Frau Pauline Brater: Lebensbild einer deutschen Frau. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118198
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ist, denn ich komme auch dazu. Weil Du gesagt hast, ich soll Dir schreiben, so will ich es tun. Ich kenne Dich zwar noch nicht, aber ich kann mir schon denken, wie Du bist, wenn Du für den Heinrich recht bist. Schreibe mir in dem Brief, wo Du mir antwortest, wie Du bist, denn viel weiß ich noch nicht. Komme auch bald zu uns, es gefällt Dir gewiß, denn dem Herrn Vischer hat es auch gefallen, der doch schon weit in der Welt herum gekommen ist. Wir haben uns sehr geehrt gefühlt, daß Du uns geschrieben hast. Hast Du denn auch noch Geschwister? die dann meine Schwestern und Brüder sind. Ich kann nichts weiter schreiben, denn ich weiß nichts mehr. Wir grüßen Dich alle, besonders ich. Lebe wohl und habe lieb Deine

      Antworte mir.

      Pauline Pfaff.

      Wenn auch Pauline im Lesen und Schreiben mit mancher fleißigeren Schülerin Schritt hielt, so hatte sie doch keinen rechten Ernst in den Schulstunden und wenig Eifer zum Lernen ihrer Aufgaben, aber unbewußt lernte sie mit den geistig regsamen Brüdern, die des Vaters naturwissenschaftliche Interessen und auch einige Kenntnisse in diesem Fach überkommen hatten; sie wußten mit den vorhandenen Mitteln, Elektrisiermaschine, Teleskop, Sternkarten u. dergl. umzugehen und Pauline nahm an diesem Treiben teil mit angeborenem Interesse und Verständnis. Jeder Lehrer hätte an dieser aufgeweckten Schülerin seine Freude haben können, wenn diese sich nur dazu verstanden hätte, den Unterricht, der ihr mit einer Anzahl anderer Mädchen privatim erteilt wurde, regelmäßig zu besuchen. Das hielt sie aber nicht für nötig und das Schwänzen der Schulstunden beschwerte durchaus nicht ihr Gewissen, das zurzeit auf solche kleine Vergehen noch nicht reagierte. Die Schulaufgaben wurden möglichst rasch erledigt, denn am Abend tummelte sie sich lieber auf dem nahen Kirchenplatz und trieb dort allerlei Schabernack. So flößte sie gern den Menschen Schrecken ein, indem sie in der Dunkelheit ein weiß behangenes Bügelbrett feierlich um die Kirche trug, was bei dem Gespensterglauben jener Zeit seine Wirkung nicht verfehlte.

      Doch nun trat in ihren Lebensweg eine Freundin, die großen Einfluß auf sie gewinnen sollte, ein gesittetes, gewissenhaftes und wohlerzogenes Mädchen. Es war die Tochter einer als Witwe nach Erlangen gezogenen Oberappellationsgerichtsrätin, die in der Nähe Wohnung nahm. Dem Namen dieser Familie werden wir in diesem Buche noch oft begegnen – er heißt Brater.

      Ob wohl eine Ahnung der guten Frau Pfaff sagte, von welcher Bedeutung es einst für sie sein würde, daß vor dem Haus ihr gegenüber ein bepackter Wagen aus München ankam, der den Hausrat der verwitweten Frau Brater brachte, und als diese selbst, eine feine, ernste Frau in Trauerkleidern, mit ihren drei Töchtern Einzug hielt in der bescheidenen Wohnung? Ihr einziger Sohn, Karl, studierte in München, von ihm war zunächst nichts zu sehen, aber die Töchter, Julie, Luise und Emilie, wurden freundlich in Erlangen empfangen durch ihre Verwandten, denn Frau Brater war ihrer ebenfalls verwitweten Schwester, Frau Schunck, nachgezogen und durch diese Pfaffs wohlbekannte Familie entstanden bald Beziehungen zu den Neuangekommenen.

      Luise und Pauline wurden Schulkamerädinnen und ihre ungleichartigen Naturen zogen sich an. Die kleine Fremde war bald ganz eingenommen für die fröhliche Kamerädin, die vielerlei anzustellen wußte, allezeit lustig und guter Dinge war. Aber sie merkte auch, daß Pauline manches tat, was ihr unerlaubt schien, und während die Frische und Ungebundenheit der neuen Freundin sie anzog, machte das wohlerzogene Kind sich doch über dieses und jenes Gedanken, erzählte wohl auch der Mutter davon und diese richtete nun ihr Streben darauf, die wilde kleine Hummel, die auch ihr trotz mancher Unart gar wohl gefiel, in ihr Haus herein zu locken, damit die beiden Freundinnen unter ihrer Aufsicht miteinander verkehrten. Pauline hat nie die Eindrücke vergessen, die sie hier empfing. Es gingen ihr die Augen darüber auf, wie es in einem wohlgeordneten Haushalt eigentlich aussehen sollte. Mit Staunen bemerkte sie, daß hier jedes Ding seinen festen Platz hatte, daß täglich aufgeräumt und abgestaubt wurde und daß die bescheidenen Räume dadurch ein feines, wohnliches Aussehen erhielten. Der kleinen energischen Person war nicht sobald das Licht für Ordnung und Schönheit aufgegangen, als sie auch schon strebte, solche daheim einzuführen. Es wollte ihr nimmer gefallen, wenn das Frühstücksgeschirr bis zum Mittagessen auf dem Tische stand und jeder der vielen Hausgenossen allerlei dazwischen schob, sie wollte nun auch aufräumen und abstauben. Anfangs waren ihre Ordnungsversuche etwas roher Art: sie hob die Schürze auf, schob alles was da umherlag hinein und trug es in das nebenan liegende Schlafzimmer, denn ihr neuerwachter Ordnungssinn beschränkte sich zunächst auf das große Wohnzimmer. Aber je mehr sie heranwuchs, um so ausgeprägter wurde dieser Sinn und erstreckte sich auch auf andere Gebiete. Der eine und andere der Brüder fing an, auf ihre Bestrebungen einzugehen, besonders der älteste der vier Pfaffssöhne, Siegfried, der auch von Natur zur Ordnung geneigt war, sowie der jüngste, Fritz, unterstützten sie. Die andern Geschwister fanden wenigstens an der Schwester diese Anlage angenehm und wandten sich an sie, wenn die Mutter nicht Zeit fand, für Kleidung und Wäsche zu sorgen. Einer von ihnen, Colomann, gewöhnlich nur Co genannt, kam übrigens noch im Knabenalter nach Württemberg, um dort das theologische Seminar zu besuchen, in dessen strenge Zucht sich freilich ein so ganz in Freiheit aufgewachsener junger Bursche schwer einleben konnte. Ungemein frisch und fröhlich, voll übersprudelnden Humors und Lebenslust war er bei jedermann, nur bei den Lehrern nicht beliebt, die ihre schwere Not mit ihm hatten. Die Schwierigkeiten, die er in den Schuljahren und noch späterhin machte, verursachten seiner Mutter viel Kummer und es wäre ihr zu gönnen gewesen, hätte sie voraus gewußt, was wir wissen, daß auch er es schließlich zum wohlangesehenen Professor der Mathematik in Stuttgart brachte.

      Bei aller Einfachheit und Sparsamkeit entwickelte sich doch, als die jungen Pfaffs heranwuchsen und fröhliche Studenten, meist Bubenreuther wurden, ein überaus beglückendes geselliges Leben im Haus, an dem die Mutter, trotz aller Arbeit und Sorge, die auf ihr lag, selbst ihre Freude hatte. Die älteste Tochter Luise, ein geistig bedeutendes Mädchen, und ihre Freundin, Hannchen Richter, sowie die Brüder mit ihren Freunden, vereinigten sich oft im Haus Pfaff zu Spielen und Darstellungen oder zu gemeinschaftlichen Ausflügen. Zu diesem Kreise gehörte nun auch Karl Brater, der sich mit Siegfried und Hans Pfaff eng befreundet hatte. Ganz anders geartet als diese, ernst, zurückhaltend, schon in den Studienjahren ein vielversprechender Jurist, von Haus aus an gesetzte Manieren gewohnt, unterschied er sich von der übermütig fröhlichen, unbefangenen und lauten Art seiner Freunde, fühlte sich aber angezogen von dem frischen, treuherzigen Ton des Hauses und nahm mit Begeisterung teil an den Aufführungen klassischer Werke, zu denen Frau Pfaff, bereitwilliger als wohl andere Hausfrauen, ihr Zimmer zur Verfügung stellte. Neben der erwachsenen Schwester und deren Freundinnen, der schönen Julie Nees v. Esenbeck, der geistig bedeutenden Julie Brater und dem originellen Hannchen Richter, die von den jungen Männern gefeiert wurden, kam die erst halb erwachsene Pauline und ihre Freundin Luise noch nicht zur Geltung und Beachtung, aber doch behielt Pauline eine beglückende Erinnerung an diese Geselligkeit und freute sich im späteren Leben, wenn sie Familien traf, die ebenso harmlos und ungezwungen ihr Haus für Freunde und Freundinnen öffneten. Was braucht die Jugend mehr als eben ihresgleichen, um vergnügt zu sein? Es ist ein Irrtum, zu meinen, daß es ohne Aufwand an Essen und Trinken, an Toilette und Bedienung keine Freude gäbe. Im Haus Pfaff war umständliches Vorbereiten und Einladen nicht Sitte, man kam meist nach dem Abendessen zusammen, die jungen Mädchen mit Laternen in der Hand, wie es für schicklich galt in den schlecht beleuchteten Straßen und eingehüllt in lange Kragen, die man »Tugendhüllen« nannte. Auf Tafelgenüsse wurde nicht gerechnet, denn während ihre Söhne studierten, wußte Frau Pfaff oft nicht, woher Geld zum Nötigsten nehmen, und ihre Kinder erinnerten sich später, wie sie gar manchmal an das Geldschublädchen gingen, das vertrauensvoll für alle zugänglich war, wie sie zu diesem oder jenem Einkaufe Geld herausnehmen wollten, aber nachdem sie den Inhalt visitiert hatten, gern auf alles verzichteten und die kleine Lade wieder zuschoben, weil sie allzu dünn belegt war mit dem, was doch für den ganzen Monat ausreichen mußte.

      Lange Zeit besaßen die drei jüngsten Söhne nur einen gemeinsamen Sonntagsanzug. Derjenige, welcher am frühesten aufstand, nahm Besitz davon, die andern hatten das Nachsehen und konnten Sonntags nicht aus dem Hause gehen.

      Viele Jahre wohnte die Familie Pfaff in einem Haus in der Karlstraße, das der Witwe des Professor Kopp gehörte. Die beiden Frauen, als Württembergerinnen schon vorher befreundet und nun in ähnlichen Verhältnissen lebend, schlossen sich eng aneinander, halfen sich auch getreulich aus. Einst brachte der Postbote