Frau Pauline Brater: Lebensbild einer deutschen Frau. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118198
Скачать книгу
leer. In ihrer Verlegenheit wegen des Portos sprang Frau Pfaff die Treppe hinauf, um bei Frau Kopp das Sümmchen zu entlehnen. Diese gute Kollegin besaß aber im Augenblick auch nichts mehr, dagegen hatte sie ein wackeres Dienstmädchen, das war im Besitze der nötigen Groschen und konnte den beiden Professorinnen aus der Verlegenheit helfen.

      In dieser Zeit war es wohl auch, daß ein Besuch im Spätherbst, als es schon recht unangenehm kühl war, ein kaltes Zimmer voll Rauch antraf. Frau Pfaff entschuldigte sich: sie habe grünes Holz gekauft, weil dies billiger sei und nicht brenne; für so junge Leute wie die ihrigen sei es genug, wenn sie auch nur am Rauch merkten, daß eingeheizt sei.

      Der fröhliche, gesellige Kreis lichtete sich allmählich und verlor seinen Mittelpunkt, als Luise sich mit dem Studienlehrer Sartorius in Windsheim verheiratete. Zwischen ihr und Karl Brater hatte eine Freundschaft bestanden wie sie in damaliger Zeit häufiger als jetzt vorkam. Die poetischen Worte, in denen er dieser Jugendfreundschaft ein Denkmal setzte und die er in das Album der Freundin eintrug, sollen hier folgen:

      1.

      Freundschaft, die bei Kinderspielen

       In der Kinderstub entstanden,

       Ist verwandt der pflichtgemäßen

       Liebe zwischen Blutsverwandten.

       Eh Du noch mit klaren Blicken

       Deinen Sinn erkannt und ihren, –

       Einem Zufall hat’s gefallen,

       Dich und sie zusamm’ zu führen.

       Freie Wahl in spätern Jahren

       Wird vielleicht den Zufall preisen,

       Wird vielleicht gleichgültig scheidend

       Euer altes Band zerreißen.

      2.

      Freundschaftsbünde, wie sie zwischen

       Alten Leuten sich begeben,

       Kenn ich freilich, Dank dem Himmel,

       Nicht aus eigenem Erleben.

       Aber können die mit voller

       Froher, junger Liebe lieben,

       Die sich in der Zeit der Fülle,

       Freude, Jugend, fern geblieben?

       Alte, schon vernarbte Herzen,

       Die in gut und schlechten Tagen

       Ihre Lust und ihre Leiden

       Einsam durch die Welt getragen?

      3.

      Freundschaft, die sich Jugend gründet,

       Ist ein Bau fürs Menschenleben,

       Ein Hospiz, das immer offen

       Freundlich Obdach Dir zu geben.

       Jugend ist die Zimmerstätte,

       Wo der Mensch sein Schicksal gründet,

       Jeden kann er drein verflechten,

       Der sich willig zu ihm findet.

       Jugend ist in vielem Schüler,

       Aber Meisterin im Lieben

       Alt wird, ohne Jugend, welcher

       Ohne Liebe jung geblieben.

      Kurz nachdem Luise sich verheiratet hatte, gründete auch Siegfried Pfaff den eigenen Hausstand in Nürnberg und Pauline wurde von da an gar oft zur Hilfe gerufen, wenn solche in den jungen Haushaltungen Not tat. Sie war flink, fleißig und gänzlich frei von den störenden Eigenschaften des Hochmuts und der Empfindlichkeit. Vielleicht hatten die vielen Brüder durch ihre Neckereien diese Fehler nicht aufkommen lassen, vielleicht lagen sie auch ihrem schlichten, selbstlosen Wesen von Natur fern. Dazu kam die rührende Anspruchslosigkeit, die uns heutzutage kaum mehr verständlich ist. So durfte Pauline einmal zur Begleitung einer Freundin für einige Tage nach dem nahe gelegenen Bad Streitberg gehen. Diese Freundin, Lina Rohmer, die durch ihr ganzes Leben mit Pauline eng verbunden blieb, wollte dort ihre Mutter besuchen, die in dem Badeort eine Kur gebrauchen mußte. Die kränkliche Frau wohnte in dem Kurhaus und dort suchten Lina und Pauline sie auf. Aber wenn mittags die Tischglocke die Gäste zur Tafel rief, machten sich die beiden jungen Mädchen davon, denn sie erhoben nicht den Anspruch, daß man auch sie verköstigen solle. Sie gingen über die Essenszeit in den Wald, um sich dort zu dem mitgebrachten Brot Beeren zu suchen, fanden es wohl traurig, aber doch ganz selbstverständlich, daß es unter so erschwerenden Umständen einige Tage kein Mittagessen für sie gab.

      Je öfter Pauline in ihren Mädchenjahren da und dorthin zur Hilfe berufen wurde, um so lieber kehrte sie wieder zur Mutter zurück, der sie als jetzt einzige Tochter immer näher trat und an deren Sorgen sie treuen Anteil nahm; auch wuchs sie immer enger zusammen mit den beiden Brüdern Hans und Fritz, die allein noch im Hause waren. Diese beiden studierten Naturwissenschaften und es lag viel davon in der Luft des Hauses, auch hatte sich des Vaters Interesse für die Astronomie auf die Jugend vererbt, so daß auch Pauline darin bewandert war und ihr ganzes Leben dadurch viele Freuden genoß, die andern fremd sind. Wir Städter blicken ja wenig hinauf nach den Sternen, hat doch der einzelne längst nicht mehr nötig, wie in früheren Zeiten, nach dem Lauf der Sonne seine Zeit einzuteilen oder nach dem Stand der Gestirne den Weg zu suchen. Wir richten uns viel bequemer nach den genauen Angaben unserer Uhren und Karten, wozu brauchen wir selbst den Lauf der Sterne zu kennen? In der Familie Pfaff lag das aber jedem im Blut. Sie wußten alle, wann und wo Sonne, Mond und Sterne auf- und untergingen, und verstanden ihren Lauf. Und es war das nicht ein trockenes Wissen, es umgab sie wie ein Lebenselement. Zahlen, die andere wohl einmal in der Schule lernen, aber dann wieder vergessen, waren ihnen so geläufig wie uns etwa, daß ein Jahr 365 Tage hat.

      Vielleicht waren sie die einzigen jungen Erdenbürger, die mit einem gewissen Stolz sich bewußt waren, fortwährend mit einer Geschwindigkeit von 15 000 Meilen in der Stunde um die Sonne herum zu sausen. Fiel ein Strahl dieser Sonne auf ihren Tisch, so war es ihnen gegenwärtig, daß dieser Lichtstrahl wohl 20 Millionen Meilen zurückgelegt und doch nur acht Minuten dazu gebraucht habe. Trat der Mond aus den Wolken, so begrüßten sie ihn als unsern nächsten Nachbarn unter den Gestirnen, als einen guten Bekannten, dessen Berge und Krater sie schon oft durch des Vaters Teleskop betrachtet hatten; mit ihm standen sie auf vertrautem Fuße, nicht so mit den Fixsternen. Das waren die unnahbaren, geheimnisvollen, die sich nicht enthüllten vor dem besten Fernrohr. Mit Hochachtung sahen sie nach deren Licht, das vielleicht Tausende von Jahren brauchte, bis es das Menschenauge traf.

      Das Schauen nach dem, was aus so unendlichen Fernen doch unsere Erde beeinflußt, hat für den menschlichen Geist etwas Erhebendes. Deutlich hat auch Pauline schon in ihrer Jugend es empfunden und oft hat sie es später ausgesprochen, daß die Wunder der Sternenwelt es waren, die sie mehr als alle Religionslehre mit dem Gefühl des Daseins Gottes durchdrungen haben, denn die damals in Erlanger Kreisen herrschende Orthodoxie vermochte ihr Herz so wenig wie das ihrer Brüder zu gewinnen. Wir machen uns jetzt kaum mehr einen Begriff, wie stark zu jener Zeit in vielen Familien die dogmatischen Lehrsätze betont wurden, so daß z. B. eine mit Pauline befreundete hochgebildete Frau zu ihr sagte: »Ich möchte lieber sterben als mit einer Reformierten zum Abendmahl gehen«.

      Naturwissenschaftlich gebildete Menschen, wie die Geschwister Pfaff es waren, können sich besonders schwer in dogmatische Lehrsätze finden und haben von diesen oft nur den einen Nutzen, daß der innere Widerspruch sie zu tiefem Nachdenken anregt. Wenn wir die Lebensbeschreibungen großer Astronomen lesen, so ist es merkwürdig zu beobachten, wie sie fast alle in Konflikt geraten mit dem herrschenden Dogma ihrer Zeit, was in früheren Jahrhunderten oft ihre Freiheit und ihr Leben in Gefahr brachte. Aber Gottesleugner sind sie nicht, im Gegenteil sie sind erfüllt vom Glauben an Gott, durchdrungen von Ehrfurcht und bestätigen das Psalmwort: Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre.

      Von den Brüdern Pfaff wählte übrigens keiner die Astronomie als Beruf. Siegfried war Philologe, Hans und Colomann studierten Mathematik und Fritz zunächst Medizin, später wandte sich dieser der Geologie zu und hat als Professor in zahlreichen Schriften und Vorträgen seine Überzeugung vertreten, daß die naturwissenschaftlichen Forschungen in Einklang zu bringen sind mit