Im Falkenhof wieder angelangt, blieb man, Prinzeß Lolo inbegriffen, noch versammelt, aber die Konversation blieb gezwungen und die Gemütlichkeit war entflohen, und während Gräfin Schinga eine der wundervollen ungarischen Rhapsodien von Liszt spielte, beobachtete Doktor Ruß, scheinbar in den Kunstgenuß versunken, wie es in den Zügen des kleinen Kreises nacharbeitete von der Scene an der Grabkapelle. Denn der sonst stets gutgelaunte Herzog suchte ersichtlich Herr seiner Mißstimmung zu werden, und mitunter flog ein Blick aus seinen gutmütigen Augen hinüber nach seiner zweiten Tochter, der so ernst und mißbilligend war, als er's überhaupt zuwege bringen konnte. Der reizenden Delinquentin sah man's an, daß Zorn und Thränen in ihr kämpften. Prinzeß Alexandra sah bekümmert aus, Frau Ruß rang nach Atem, und Falkner stand da wie einer, der den drohenden Sturm gefaßt erwartet. Die Unbefangenen waren Keppler und Graf Schinga – unbefangener und ganz gelassen schien Dolores, als ginge der Sturm im Wasserglase sie gar nichts an. Und wirklich hatte die Scene draußen sie nicht in dem Maße überrascht, als die anderen – sie war ja die Vertraute der kleinen Prinzeß –
»Sie wird weinen, er wird sich in Stolz hüllen, und dann wächst Gras über die ganze alberne Sache,« dachte sie, nicht ohne Bitterkeit.
Und dabei ahnte sie nicht einmal, was diese Selbstbeherrschung ihr wert war. Denn Doktor Ruß beobachtete scharf, und hätte er ein Zucken in ihren schönen Zügen entdeckt, einen verräterischen Blick erhascht – – was alles hängt nicht im Leben oft an einem »wenn!« Und als Gräfin Schinga ihre leidenschaftliche Rhapsodie geschlossen, da sang Dolores einige Lieder mit fester, klarer Stimme, und als ihre Gäste dann die Heimkehr antraten, nahm sie Abschied von ihnen, als sei niemals etwas geschehen, was die Harmonie des heutigen Abends stören konnte.
»Das war ein interessanter Abend,« sagte Doktor Ruß, als er Dolores gute Nacht wünschte.
»Ach ja – die Herrschaften sind wirklich sehr angenehme Nachbarn,« erwiderte sie, ohne den doppelten Sinn verstehen zu wollen.
»Schade nur, daß das blonde Prinzeßchen ihre romantische Idee, nachts die Gruft zu besuchen, so schwer büßen mußte,« setzte er lächelnd hinzu. »Aber wer weiß, wozu es gut war, daß sie ihr Herzensgeheimnis dabei verriet,« meinte er sinnend. »Es wird wohl einen Sturm geben, drüben in Monrepos, aber nach Stürmen pflegt die Sonne gemeiniglich viel heller zu scheinen.«
»Man muß es hoffen,« entgegnete Dolores.
***
Zu einem richtigen Sturm kam es aber in Monrepos doch nicht, kaum daß ein Donnerwetter die nötige Luftreinigung besorgte. Der Herzog hatte am selben Abend noch eine längere Unterredung mit seinen beiden ältesten Kindern und darauf eine bedeutend kürzere mit Falkner, der abermals hier alle Schuld auf sich selbst lud und die Neigung der Prinzeß für sich selbst also in ein ideales Licht stellte.
Und die dem Idealen stets so geistig nahe Prinzeß Alexandra brachte ihrer Überzeugung und ihrer an das Erhabene streifenden Schwesterliebe ihre hohen Ideen vom Fürstenberuf zum Opfer und ward die Fürsprecherin einer Verbindung, welche der Erbprinz aus Prinzip, der Herzog aber in dem vagen Gefühl bekämpfte, daß es seine Pflicht sei, eine Mesalliance zu verhindern. Daß Falkner keinen Reichtum zu bieten hatte, machte ihm nicht die größten Sorgen.
»Seine Kinder sind versorgt, die erben den Falkenhof,« meinte er. »Und Gott sei Dank, ich hab's ja, um meine Tochter ihr Leben lang ganz passabel glänzend zu stellen.«
Prinzeß Alexandra aber siegte mit ihren Argumenten. Sie zeichnete dem Vater rückhaltlos den Charakter ihrer Schwester mit all' seinen Schwächen, sie stellte ihm all' die Gefahren vor, welchen ein solcher Charakter ausgesetzt ist, Gefahren, die eine Konvenienzehe geradezu beschwört, und die nur eine Herzensneigung abwenden kann. Und als der Herzog immer noch ablehnend sich verhielt, da wagte sie das letzte, das stärkste.
»Papa, denke an unsere Mutter, und wie sehr Lolo ihr in allem und jedem gleicht,« sagte sie leise und mit glühenden Wangen.
Da senkte der alte Herzog traurig sein graues Haupt, und die vergangene schwere Zeit, da die hochselige Herzogin ohne Liebe seine Gemahlin wurde, und ihr heißes Herz erwacht war, diese Zeit kam mit Gewalt zu ihm zurück. Aber er wußte auch, was es seiner Tochter kosten mußte, um ein Bild herauf zu beschwören, das er und seine Kinder mit dem Schleier der Vergebung und der Pietät verhüllt hatten, und er begriff jetzt ihre Herzensangst um das Wesen, dem sie mehr als eine Schwester, dem sie eine Mutter gewesen war. Sie hatte die wilden Triebe in der jungen Seele nicht ganz ausrotten können, sie wußte, daß sie eines Tages emporschießen würden, und hoffte, daß die Liebe allein mit starker Hand und ohne Schmerz zurückhalten würde, was ohne ihren Sonnenglanz nicht zu gedeihen vermag.
Und so kam es, daß Falkner nach Mitternacht sich zur Ruhe begab als verlobter Bräutigam und als anerkannter künftiger Schwiegersohn des Herzogs von Nordland. Der Wahrheit die Ehre zu geben, er fühlte sich in beiden Eigenschaften gehoben, denn einmal that ihm die rückhaltlos offenbarte Liebe des reizenden Fürstenkindes wohl, und dann schmeichelte ihm der Gedanke, einem regierenden Hause so nahe zu treten.
Drüben im Falkenhof war alles still und umfangen vom nächtlichen Frieden, und wirklich schlief die junge Lehnsherrin einen erquickenden Schlaf, unbehelligt durch schwere Träume, während Doktor Ruß seinerseits sich leise erhoben hatte, als seine furchtbar von den Ereignissen des Abends aufgeregte Gattin endlich zur Ruhe gekommen war, ahnungslos über das, was sich drüben »bei Hofe« indes vollzog. Rastlos und leise, als schritte er auf Gummisohlen, ging er im Wohnzimmer auf und nieder und dachte, dachte, dachte, bis das erste Flimmern des jungen Tages durch die Ritzen der geschlossenen Vorhänge drang – da erst legte er sich nieder und stand ein paar Stunden später mit der Miene eines Mannes auf, der die ganze Nacht wie ein Heiliger geschlafen, und als er, nach seinem kalten Bade frisch und bis zum Tüpfelchen auf dem i jeder Zoll ein gutgekleideter Gentleman, seine Gattin am Frühstückstisch fand, da hätte diese sicher am letzten geahnt, daß er die ganze, liebe, lange Nacht hindurch nicht nur nicht geschlafen, sondern anstrengend gedacht hatte.
Als der Morgen dann zu einer decenten Stunde vorgeschritten war, stieg er hinauf zu Dolores und ließ sich bei ihr melden. Er fand sie in dem Turmzimmer am Schreibtische vor, Bücher und Belege vor sich.
»Immer thätig, immer bei der Arbeit,« sagte er, und küßte ihre Hand.
»Was hilft's? Engels zwingt mich ja zu diesem reizlosen Geschäft,« lächelte Dolores und seufzte dazu resigniert. »Er giebt keine Ruhe, ehe ich nicht selbst die Bücher vergleiche und die Belege revidiere. Und dabei hasse ich nichts mehr, wie Rechnen und Zahlen. Aber ›ich bin des trocknen Tons nun satt,‹« setzte sie mit dem übermütigen Blick früherer Tage hinzu, indem sie das Buch zuklappte und ihre Hand darauf legte.
»Ich wundre mich nur, daß Sie den ›trocknen Ton‹ so lange ertragen haben,« gab Doktor Ruß zurück.
»Nun, was Mephisto konnte, wird doch von Satanella nachzuahmen sein?« sagte sie leicht.
»Wer weiß,« erwiderte er und setzte dann hinzu: »Wissen Sie, Dolores, daß Sie mich damit unbewußt auf das Thema gebracht haben, wegen dessen ich eben zu Ihnen heraufkam? Ich habe, offen gesagt, nicht recht gewußt, wie beginnen, denn ich möchte Ihr Mißtrauen nicht erwecken und nicht selber die Rolle einer mißgünstigen Rothaut in Ihren Augen spielen –« –
»Das ist ja eine schreckliche Vorrede,« lachte Dolores, sichtlich sympathisch berührt von dem Tone des Biedermanns, den Doktor Ruß so meisterhaft beherrschte.
»Eine schreckliche Vorrede, nicht wahr?« gab er mit komisch-kläglichem Tone zu, fügte aber gleich wieder ernst hinzu: »Aber sie ist noch nicht zu Ende, meine Vorrede. Denn sehen Sie, Dolores, Sie müssen mich nicht mißverstehen, nicht glauben wollen, daß ich Ihnen einen Rat aufdränge, dessen Sie nicht bedürfen und den Sie nicht wünschen, oder gar, daß ich mich von irgend welchem Übelwollen leiten lasse – von einem Übelwollen gegen Engels, der mich