Da legte sich eine sanfte, kühle Hand auf ihr Haupt – der Alp wich, und zitternd erwachte sie aus dem quälenden Traume.
Doch nur halb erwachte sie, um halb wachend sogleich wieder weiter zu träumen, denn ihr war's, als ruhe die kühle Hand immer noch auf ihrer Stirn, und als sie die Augen aufschlug, sah sie die Gestalt der Ahnfrau Maria Dolorosa im schwachen Schein der Nachtlampe neben ihrem Bette stehen, freundlich lächelnd, genau wie das Bild in der gefundenen Kapsel. Und die Gestalt beugte sich herab und küßte mit kalten Lippen die Wangen der Träumenden.
»Dolores, Erlöserin!« flüsterte es in ihr Ohr, »Gott hat dich gewürdigt, hinter den Schleier der Zukunft zu schauen. Du kennst nun die Gefahren, die sie für dich birgt – aber sei stark und mutig, eine echte Falkner. Und bleibst du hier, so bleib' auch ich dir zur Seite mit meinem Schutz, der die Warnung ist. Mehr darf ich dir nicht geben – o, daß du nicht unterliegen möchtest, Dolores, Blut von meinem Blute«
Mehr hörte Dolores nicht, denn ruhig und fest schlief sie weiter, doch als Tereza sie am Morgen weckte, schmerzte sie der Kopf, und sie mußte über ihren Traum nachdenken, bis er wieder in jeder Einzelheit vor ihrem geistigen Auge stand.
»Solch' wirres, thörichtes Zeug,« schalt sie sich selbst. »Das macht der starke Thee von gestern Abend.«
Aber es fröstelte sie trotzdem, als sie des schrecklichen Blickes gedachte, von dem ihr geträumt, doch an den Kuß der toten Ahnfrau dachte sie ohne Grauen. Und je mehr sie nachdachte über die Träume der vergangenen Nacht, je mehr hätte sie darauf schwören können, daß sie die Erscheinung der Freifrau Dolorosa wirklich gesehen, daß kein Traum ihr dieselbe gezeigt, kein Zustand von halbem Wachen und halbem Schlafen, und es gewährte ihr eine Beruhigung, sich diese Unmöglichkeit vorzustellen und einzureden mit der klaren Begründung, daß es eben eine Unmöglichkeit war.
»Ich werde nervös,« dachte sie am Ende. »Luft und Arbeit – Arbeit, damit die Traumgestalten weichen.«
Als Engels dann mit seinen Rapporten und Akten erschien – »als vortragender Rat vor Ihrer Majestät der regierenden Herrin von Falkenhof,« wie er sich gern scherzhaft selbst nannte – da sah er sie lange kopfschüttelnd an.
»Fräulein Dolores, Sie gefallen mir gar nicht,« sagte er endlich, als ihre nervös bebenden Hände die Feder fallen ließen, mit der sie ihre Unterschrift geben sollte.
»Aber lieber Engels, das wäre ja schrecklich,« versuchte sie zu scherzen.
»Blasse Wangen, blaue Ränder unter den Augen – es kleidet Sie ja, aber richtig ist es doch nicht,« sagte er kopfschüttelnd. »Und nun gar noch den Tadderich in den Händen – na! na!«
»Ich habe schlecht geschlafen – schreckliche Dinge geträumt – Gespenster gesehen,« erwiderte sie lachend.
»Weiter nichts?« fragte er. »Na, dagegen giebt's Mittel, gute Mittel. Erstens spazieren gehen bis Sie rechtschaffen müde sind; zweitens abends nicht zuviel essen oder starken Thee trinken«
»Und gegen die Gespenster?« fragte sie, als er einhielt.
Da holte er seinen Stock, den er an der Thür stehen gelassen hatte, und machte eine sehr deutliche Bewegung damit.
»Lassen Sie mich mal aufpassen,« bat er, »und ich garantiere Ihnen, daß kein Gespenst mehr erscheint.«
»O, ich bin von dem Erfolge im voraus überzeugt,« rief Dolores lachend. »Aber seien Sie ruhig – die Sorte von Gespenstern beschwöre ich schon allein, und es hat sich auch noch keines an mich herangewagt.«
»Wäre auch höchst unvorsichtig,« brummte Engels und kehrte zu seinen Papieren zurück.
Dolores setzte ihren Namen unter das letzte Aktenstück und reichte es ihm hinüber.
»Das werden Sie nächstens allein besorgen müssen,« sagte sie leicht.
»Wieso allein?«
»Nun zum Winter mache ich mich aus dem Staube – das heißt aus dem nordischen Schnee nach dem Süden. Da sind Sie dann Alleinherrscher im Falkenhofe.«
»Dazu brauchte ich aber eine Vollmacht,« brummte Engels.
»Die sollen Sie auch haben,« erwiderte Dolores. »Sogar eine Generalvollmacht, wie sich's für den großen Besitz schickt. Apropos, Sie waren ja Jurist, lieber Engels, und können mir eine Frage beantworten, die in das Fach schlägt.«
»Gern. Aber ich fürchte, ich habe mein corpus juris längst vergessen und pfusche mit meinem Rat unserem Justizrat bloß ins Handwerk«
»O bewahre – der müßte ja überdies noch gefragt werden. Also setzen wir einmal den Fall, daß ich den Falkenhof verschenken wollte – sagen wir, an den nächsten männlichen Agnaten –«
»Der ihn nicht genommen hat,« unterbrach Engels trocken.
»Nein. Nun aber nehmen wir weiter an, daß dieser Agnat sich verheiratet«
»Mit Ihnen? Hurra!« schrie Engels, rot vor Freude.
»Nein, nicht mit mir,« unterbrach Dolores den Enthusiasmus des guten alten Menschen etwas scharf. Sie war blaß geworden.
»Nicht mit Ihnen?« meinte Engels kleinlaut. »Na, dann ist's ja egal – dann mag er wegen mir Teufels Großmutter heiraten.«
»Ich hoffe, er wird einen besseren Geschmack entwickeln,« sagte Dolores und lächelte etwas gezwungen. »Auf alle Fälle aber möchte ich der künftigen Frau von Falkner den Falkenhof als Morgengabe verschreiben. Geht das an, lieber Engels?«
»Nee, das geht gottlob nicht,« war die prompte Erwiderung. »Das hieße ja den Agnaten schädigen.«
»Schädigen, Engels? Schädigen, wenn ich seiner Frau verschreibe, was er bloß aus – aus eigenen Gründen nicht zurücknimmt, trotzdem es ihm doch besser zukommt als mir, der Frau, die doch nur ein dürrer Ast ist an dem Stammbaum?«
»Ich werde Ihnen mal was sagen, Fräulein Dolores,« meinte Engels gemütlich. »Wie Sie, hab' ich ja anfangs auch gedacht. Das wissen Sie. Aber schließlich habe ich doch noch Einsicht genug bewahrt, um mir zu sagen, daß das alles Unsinn ist, Unsinn, der in Ihren vom Falkenhof unabhängigen Mitteln seinen Ursprung hat. Sie sind reich – gut für Sie! Aber nehmen Sie an, Sie wären's nicht, da wäre der lebenslängliche Besitz des Lehens doch ein Segen für Sie, trotz der ideal-verrückten Ansicht, daß Reichtum nicht glücklich macht. Warum sollen Söhne alles, Töchter nichts haben? Nein, die Primogenitur im Falkenhof ist nur eine Gerechtigkeit. Aber davon wollten wir eigentlich nicht reden, sondern von der Verschreibung des Besitzes an die Frau des Agnaten. Deswegen brauchen Sie den Justizrat nicht erst zu belästigen, denn es liegt ja klar am Tage, daß diese Idee sich zwar bei jedem ixbeliebigen Privatbesitz, nicht aber beim Falkenhof realisieren läßt.«
»Ich sehe den Grund, der dagegen spricht, noch nicht ein.«
»Aber Fräulein Dolores, Sie haben doch sonst ein so helles Köpfchen,« meinte Engels sanft tadelnd. »Nehmen Sie also mal an, daß der Falkenhof wirklich der jungen Frau verschrieben wird. Nehmen Sie weiter an, daß das junge Paar sich trennt, sich scheiden läßt –«
»Unmöglich bei Katholiken,« unterbrach Dolores.