Frau Pauline Brater: Lebensbild einer deutschen Frau. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118198
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bekannt und der junge Mediziner hatte den lebhaften Wunsch, auf diesem Gebiete zu experimentieren. Er fand dafür volles Verständnis bei seiner Schwester, die sich ihm sofort für seine Versuche zur Verfügung stellte. Ohne Wissen der Mutter nahm denn Fritz tatsächlich im Krankenhaus die Narkose an der Schwester vor und sie gelang. Pauline behielt in deutlicher Erinnerung den ersten Eindruck bei ihrem Erwachen aus der Betäubung: es war der Gesang eines durch die stille Straße am Krankenhaus vorübergehenden Burschen; sein Lied drang durch das geöffnete Fenster und machte sie mit dem klassischen Vers bekannt:

       Ei du schöne Sonnenblume,

       Du hast mir das Herz gewonnen,

       Du liegst mir in meinem Sinn

      Der für Pauline so anregende Verkehr mit den Brüdern verminderte sich naturgemäß, immer stiller wurde es im Haus Pfaff. Wieder hatte ein Sohn ausstudiert; Hans, der Mathematiker, nahm zunächst eine Hauslehrerstelle auf dem Gut einer adeligen Familie an. Auch Paulinens Freundin, Luise Brater, verließ die Heimat, um bei Verwandten in Paris zu lernen und zu lehren. Aber in den Ferien kam, wer irgend konnte, in das Elternhaus zurück; auch Karl Brater traf gleichzeitig mit den Brüdern Pfaff zu allen Festzeiten in Erlangen ein. In ihrem Hause sowohl als bei seiner Mutter und Schwester traf er oft mit Pauline zusammen. Aber sie, die sich sonst durch fröhliche Unbefangenheit auszeichnete, war ihm gegenüber schüchtern und unsicher. Was sie sagen konnte, erschien ihr viel zu unbedeutend für diesen ernsten Mann. Sie verglich sich mit seinen Schwestern, die feinere Sitten und bessere Ausbildung hatten und in einem Brief an ihre verheiratete Schwester Luise bemerkt sie: »Dem Brater gegenüber fühle ich mich immer wie auf den Mund geschlagen.« Und die Schwester entgegnet darauf, sie begreife das wohl, es komme von seinem verschlossenen Wesen und seinem scharfen Verstand und auch ihr sei es oft so ergangen. In seiner Gestalt hatte Karl Brater nichts Imponierendes, er war klein von Statur, aber seine Erscheinung hatte etwas sehr Anziehendes. Die feinen, geistigen Züge, die edle Stirne, die seelenvollen blauen Augen erweckten den Eindruck, daß hier ungewöhnliche Eigenschaften des Geistes und Gemüts vereinigt waren. Aber dabei hatte sein Wesen etwas Zurückhaltendes, Strenges, seine Rede war oft scharf und lakonisch. Im Jahre 1843 hatte er sein juristisches Examen mit der ersten Note bestanden und war dann in das Justizministerium nach München berufen worden. Wie sehr er sich schon im Jahre 48 an der politischen Bewegung des Vaterlandes beteiligte, geht aus der folgenden Äußerung eines Zeitgenossen hervor: »Brater warf sich mit jugendlichem Feuer und dem heißen Drang des deutschen Patrioten in die politische Strömung und trat mit Erfolg als Redner bei den Wahlversammlungen auf. In Verbindung mit den Brüdern Friedrich und Theodor Rohmer entwickelte er eine lebhafte publizistische Tätigkeit in bayrischen Zeitungen und seine Artikel erregten durch maßvolle Haltung bei aller kritischen Schärfe, sowie durch ihren glänzenden Stil allgemeines Aufsehen.«

      Daß Pauline die längst still in ihr keimende Liebe zu dem bedeutenden Manne für einseitig und aussichtslos hielt, kann uns bei der bescheidenen Meinung, die sie von sich selbst hatte, nicht wundern. Sie war nun 21 Jahre alt, eine kleine, äußerst bewegliche, anmutige Gestalt. Konnte man sie auch nicht geradezu schön nennen – dazu war schon die Pfaffsche Nase zu energisch – so war doch das rosige, frische, von dunklem Haar eingerahmte Gesicht mit seinem offenen, allezeit fröhlichen Ausdruck herzgewinnend und erfreulich anzusehen. Aber sie war sich ihres Reizes durchaus nicht bewußt und verschloß tief im Herzen ihre geheime Liebe. Als Karl Brater im Herbste des Jahres 1848, noch nicht 30 Jahre alt, einem ehrenvollen Ruf als Bürgermeister in die Stadt Nördlingen folgte, schien er vollends aus ihrem Gesichtskreis zu entschwinden.

      Es trat aber in dem Geschick ihres Bruders Hans eine Wendung ein, die auch ihr Leben beeinflussen sollte. Durch den Tod der adeligen Dame, deren Kinder er unterrichtete, wurde sein längeres Verweilen in dieser Stellung unmöglich, um so mehr als er eine tiefe Neigung zu der jüngsten Tochter des Hauses gefaßt hatte, eine Neigung, die zwar von ihr erwidert, aber von dem Vater nicht begünstigt wurde. Die Kluft zwischen Adeligen und Bürgerlichen, die schon so viele Liebende unglücklich gemacht hat, hielt auch diese beiden auseinander und Hans verließ das Haus ohne Hoffnung auf Wiederkehr.

      Nun bot sich auch ihm eine Stelle in Nördlingen, als Subrektor an der dortigen Gewerbeschule. Dem jungen Manne mit der hoffnungslosen Liebe im Herzen erschien es trostlos, allein in der fremden Umgebung als Junggeselle zu leben, und bald tauchte der Plan auf, daß die Schwester zu ihm ziehen und ihm eine bescheidene Häuslichkeit bereiten solle.

      Pauline, so bereitwillig sie sonst da und dorthin zur Aushilfe ging, so lieb sie ihren Bruder Hans hatte, nahm es doch nicht leicht, auf seinen Vorschlag einzugehen; es ist, als hätte ihr eine Ahnung gesagt, daß sie sich damit für immer aus dem Elternhause lösen sollte.

      Sie schreibt darüber an ihre Schwester Luise Sartorius im April 1849:

       Liebe Luise!

      Obwohl eigentlich das Schreiben nicht an mir ist, so könnte es mir dieses Mal doch zu lange werden, Deine Antwort abzuwarten, indem unser Briefwechsel so unregelmäßig geführt wird, daß die Mathematik dabei gar nicht ins Spiel gebracht werden kann und man voraussetzen muß, daß ein Brief bei uns viel mehr Störungen erleidet als weiland der Komet, der um drei Stunden zu spät ankam. Nun sollst Du aber auch erfahren, durch welch höheren Einfluß dieser Brief beschleunigt wird.....

      Du wirst bereits aus diesen Dingen den Schluß gemacht haben, daß ich nach Nördlingen gehe. Die Sache wurde während Hans’ Anwesenheit zur Entscheidung gebracht, der uns vor 14 Tagen durch seine Ankunft freudig überraschte. Übrigens gibt es viel mehr Schwierigkeiten dabei zu überwinden, als ich bisher gedacht hatte, und ich nehme überhaupt jetzt alles recht schwer. Der Hans ließ gar keine Bedenklichkeiten gelten und ich wünsche nur, daß es ihn nicht reut, denn wir werden gehörig viel Geld für den Anfang brauchen, da wir uns z. B. auch mit Möbeln selbst versehen müssen, und da er bisher alles aufbrauchte, so müssen wir gleich mit Schulden anfangen. Das Schlimmste dabei scheint mir das zu sein, daß ich natürlich nach so viel Ausgaben viel mehr gebunden bin und nicht ungeniert zu jeder Zeit zur Mutter zurückkehren kann, welcher Gedanke mich mit großem Heimweh erfüllt. Was ich Dir sonst noch drüber schreiben könnte, will ich aufschieben bis auf Nördlingen selbst, wohin ich also Anfang Mai reisen werde.

      Hier geht nun wieder alles im alten Geleise, während des Hans Anwesenheit waren wir sehr vergnügt. Wir experimentierten wieder mit der Luftpumpe und mit der Elektrizität, wo mir bei letzterem besonders interessant war, wie Wasser in seine beiden Grundstoffe zersetzt und aufgelöst ward. Ich dachte immer dabei an Dich, es hätte Dir Freude gemacht zuzusehen. Auch der Tubus wurde aus seinem Schlaf aufgerüttelt und mußte uns alles Sehenswerte am Himmel zeigen. Wenn Du einmal wieder die Venus betrachtest, so bedenke, daß sie gegenwärtig aussieht wie ¼ Pfund Butter, wie ihn die Heinrike formt....... Nun lebe recht wohl, ich bin begierig, wieder etwas von Euch zu hören.

      Deine Pauline.

       1849–1850

       Inhaltsverzeichnis

      Im Sommer des Jahres 1849 zogen Hans und Pauline nach Nördlingen, der ehemaligen freien Reichsstadt, im bayrischen Schwaben. Noch heute sind die alten Mauern und Tore gut erhalten und bieten, von Gärten und Obstbäumen umgeben, einen malerischen Anblick.

      Vor dem einen der alten Tore, dem Löpsinger, liegt ein Anwesen: die Bleiche. Die Familie Senning, die das Gut bewirtschaftete, hatte den Geschwistern eine Wohnung im untern Stock des Hauses vermietet, wo diese nun in bestem Einvernehmen lebten. Wenn Hans morgens in seine Schule stürmte – sein lebhaftes Temperament trieb ihn immer zum Sturmschritt –, so kochte und wirtschaftete Pauline in dem kleinen Heimwesen; brauchte sie guten Rat in dem fremden Städtchen, so fehlte es ihr daran nicht, denn bald öffnete sich dem Geschwisterpaar freundlich eines der angesehensten Häuser der Stadt: die