Falkner antwortete nicht, und schweigend schritten sie weiter. Zuletzt aber nahm er doch wieder das Wort.
»Welch' guter Engel mag es gewesen sein, der Ihren Entschluß in diese Bahn gelenkt hat?« sagte er sinnend.
»Ein guter Engel war's in der That, der mich eben erst zu überreden suchte, und sein Name ist Prinzeß Alexandra,« erwiderte Dolores. »Und auf der anderen Seite deutete Herr Keppler mir als Genius des Ruhms mit einer Lorbeerkrone hinauf – zur Sonne. Da stand ich denn:
Prophete rechts, Prophete links,
Das Weltkind in der Mitten.«
»Aber der Engel siegte –?«
»Nein. Es war etwas anderes – ich bin müde – und ich habe wohl auch Verpflichtungen als Herrin des Falkenhofes, solange er mein ist. Die arme Dolores Falkner konnte thun, was ihr beliebte, oder was sie mußte, um ihre Gaben zum Kampfe ums Dasein zu verwerten; die reiche Dolores Falkner konnte sich dann auch noch echte Diamanten statt der falschen in ihre Theaterprinzessinnen-Kronen fassen lassen – aber die Lehnsherrin vom Falkenhof ist's wohl dem alten Stamme schuldig, daß sie ihn nicht von den Brettern aus verwaltet, trotzdem höchstes Künstlertum nicht schändet, sondern auszeichnet.«
»Ja,« sagte Falkner mechanisch – und setzte dann hinzu: »Ich danke Ihnen aber trotzdem, Dolores!«
Mit jähem Erröten, fast erschreckt, sah sie auf, als er ihren Namen nannte.
»Verzeihen Sie – es geschah ohne Absicht,« rief er, gleichfalls erschrocken über eine Kühnheit, die ihm, nach allem, nicht zustand, deren Erfolg er aber nun atemlos, gierig erwartete.
»O, es macht nichts – wir sind ja Vetter und Base,« sagte sie mit jenem Lachen, das ihn früher so sehr gereizt. »Und wenn ich mir's bedenke, so ist's ja überhaupt nur spaßhaft für die anderen, wenn wir uns so furchtbar steif als ›Herr Baron‹ und ›gnädigste Baronesse‹ titulieren. Also lassen wir's doch dabei und nennen wir uns mit unseren Vornamen. Das spricht, wenigstens nach außerhalb, mehr für die Komödie ›Die zärtlichen Verwandten‹ als für die Tragödie ›Ein Bruderzwist im Hause Habsburg.‹«
»Gewiß,« bestätigte er kühl, ernüchtert.
»Falls es Ihnen nämlich recht ist, wenn wir das Kriegsbeil vergraben,« schloß sie, nicht ohne den alten, leisen Spott im Tone.
»Recht? Nur recht? Ich legte Ihnen mein ›peccavi‹ schon früher zu Füßen,« erwiderte Falkner beziehungsvoll.
»Ich weiß es und hab's nicht vergessen,« gab Dolores ernst zurück. »Denn Sie können mir glauben, Vetter, daß es mir Ernst ist mit unserem Friedensschluß –«
»Wirklich?« fragte er stehenbleibend und ergriff ihre beiden Hände. Sie wurde um einen Schatten blässer, aber sie litt es ohne Widerstand.
»Ich bin so gut als mein Wort,« sagte sie ohne zu zucken, »und daß wir unsere heterogenen Naturen im Interesse des guten Tons zu einem ungezwungeneren Verkehr zwingen, kann für uns und andere nur von Vorteil sein. Auch bekenne ich gern, daß ich Ihr ›peccavi‹, wie Sie es selbst nannten, bei Ihrer Abneigung gegen meine Person, als eine besonders schwere Selbstüberwindung, auch besonders hoch schätze.«
Heftig ließ Falkner die beiden schmalen, langen Hände los, die so ganz regungslos in den seinen gelegen hatten.
»Wer sagt Ihnen, daß ich eine Abneigung gegen Ihre Person hege?« fragte er rauh.
»Nun, dazu gehörte wohl nicht viel, um es selbst zu merken!« lachte Dolores mit jener Schelmerei, die ihr so reizend stand. »Also passons là-dessus. Um so mehr, als ich heut' die Rolle Ihres Schutzgeistes übernommen habe. Das ist komisch, nicht wahr?«
»Meines Schutzgeistes?«
»Ja. Mehr darf ich aber nicht verraten, denn das sind Herzenssachen! Und nun trenne ich mich von Ihnen, denn ich muß Engels noch sprechen. Adieu, Vetter Alfred! Sie kommen doch morgen auch mit den Herrschaften aus Monrepos herüber, ja? Also abgemacht und auf Wiedersehen?«
Und damit huschte sie durch eine Seitenallee dem Turm zu, wo Engels hauste, und ließ Falkner mit dem Gefühl eines Menschen zurück, der sein Geld verspielt hat und nun nicht weiß, woher das Geld zu einem letzten verzweifelten Einsatz zu nehmen.
Dolores verlangsamte ihren Schritt, sobald sie aus seinem Gesichtskreis war, und endlich ging sie gar hinein in das Haus, ohne Engels aufgesucht zu haben. In ihrem Turmzimmer stand sie still und legte die Hand auf ihr Herz.
»Es that vorhin weh bei dem Geplauder des eifersüchtigen fürstlichen Backfisches,« dachte sie, »und es fing an zu schlagen und zu klopfen, als er mich Dolores nannte. Aber jetzt ist es ganz still und ganz kalt. Überhaupt gar kein Herz –!«
Und sie setzte sich ans Fenster und sah hinaus, bis die Sonne untergegangen war, blaß bis zu den Lippen, aber trockenen Auges und mit dem Gefühl, als wäre in ihr alles ganz still und starr und kalt.
Endlich stand sie auf.
»Es ist Abend geworden, und der Tag hat sich geneigt,« sagte sie und setzte seufzend hinzu: »Und die Sonne ist untergegangen, und der Reif ist gekommen –
Und fiel auf die zarten Blaublümelein –
Die sind verwelket, verdorret.«
Da schloß sie das Fenster mit leisem Schauer und zündete ein Licht an und setzte sich an ihren Schreibtisch.
Doch ihre Hände waren kalt, so kalt, daß es ihr Mühe machte, die paar Zeilen der Einladung zum folgenden Tage an die Gräfin Schinga zu schreiben. Die Arnsdorfer hatten sie zwar noch nicht eingeladen, und daher bedurfte es noch ein paar liebenswürdiger Worte, um diesen Umsturz des betreffenden Artikels aus dem Codex der Gesellschaft zu motivieren, zu entschuldigen und auszugleichen.
Nachdem der Brief geschrieben war, ließ Dolores ihn sogleich bestellen, aß und trank gehorsam, was Ramo ihr auf einem stummen Diener serviert als Abendimbiß gewohntermaßen pünktlich ins Zimmer brachte, und stieg dann herab nach den Gemächern, welche Doktor Ruß mit seiner Frau bewohnte, um auch diese beiden zu ihrem Fest zu bitten.
»Ich habe keine passende Toilette,« erwiderte Frau Ruß kurz und nicht gerade höflich.
»O, ich trage ja auch nur schwarz,« wendete Dolores freundlich ein.
»Natürlich, natürlich,« beeilte Doktor Ruß sich einzutreten. »Du hast dein neues Trauerkleid, liebste Adelheid, und dies bedarf keiner Eleganz.«
»So mein' ich's,« redete Dolores der heftig strickenden Frau zu. »Ich lasse Ihnen durch Therese einen Kreppbesatz aufheften und ein Häubchen bauen – sie macht das wirklich sehr hübsch und elegant.«
»Ich habe keinen Krepp und werde in der Kreisstadt auch keinen bekommen. Außerdem ist er mir zu teuer,« erwiderte Frau Ruß auf das freundliche Anerbieten.
»O, ich habe noch viel davon – Therese brachte mir vom besten aus B. mit,« meinte Dolores.
»Was kostet das Meter?«
»Ich habe keine Ahnung mehr,« lachte Dolores, »das Stückchen Zeug werden Sie doch von mir annehmen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich,« schnitt Doktor Ruß eine schroffe Ablehnung seiner Ehehälfte ab. »Wir schätzen Ihre freundliche Hilfe gewiß sehr hoch, liebste Dolores, und ganz besonders ich, da Ihr trefflicher und geschulter Geschmack für meine arme Frau, die ganz außer allen Konnex mit der Mode gekommen ist, nur vorteilhaft sein kann. Und ich liebe es doch so sehr, deine natürliche Schönheit durch die unentbehrliche Folie der Kleidung gehoben zu sehen, meine teure Adelheid!«
Frau Ruß warf ihrem Gatten einen dankbaren Blick zu. Sie war ja, obgleich an Jahren älter als er, doch immer noch eine sehr stattliche Erscheinung, die sich leider äußerlich sehr vernachlässigte – eine Folge des einsamen Lebens im Falkenhof, in dem »einen doch keine Seele sah,« und »für den jeder Fetzen noch gut genug war,« eine Ansicht, welche Doktor Ruß nicht teilte, da er sich stets