus Monrepos und Arnsdorf, und Dolores empfing sie an der Seite des Rußschen Ehepaares, das sich dem kleinen Kreise vollkommen anpaßte, wenn ihm ja auch durch jahrelange Einsamkeit der leichtere Konversationston abhanden gekommen war. Zwar fand sich Doktor Ruß, der ganz ausgezeichnet gut und bedeutend aussah, ohne Übergang leicht in den Ton hinein, der ihm von Jugend an fremd gewesen, aber er gehörte eben zu den selten begabten Menschen, welche instinktiv gesellige Formen und Allüren finden, sobald sie deren bedürfen, im Gegensatz zu denen, welche neben mühsam errungener geistiger Bildung in ihrem Auftreten stets ungeschliffen und unbeholfen bleiben. Fräulein von Drusen, die Hofdame, welche stets sehr scharf gegen Mesalliancen eiferte und der früheren Freifrau von Falkner die ihrige nie vergeben und vergessen hatte, war nach einer halben Stunde entzückt von ihrem Tischnachbarn, dem »simplen« Doktor Ruß, der nicht nur wie ein Gentleman aussah und sprach, sondern es auch war. Und wie das Herz der alten Hofdame, so gewann er sich auch zweifellos nicht nur die Zustimmung, sondern auch die entschiedene Approbation der anderen. Frau Ruß sah sehr stattlich aus in der von Theresa verfertigten schwarzen Schleierhaube, sie sprach wenig und fühlte sich ausrangiert, trotzdem sie bei Tisch neben dem Herzog saß. Der Herzog suchte sich viel mit ihr zu unterhalten, sie blieb aber einsilbig, beobachtete dafür aber scharf und ihre kalten Augen schienen sich jedermann in die Seele bohren zu wollen.
Nach Tisch begann Lolo dann eine ziemlich ungenierte Inspektion der von Dolores bewohnten Räume, in welche man nach aufgehobener Tafel hinaufgestiegen war. Sie fand das Erkerzimmer »reizend,« den Rokokosalon »himmlisch,« erklärte den Ahnensaal für »bezaubernd aber gruselig, der vielen Augen wegen, die einen aus den Rahmen ansehen,« und meinte, den zwischen dem Saal und dem Schlafzimmer liegenden, getäfelten Raum, den Dolores sich als Bücherei und abendliches Arbeitszimmer eingerichtet, würde sie sicher nicht viel benutzen.
»Denn Sie wissen, ich sehe mir alles schon so genau an, weil es ja doch mein Hochzeitsgeschenk ist,« flüsterte sie Dolores übermütig zu, doch als letztere ihr erklärte, daß sie mehr versprochen, als sie halten könne und den Falkenhof nicht verschenken dürfe, that dies der guten Laune der Prinzessin keinen Eintrag.
»Er, der herrlichste von allen, ist ja doch der Erbe,« tröstete sie sich.
»Nach meinem Tode erst,« warf Dolores ein.
»So?« machte das Prinzeßchen mit großen Augen und setzte mit dem ihr eigenen Optimismus hinzu: »Schadet nichts! Sie können ja sterben oder früher abdanken, wie Papa es thun will – und wenn Sie keins von beiden thun, so bleiben Sie unsere Erbtante und verziehen unsere Kinder. Abgemacht?«
»Natürlich,« sagte Dolores, wider Willen zum Lachen gezwungen durch die starke Naivetät des Herzogstöchterleins, das bei seinem weiten Blick in die Zukunft noch nicht einmal wußte, ob »der herrlichste von allen« ihr sein Herz überhaupt geschenkt.
Im Ahnensaal standen indes der Erbprinz und Falkner vor dem schönen Bilde der unglücklichen Freifrau Dolorosa.
»Das ist ja eine stupende Ähnlichkeit mit unserer liebenswürdigen Wirtin,« meinte ersterer, der sich von dem Bilde nicht trennen konnte.
»Es ist in der That eine wunderbare Laune der Natur, der Enkelin die Züge der Ahne zu geben,« sagte Falkner. »Doch zum Glück fehlt meiner Cousine der Zug von Schmerz, der auf dem Antlitz der ›bösen Freifrau‹ liegt.«
»Finden Sie?« fragte der Erbprinz leise. »Ich meine, diesen Ausdruck schon in den Augen der Freiin Dolores gesehen zu haben.«
»Hoheit sind ein scharfer Beobachter,« erwiderte Falkner wider Willen gereizt. »Ich habe davon noch nichts bemerkt – wie käme auch Schmerz in den Blick der Satanella?« setzte er fragend hinzu, doch ohne die scharfe Bitterkeit von früher.
Der Erbprinz hörte den Unterschied aber nicht heraus.
»Die arme Satanella!« rief er spöttisch. »Falkner, Falkner, wie kann man sich nur so in ein Vorurteil verbeißen!«
Aber Falkner zuckte mit den Schultern. Er hatte seine Frage anders gemeint; daß sie anders aufgefaßt wurde, ließ ihn kalt. Die anderen traten nun auch hinzu, und auf die Erklärung, daß dies wunderbare Ebenbild der Schloßherrin auch des Schlosses Irrgeist sei, ruhte Prinzeß Lolo nicht eher, bis sie die Geschichte der »bösen Freifrau« erfahren hatte. Nun blühte Doktor Ruß' Weizen, denn Dolores mußte ihm den Band der Familienchronik jener Zeit reichen – man gruppierte sich um das Bild, und er trug mit seinem weichen, leisen, musikalischen Organ den still und erschüttert Lauschenden die todestraurige Geschichte vor, die wir schon kennen.
»Die Arme! Was muß sie gelitten haben,« sagte Prinzeß Alexandra leise, als die Tragödie voriger Tage verklungen war. Dies erste Wort war für Graf Schinga das Signal, sich zu schneuzen, daß es im Saal ein vielfaches Echo erweckte.
»Ich kann solch' trauriges Zeug gar nicht hören,« versicherte er mit übergehenden Augen, wie einer, der niesen will und nicht darf. »In ›Maria Stuart‹ habe ich mal so heulen müssen – wie ein Schloßhund, wahrhaftig, daß das andere Publikum schon Mitleid mit mir hatte und der Logenschließer mich hinausbugsieren wollte. Seitdem sehe ich mir nur noch Lustspiele an und höchstens mal eine Oper, denn wenn der Tenor schmettert:
Ja du bist meine Seligkeit,
Doch er – er sei dem Tod gewei–heit –
oder die Primadonna trillert:
Ich lächle unter Thrä–ää–äää–äääänen –
das ist ja kolossal rührend, aber doch nicht so steinerweichend.«
Nach dieser Erklärung kam Doktor Ruß wieder auf die Freifrau Dolorosa zurück, und er schilderte ihr traurig Ende.
»Sie soll aber noch einmal zu klarem Bewußtsein gelangt sein,« schloß er. »Denn es wird in der Chronik berichtet, daß Gott den Schleier des Wahnsinns kurz vor ihrem Tode von ihrer Seele nahm und ihr die Gabe des Hellsehens verliehen habe. In diesem Zustande, in welchem sie von allem wußte, nach allem fragte und Anordnungen traf für ihr letztes Stündlein, in diesem Zustande soll sie dem Geschlechte der Falkner eine Prophezeiung hinterlassen und sogar aufgezeichnet haben.«
»Eine Prophezeiung?« fragte man unwillkürlich, Falkner mit inbegriffen, der so gesessen hatte, daß