»Wer aber wird das letzte Falkenpaar sein?« fragte Prinzeß Lolo beklommen, und als niemand antwortete, stieß sie einen leisen Schrei aus. »Sie beiden?« flüsterte sie scheu, auf Alfred und Dolores deutend.
»Wer weiß es?« sagte ersterer und schritt der verschlossenen Thür zu, sie zu öffnen, während Dolores die prophetischen Worte der Ahnfrau einfielen:
Kann sich das Edelfalkenpaar nicht finden,
Dann wird der Stamm erlöschen und verschwinden.
»Verschwinden,« schien das Echo zu sagen, welches das gedachte Wort gar nicht erweckt hatte.
Der Raum, den sie jetzt betraten, war bedeutend kleiner, und die feuchte Grabesluft des großen Gruftgewölbes fehlte ihm, denn die Wände waren mit Blei bedeckt, von dessen blinden Flächen noch schwarze Tuchfetzen herabhingen, mit denen die Wände ehedem zum »pompe funèbre« behangen waren.
»Der Luxus unserer Vorväter hatte dieselben mehr konserviert als es jede Einbalsamierung thun konnte,« sagte Doktor Ruß, indem er auf die Bleiwände deutete. »Deshalb können wir auch heute noch beurteilen, ob der Maler der ›bösen Freifrau‹ geschmeichelt hat oder nicht.«
Er winkte Ramo, und dieser beleuchtete drei nebeneinander stehende reichbeschlagene, mit Samt bekleidete Prachtsärge, auf deren mittelsten eine Tafel angebracht war zu Füßen des Kruzifixes, auf welcher man deutlich den Namen: »Dolorosa, Freifrau von Falknerin« lesen konnte. Doktor Ruß und Falkner faßten den Deckel bei den Handhaben, hoben ihn herab und enthüllten einen zweiten Bleisarg, der in dem Prunksarg eingelassen war. Auch dessen Deckel wich und Dolores sah mit einem Ausruf höchster Überraschung eine Gestalt in dem Sarge liegen, von deren Haupt das Haar zwar glanzlos, aber genau so kupferrot leuchtete, wie auf dem ihren, und näher tretend konnte sie die von der Zeit zwar vergilbten, aber wunderbar erhaltenen Züge der »bösen Freifrau« erkennen, wie sie hier so friedlich zu schlafen schien im silbergestickten, weißen Damastkleide, das sich über einem goldgestickten, mattgrünen Unterkleide von Atlas öffnete. Die schmalen, schlanken Hände, welche aus den übergeschlagenen Spitzenmanschetten der hochgepufften Ärmel hervorragten und nun wie vergilbtes Elfenbein aussahen, waren über der Brust gefaltet, welche ein tiefer Ausschnitt des Kleides halb entblößte, der feingestickte, spitzenbesetzte mächtige Kragen aber leicht bedeckte. Um den Hals lag ein dünnes Goldkettlein, die rotgoldenen Haare waren dicht gekräuselt und in den leichten Federlöckchen lag im seltsamen Gegensatze zu dem grünen Unterkleide, eine spitze, lange, schwarze Witwenschneppe.
Mächtig erschüttert sah Dolores auf die Ahne herab, deren Züge sie trug, diese Züge, auf denen die Bleibekleidung der Wände und der bleierne Sarg dies Wunder der Erhaltung ihrer irdischen Reste bewirkt – sie hatte unwillkürlich die Hände gefaltet, und ihre Augen wurden feucht, als sie den Körper der Unglücklichen vor sich sah, die im Leben so heiß geliebt, so schwer gelitten hatte –
Da tönte ein gellender Schrei durch die stille Gruft –
»Die Augen – sie hat die Augen aufgemacht –« kam es in Tönen des Entsetzens von Prinzeß Lolos Lippen, und die Arme wild emporgereckt, die Augen stier und die Lippen blaß, flog sie auf Falkner zu und brach zu seinen Füßen zusammen.
»Das ist die Folge, wenn Backfische das Gruseln lernen wollen,« murmelte Doktor Ruß vor sich hin, während Dolores sagte:
»Schnell – schaffen Sie sie hinauf, Alfred! Das arme Kind kann Krämpfe davon tragen von ihrer Angst –«
Falkner hatte sich schon gebückt und hob die Prinzeß empor, welche krampfhaft schluchzend die Arme um seinen Hals schlang und das blonde Köpfchen an seine Wange drückte wie ein kleines Kind, das man mit dem schwarzen Mann in Schrecken gejagt. Der gellende Schrei hatte auch die vor der Kapelle Zurückgebliebenen aufgeschreckt.
»Das war Lolo –! O, ich dachte es wohl!« rief Prinzeß Alexandra und trat in die Kapelle. Doch da erschien schon Falkner oben an der Treppe mit seiner Bürde, die sich schluchzend fest an seinen Hals klammerte.
»Sie wird sich in der frischen Luft bald erholen,« sagte er auf den fragenden Blick der älteren Schwester.
Aber Prinzeß Lolo erholte sich nicht so schnell. Sie war von Falkners Halse nicht loszureißen und weinte Ströme von Thränen.
»Sie hat die Augen aufgemacht und mir gewinkt,« schluchzte sie, »aber ich will nicht sterben, Alfred, ich lasse dich nicht – laß du mich auch nicht – du bist mir gut – nicht wahr? Laß mich nicht sterben – nicht sterben – nicht sterben!«
Jetzt riß dem Erbprinzen die Geduld.
»Eleonore!« sagte er streng und scharf, daß das Schluchzen sofort nachließ, wie oft bei grundlos weinenden Kindern. »Eleonore, was soll das? Schäme dich!«
Langsam lösten sich die runden, weichen Arme von Falkners Hals, aber das verweinte Gesichtchen blieb an seine Brust gelehnt, bis der Herzog hinzutrat und, seine Tochter an der Hand fassend, diese hinwegzog.
»Fräulein von Drusen,« sagte er, »haben Sie die Güte, die Prinzeß nach Hause zu begleiten und dort zu Bett bringen zu lassen!«
»Papa!« schrie sie empört auf.
»Du weißt, ich liebe Scenen nicht,« entgegnete der Herzog ärgerlich. »Außerdem wünsche ich nicht, mir den schönen Abend weiter zu verderben. – Sie werden uns nämlich noch nicht los,« wandte er sich an Dolores, »denn Sie haben uns ein Lied versprochen.«
»Und ich hoffe, meine Schuld mit Zinsen einlösen zu können, Hoheit,« erwiderte Dolores liebenswürdig, und nur ein feiner Kenner hätte in ihrer Stimme ein leises Schwanken wahrnehmen können. Und so ging es die Allee zurück nach dem Falkenhof – fast in der alten Ordnung – Dolores voran mit dem Herzog, Ruß mit Fräulein von Drusen, der Kammerherr mit Frau Ruß, welche leichenblaß war und vor Aufregung zitterte infolge der Scene vor der Kapelle. Dem ersten Paare hatte sich Gräfin Schinga, dem zweiten ihr Gatte zugesellt, Prinzeß Alexandra folgte, den Arm um ihre Schwester geschlungen und leise mit dieser flüsternd, zuletzt, etwas weiter zurück, folgten der Erbprinz und Falkner.
Nach einer Pause ergriff ersterer das Wort.
»Baron Falkner,« sagte er, »wie soll ich mir diese Scene mit meiner Schwester deuten?«
»Genau wie Hoheit sie sahen. Es liegt nichts dahinter,« erwiderte Falkner ruhig. Daß man eine Erklärung fordern würde, dessen hatte er von Anbeginn sicher sein können, und er sah ihr gefaßt entgegen mit dem Gefühl eines Mannes, dem das hingebende Anschmiegen, das rückhaltlose Hervorbrechen der Zuneigung eines reizenden Weibes wohlgethan hatte, nachdem die Zärtlichkeit einer Mutter für ihn unter Kontrolle stand, und er verscherzt glaubte, was niemals sein gewesen.
»Es liegt nichts dahinter?« wiederholte der Erbprinz. »Meinen Sie damit, daß die Reden meiner Schwester spontane Eingebungen waren, welche Sie selbst überraschten?«
»Zum Teil thaten sie dies allerdings, Hoheit,« war die ebenso ruhige und sichere Antwort.
»Zum Teil! Und zum anderen Teil?« war die heftigere Frage.
»Zum anderen Teil bekenne ich mich schuldig, auf dem Wege zur Kapelle durch ein unvorsichtiges Wort Hoffnungen in dem jungen Herzen erweckt zu haben, welche, so fürcht' ich, nur auf Sand gebaut sind.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Fürstentöchter sind schon zu Vasallen herabgestiegen – doch diese hatten dann mehr zu bieten als Äquivalent, als ich.«
»Darauf kommt es nicht an, Falkner,« erwiderte der Erbprinz ruhiger. »Es handelt sich für mich nur darum, zu wissen, wessen Neigung stärker ist – die meiner Schwester für Sie, oder die Ihrige für meine Schwester!«
»Dann fragen Hoheit die Prinzessin Eleonore selbst – ihre Antwort ist die meinige,« entgegnete Falkner.
Der Erbprinz seufzte, aber schwieg. Er konnte sich's ungefähr erklären,