Frau Pauline Brater: Lebensbild einer deutschen Frau. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118198
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sie gutmütig gewähren. Betrat aber einer der Jungen unbedacht des Vaters Reservat, so war ein derber Schlag die sichere Folge dieses Übertritts in das verbotene Gebiet.

      Als sein achtes Kind zur Welt kam, war Professor Pfaff mit dem Dichter und damaligen Professor Friedrich Rückert an einer gemeinsamen Arbeit, an der Übertragung der indischen Dichtung Nal und Damajanti ins Deutsche. Da nun Rückert ebenso sparsam wie Pfaff war – hatte sich doch einer der beiden Professoren von dem andern das Sanskritlexikon abgeschrieben, um es nicht kaufen zu müssen – so behalfen sich auch die beiden Gelehrten mit einem Exemplar dieser Dichtung und täglich wanderte das Buch über die Straße hinüber und herüber. Den Kindern der beiden Häuser, die die Boten machen mußten, waren Nal und Damajanti vertraute Namen, lange bevor sie dem deutschen Volk bekannt wurden. Weil nun Pfaffs Jüngste auf die Welt kam, während ihres Vaters Gedanken auf Damajanti gerichtet waren, so erhielt das Kind den Namen Damajanti, den der Pfarrer nicht ohne Bedenken in das Kirchenbuch eintrug, doch wurde ihr zum täglichen Gebrauch neben diesem poetischen noch der gut bürgerliche Name Pauline beigelegt.

      Die sieben Geschwister, in deren Kreis die kleine Pauline eintrat, waren aus drei Ehen zusammengekommen, denn sowohl Pfaff als seine Frau Luise geb. Plank waren vor dieser Ehe schon verheiratet gewesen.

      Sie beide stammten aus Württemberg, hatten sich dort schon als junge Leute gekannt und im stillen geliebt, aber es kam zwischen ihnen nicht zur Aussprache, denn der junge Mann strebte zunächst noch in die Ferne. Er folgte einem Ruf als Professor der Astronomie nach Rußland an die neu gegründete Universität Dorpat und wurde dort zum Direktor der Sternwarte und zum russischen Hofrat ernannt. In dieser neuen Heimat gründete er seinen Hausstand, indem er sich mit einer livländischen Adeligen, Fräulein von Patkul, verheiratete. Zwei Kinder entsprossen dieser Ehe, doch ist nur eines derselben, Aurora am Leben geblieben. Die Sehnsucht nach der alten Heimat trieb Pfaff, die glänzende Stellung aufzugeben und mit Frau und Kind nach Deutschland zurückzukehren, wo er auch Anstellung fand, aber bald seine Gattin durch den Tod verlor.

      Inzwischen hatte auch seine Jugendliebe, Luise Plank, sich verheiratet und in glücklicher Ehe mit einem jungen Geistlichen, Kraz, in Württemberg gelebt. Aber auch diese Ehe wurde schon nach vier Jahren durch den Tod getrennt; der jungen Witwe blieben zwei Kinder, Heinrich und Luise. So fanden sich nach wohl zehnjähriger Trennung die Verwitweten wieder. Als eine gereifte dreißigjährige Frau trat sie ihm entgegen, gesund an Leib und Seele, voll warmen Gemüts. Die alte Liebe erwachte und führte diesmal zu glücklicher Verbindung. An Geld und Gut brachten die beiden nicht viel mit in die Ehe und es ist bezeichnend für ihre Lebensanschauung, daß Pfaff sich von seiner Luise erbat, sie möchte ihm statt eines Eherings ein hebräisches Lexikon geben. Die Vermählten zogen zunächst nach Würzburg, von wo Pfaff bald einem Ruf an die Universität Erlangen folgend dorthin übersiedelte. Durch diese Ehe kamen die Kinder der livländischen Adeligen und des schwäbischen Geistlichen als Geschwister zusammen.

      Die beiden in die Ehe gebrachten Töchter Aurora Pfaff und Luise Kraz lebten in geschwisterlicher Liebe miteinander und waren schon erwachsene Mädchen, als nach vier Brüdern die kleine Pauline zur Welt kam. Die in jungen Jahren verstorbene Schwester Aurora wäre vielleicht längst in der Familie verschollen, wenn nicht ihr poetischer Name und ihr tragisches Geschick sie mit einem gewissen Nimbus umgeben hätten. Als Aurora zu einem schönen Mädchen erblüht war, bewarb sich um ihre Gunst ein junger Mann, der durch den Schein besonderer Frömmigkeit ihre Seele für sich gewann. Vater und Mutter mißtrauten seinem Wesen und waren gegen die Verbindung. Aber in sanfter, beharrlicher Weise hielt Aurora an dem Geliebten fest und beeinflußte endlich die Eltern, die keine Tatsachen gegen ihn vorbringen konnten, sondern bloß eine Antipathie empfanden, dem Wunsch der beiden nachzugeben. Einige Tage vor der Hochzeit als die Braut allein mit den Eltern und Geschwistern zusammen war, und der Vater in bewegter Stimmung, da er seine erstgeborene Tochter hergeben sollte, nahm er ein Spiel Karten, um daraus der jungen Braut ihr Schicksal vorauszusagen. Kunstgerecht, nach damaliger Sitte, schlug er die Karten und da fiel auf die ihrige der Pik Bube, die schwarze Unglückskarte. Lachend erklärte er das Spiel für mißlungen, mischte die Karten aufs neue, legte sie nach der Regel des Kartenschlägers und zum zweitenmale kam der Pik Bube auf die Karte der Braut. Diese erblaßte. Dem Vater war es leid. Er wollte den übeln Eindruck verwischen, nahm das Spiel, mischte und gab zum drittenmal und zum drittenmal erschien der Pik Bube. Da warf er heftig das Spiel aus der Hand und verließ das Zimmer.

      Den Geschwistern ist der Eindruck dieser unheimlichen Szene durchs Leben geblieben. Aurora erkannte bald nach der Hochzeit den wahren Charakter ihres Mannes, den die Eltern richtig durchschaut hatten. Ihr früher Tod machte schon nach wenigen Jahren der traurigen Ehe ein Ende. Daß der naturwissenschaftlich gebildete, gelehrte Mann sich zum Kartenschlagen verstand, wundert uns heute, aber es lag in der damaligen Zeit, ebenso wie die Sitte, dem Neugeborenen das Horoskop zu stellen, wie es uns Goethe im Eingang von »Dichtung und Wahrheit« erzählt. Auch Pfaff hat um seines Töchterleins Schicksal die Sterne befragt, denn er gab sich ganz speziell mit Astrologie ab, wenn auch mehr vom Standpunkte des Völkerstudiums aus. Leider blieb uns nicht erhalten, was er damals aus den Sternen las. So müssen wir dir selbst das Horoskop stellen, kleine Pauline Damajanti, indem wir die Sterne betrachten, die in deinem Kreis leuchten und die Atmosphäre prüfen, in der du aufwachsen sollst. Dann ahnen wir, wie sich etwa dein Wesen gestalten wird, und wer kann leugnen, daß das Wesen eines Menschen vielfach sein Schicksal beeinflußt, ja oft bestimmt?

      Das Oberhaupt der Familie stand im Geburtsjahre der kleinen Tochter mitten im besten Wirken und Schaffen. Ein Zeitgenosse hat ihn uns geschildert als einen Mann von herrlichen Anlagen, von edlen Gedanken und hohem Sinn, mit Begeisterung forschend nach den Geheimnissen der Natur und dem darin waltenden Gott; im Umgang mit der Familie und den Freunden liebevoll und anspruchslos, ein Humorist im besten Sinne des Wortes; im Streben nach dem Wesen oft den äußern Schein allzusehr verschmähend; in mildtätiger Liebe fast zu weit gehend, so daß er von bedürftigen Studierenden oft über Gebühr ausgenützt wurde.

      Ähnlich lautet die Schilderung seiner Gattin: Eine originelle, heitere Schwäbin mit köstlichem Humor, voll Herzensgüte und aufopfernder Liebe, von größter persönlicher Anspruchslosigkeit und unermüdlichem Fleiß, auch sie das Äußere geringachtend, Ordnung und Schönheit hintansetzend. Beide beliebt in hohem Maße, denn die Bedenken pedantischer Leute über die originelle Haushaltung und äußere Erscheinung konnten nicht aufkommen gegen das herzgewinnende, erfrischende und dabei so bescheidene Wesen dieses glücklichen und Glück verbreitenden Paares. Man sah es der Frau Hofrätin gerne nach, wenn es ihr einmal vorkam, daß sie in einer Kaffeegesellschaft anstatt des Taschentuchs einen Hemdärmel ihrer Buben aus der Tasche zog, der wohl in den Flickkorb gehörte; man gewöhnte sich daran, daß bei ihren Kleidern nicht jeder Knopf pedantisch in das für ihn bestimmte Knopfloch kam. Wer achtete darauf, während sie so heiter und gemütvoll zu plaudern wußte, wer verstand nicht, daß sie in unermüdlichem Schaffen und Sorgen für ihre große Familie an die äußere Erscheinung wenig denken konnte? Überdies wurde sie auch außerhalb der eigenen Familie vielfach in Anspruch genommen. Sie hatte sich als Tochter eines Arztes manche medizinische Kenntnis erworben, zu der noch ihre reiche Erfahrung als Mutter und eine entschiedene natürliche Begabung kam. Dadurch wurde es in weiten Bekanntenkreisen bei arm und reich der Brauch, zunächst nach Frau Pfaff zu schicken, wenn ein Kind nicht gedeihen wollte oder erkrankte. Sie wußte oft guten Rat und in ihrer großen Herzensgüte fand sie es nur natürlich, wenn sie von allen Seiten in Anspruch genommen wurde.

      So waren die Eltern. Darf man dem Kind dieser harmonischen Ehe nicht gute Geistesgaben, edlen Sinn und fröhlichen Humor voraussagen? Und müssen wir nicht andererseits Bedenken haben, ob ihr auch der Blick für die äußere Erscheinung, Ordnungs- und Schönheitssinn nicht ganz abgehen wird? Wir werden ja sehen. Unendlich mannigfaltig sind die Einflüsse, die dem in der Entwicklung stehenden Menschenkinde zuströmen, bald hemmend bald fördernd, was ihm von der Natur eigen ist.

      Nächst den Eltern kamen die sieben Geschwister in Betracht, zu denen sich später noch eine kleine Schwester Sophie gesellte, die aber früh verstarb. Am nächsten im Alter standen Pauline ihre vier Brüder, »Friedel, Hans, Co und Fritz«, ihre täglichen Spielkameraden, die Genossen ihrer Jugend, vier prächtige Jungen voll Geist und Leben, treuherzig und wahrhaftig. Trotzdem waren diese vier »Pfaffsbuben« bekannt in Erlangen