Frau Pauline Brater: Lebensbild einer deutschen Frau. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118198
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dieser treuen Dienerin war kein geringer auf Pauline, die später oft scherzhaft von Anne als ihrer Erzieherin sprach. Für eine solche wäre nur etwas weniger Aberglauben zu wünschen gewesen. Der naive Standpunkt, auf dem in dieser Hinsicht die wackere Person stand, geht aus folgendem Zuge hervor: Am Himmelfahrtsfest hatte sie an eine Schürze ein neues Band angenäht, war sich dabei aber einer Feiertagsentheiligung bewußt. Als nun am Nachmittag ein schweres Gewitter heraufzog, fühlte sie sich durch diese Sünde um so mehr beunruhigt, je heftiger es blitzte und donnerte. In ihrer Seelenangst eilte sie endlich hinauf in den obersten Bodenraum, hing die Schürze mit dem sündhaften Band zur Dachlucke hinaus und rief: »So Blitz, jetzt schlag in den Bändel!«

      Solche Eindrücke blieben der kleinen Pauline ebenso wie die unheimlichen Gespenstergeschichten, die Anne erzählte und von deren Wahrheit sie ganz überzeugt war. Dadurch wurde in der Kinderseele eine Furcht erweckt, die sich in einsamen und in nächtlichen Stunden oft zur Qual steigerte. War Pauline zufällig abends allein zu Hause, so kam mit der Dunkelheit die Furcht über sie, aber nur die Gespensterfurcht war es, eine andere kannte sie nicht. Deshalb verfiel sie auch auf eine eigentümliche Schutzmaßregel. Sobald es dunkelte, öffnete sie weit alle Türen und Fenster der Parterrewohnung, um Gelegenheit zur Flucht zu haben. Dann blickte sie wachsam nach allen Seiten, um nach der einen zu entfliehen, sobald von der andern das Gespenst auftauchen würde. Sie war überzeugt, daß kein Besuch aus der vierten Dimension es hinsichtlich der Schnelligkeit der Beine mit ihr aufnehmen könne.

      Oft erwachte sie nachts und horchte mit Bangen und Herzklopfen nach irgend einem unerklärlichen Geräusch. Es gab deren so viele in dem alten Haus, und besonders in der Dachkammer, die zeitweise ihre Schlafstätte war. Oft wehte der Schnee oder drang der Regen durch die Schindeln des Daches und das Bett mußte hin- und hergeschoben werden, bis sich eine trockene Stelle fand. Sie erinnerte sich noch in ihrem Alter einer Schreckensnacht, in der sie an einem Geräusch erwachte und deutlich spürte, daß etwas auf ihrer Decke sich auf sie zu bewegte. Ihre erregte Phantasie hatte im Nu ein Gespenst daraus gemacht. Sie wagte sich nicht zu rühren und nicht zu schreien und empfand buchstäblich, was wir meist nur bildlich so ausdrücken, daß ihre Haare sich vor Entsetzen sträubten, bis sie erkannte, daß es nur eine Katze war, die den Weg in die Kammer gefunden hatte. Pauline hat die Gespensterfurcht als das schrecklichste Leiden ihrer Kinderzeit im Gedächtnis behalten.

      Hat die treue Anne in diesem Punkt Unheil angerichtet, so tat sie doch sonst den Kindern nur Gutes und nahm an Freud und Leid der Familie Anteil, wie wenn sie ein Glied derselben gewesen wäre, ja sogar das auf Reichtum und Ehre am meisten bedachte Glied. Einmal hatte es auch den Anschein, als sollte ihr Ehrgeiz befriedigt werden und Reichtum in die Familie Pfaff einkehren. Die französische Akademie hatte einen Ehrenpreis ausgesetzt für die Lösung einer ungemein schwierigen astronomischen Berechnung. Pfaff, der sich für die gestellte Aufgabe interessierte, machte sich an die mühsame Arbeit. Vierzehn Bogen Papier – so sagt wenigstens die Familientradition – mußte seine Frau aneinanderkleben, damit die Berechnung darauf Platz fand. Die Lösung gelang, wurde eingesandt und von der Akademie als preiswürdig erkannt. Jeden Tag konnte der ausgesetzte Preis eintreffen. Statt seiner kam in den Zeitungen die Nachricht von dem neuen régime in Frankreich, welches das alte gestürzt hatte, und in den Wirren der Julirevolution blieb der erwartete Goldregen aus. Die Enttäuschung wäre wohl noch bitterer gewesen, wenn sie auf einmal gekommen wäre, aber man konnte ja noch immer hoffen auf günstigen Umschlag, auf Rückkehr der alten Zeiten, und über diesen Hoffnungen vergingen sachte die Jahre und die vierzehn Bögen gerieten allmählich in Vergessenheit.

      Es kamen andere Sorgen, die der Familie näher gingen. Da war zuerst der schon früher erwähnte Tod der Tochter Aurora, dann starb das nach Pauline geborene Töchterchen, Sophie, etwa sechsjährig, an Croup. Bis in ihr Alter erinnerte sich Pauline dieser lieblichen kleinen Schwester und des Augenblicks, da diese in ihrer Todesnot nach Atem ringend ihr Bettkittelchen von unten bis oben zerriß, um Luft zu bekommen. Noch trauernd um diesen Verlust sah die Mutter einen noch herberen nahen, fühlte sie die Grundfeste des Hauses wanken. Ihr bis dahin so gesunder Mann erlitt im Jahre 1834 einen Schlaganfall, dem später noch weitere folgten. Für ihn und die Seinen entstand daraus eine schwere Leidenszeit. In verschiedenen Briefen an ihre treue Schwester Adelheid, die mit Rektor Roth in Nürnberg verheiratet war und an die Verwandten in Württemberg spricht sich der tiefe Kummer über die Krankheit, die bange Sorge vor der Zukunft aus. Sie schreibt: »Ihr glaubt nicht, in welcher Spannung und Angst ich lebe, ich bin nur froh, wenn ein Tag wieder herum ist. Oft denke ich: nur auch einmal möchte ich mich wieder niederlegen, ohne daß die schweren Sorgen mich drücken, die werden mich aber wohl nicht mehr verlassen, besser kommt es wohl nimmer, aber schlimmer kann es ja noch werden.« Es gibt wohl kaum eine größere Qual als die, welche sie nun durchmachen mußte; zusehen, wie nicht nur die körperlichen, sondern auch die geistigen Kräfte des geliebten Mannes infolge jedes neuen Anfalls immer mehr abnahmen. Dazu kam, daß er selbst sich zeitweise dieses Zustands bewußt und dann im höchsten Grade erregt war.

      Den Kindern blieb ein Auftritt in Erinnerung, unter dem sie ihre Mutter erzittern sahen. Sie saß am Bette des Mannes, der sie immer um sich haben wollte, und mit dem zu sprechen doch so qualvoll war, weil ihm oft die Worte nicht zu Gebote standen und er dadurch in wachsende Erregung geriet. So suchte er diesmal nach einem Namen, konnte ihn nicht finden und fragte seine Frau: »Wie heißt der Student, der so oft zu uns kommt?« Sie nannte einen Namen und wieder einen, jeder falsche Vorschlag regte ihn mehr auf und sie besann sich in wachsender Angst auf die zahllosen Studenten, die jemals aus- und eingegangen waren, bis er endlich in Wut ausbrechend ihr zurief: »Du Rabenmutter, es ist ja Dein eigener Sohn!« Der Sohn Heinrich war es, dessen Namen er gesucht hatte. Auf solche Stunden der Erregung folgten auch wieder ruhigere, in denen sein früheres liebevolles, anspruchloses Wesen zum Ausdruck kam, denn auch bei geistig Erkrankten tritt ihr eigentliches Naturell zeitweise zutage. Der selbstlose Mensch wird immer zu unterscheiden sein von dem Egoisten, der feinfühlende von dem gemeinen, und es hat etwas unendlich Rührendes, wenn solch edle Eigenschaften durchleuchten zwischen den durch die Krankheit verdunkelten Stunden.

      So blieb auch diesem Kranken die Liebe und Verehrung der Seinen treu bis zu dem Augenblick, wo ihn der Tod erlöste, im Sommer 1835.

      Wie es der Witwe zumute war, als sie allein stand mit ihrer Kinderschar, spricht sie aus gegen den ältesten Sohn Heinrich, der damals schon eine Anstellung hatte an dem theologischen Seminar im Kloster Schönthal in Württemberg.

       Lieber Heinrich!

      Schwere kummervolle Tage habe ich zurückgelegt seit Du von uns gingst und noch immer kann ich mich an den Gedanken nicht gewöhnen, daß Ihr für dieses Leben keinen Vater mehr habt und daß auch mir die Seele von meinem Leben fehlt. Die erste Zeit wurde mir dadurch leichter, weil der Gedanke, daß er nun Ruhe habe, mir so tröstlich war. Allein jetzt, seit die Erinnerung an seine Leiden schwächer wird und sein Bild wieder in meiner Seele lebendig wird, wie er früher war, mit welcher Liebe er an uns hing und mit welcher Treue er alle seine Pflichten erfüllte und wie sein Geist und Beispiel noch so wohltätig für seine Kinder gewesen wäre, da möchte ich wohl fragen: warum Du lieber Gott hast Du uns das wohl getan? und schwer wird es mir, mich mit Ergebung in Gottes Willen zu fügen. Ich habe mit der schmerzlichsten Sehnsucht gehofft, er werde vor seinem Ende noch so viel Bewußtsein bekommen, daß er seinen Kindern auch noch einen Segen, mir nur auch ein Trosteswort zurücklassen könne, denn schon bei einer kurzen Trennung tut es wohl, wenn man Abschied nehmen kann und ich mußte bei dieser schmerzlichen und vielleicht langen Trennung auch diesen Trost noch entbehren ....

       1835–1849

       Inhaltsverzeichnis

      Unsere kleine Pauline war inzwischen ein Schulmädchen geworden, ein begabtes, wenn auch nicht eben ein fleißiges. Sie konnte, wenn es darauf ankam, schon ganz ordentliche Briefe schreiben. Es ist uns solch ein Kinderbrief erhalten, den sie anläßlich der Verlobung ihres Bruders Kraz mit Luise Elsäßer an diese schrieb. Sie redet die neue Schwägerin gleich als Schwester an.

       Liebe Schwester!

      Es