Frau Pauline Brater: Lebensbild einer deutschen Frau. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118198
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Frau Beck war nur wenige Jahre älter als Pauline und kam der jungen Fremden freundlich entgegen.

      Und noch ein anderer Verkehr gab dem Leben auf der Bleiche seinen besonderen Reiz. Es fand sich dort eine kleine Erlanger Kolonie zusammen, denn mit dem Frühjahr war Julie Brater, die ihrem Bruder im Alter am nächsten stand, zu ihm, dem Bürgermeister, gezogen, um ihm Haus zu halten. Die beiden Geschwisterpaare verkehrten viel miteinander, und als Familienverhältnisse Julie wieder abriefen, kam der verlassene Bruder um so lieber auf die Bleiche. Sonntag nachmittags fand er sich regelmäßig zu Kaffee und nachfolgendem gemütlichen Kartenspiel bei den Geschwistern ein.

      Nun könnte man meinen, daß der in Amt und Würden stehende Herr Bürgermeister Pauline noch mehr eingeschüchtert hätte, als es der frühere Rechtspraktikant getan. Aber dem war nicht so. Jetzt, wo sie die Hausfrau vorzustellen hatte, vergaß sie über der Fürsorge die Befangenheit. Sie mußte es ja auch empfinden, wie behaglich es dem Gaste zu Mute war, wenn sie alle drei an dem kleinen Kaffeetische beisammen saßen. Wo hätte der junge Bürgermeister sich so offen und vertrauensvoll aussprechen können wie bei diesen alten Bekannten? Sie waren die Erlanger, den Nördlingern gegenüber. Alte Beziehungen, selbst wenn sie vorher nur lose waren, gewinnen sofort an Wert, wenn sie vereinzelt unter neu geknüpften stehen. Dazu kam der gemütliche Tarock; die Pfaffs waren alle gute Spieler. Der Spieleifer läßt aber keinen Raum mehr für Befangenheit; dem Gegner im Spiel wird mit aller List und Schlauheit geschadet, wo es nur möglich ist, dem Partner wird alles Gute zugewendet, leidenschaftliche Parteinahme herrscht; aber ein paar Minuten später sind die Karten wieder zusammen geworfen, Freundschaft und Feindschaft ist aufgehoben und vollständige Neutralität waltet, bis aufs neue gegeben ist. Pauline vertrat stets die Ansicht, daß das Kartenspiel eine vorzügliche Übung in der Selbstbeherrschung sei und sie schätzte diejenigen Menschen hoch ein, die liebenswürdig verlieren konnten.

      In dieser Häuslichkeit lernte Karl Brater die Schwester seines Freundes genauer kennen. Nun verhüllte sich ihm nicht mehr, was für ein Schatz von geistigen und gemütlichen Eigenschaften in diesem jungen Wesen ruhte und nur wartete, bis er sich voll entfalten und auswirken dürfte. Auch sah er das junge Mädchen jetzt losgelöst von der mütterlichen Haushaltung, in einem kleinen geordneten Revier, das sie sauber und nett im Stande hielt, was seiner an Ordnung gewöhnten Natur Bedingung des Behagens schien. So kam der Entschluß, den er in den Erlanger Jahren wohl schon überlegt hatte, aber damals nicht fassen konnte, zur Reife.

      In einem Brief an seine Schwester Julie vertraute er dieser seine Liebe an und schreibt dann weiter: »Im allgemeinen vermute ich, daß Ihr zwar nichts dawider hättet, wenn ich das Freien noch einige Jahre ganz bleiben ließe, – meine unparteiische Meinung ist das wenigstens – daß Ihr aber mit der Wahl zufrieden seid. Pauline hat wirklich vollgezählt acht vortreffliche Eigenschaften: Große Gutmütigkeit, viel Menschenverstand, muntere Laune, Schmiegsamkeit, praktisches Geschick, Häuslichkeit, körperliche Gesundheit, angenehme und hübsche Züge; mit etwas graziöserem Gang, schlankerer Taille, temperierterer Gesichtsfarbe wäre sie sogar eine Schönheit. Sie ist mit einem Wort eine so gesund organisierte Natur, wie ich unter allen Mädchen meiner Bekanntschaft keine getroffen habe. Arm ist sie freilich, aber ich habe mir diesen Einwurf ohne recht befriedigenden Erfolg alle Tage gemacht.

      Von Dir möchte ich jetzt erfahren, da Du doch hier ziemlich vertraut mit ihr geworden bist, was Du von ihrem Herzenszustand weißt. Sie scheint mir so unbefangen, daß ich an einen Konkurrenten nicht recht glauben kann. In ihrem Benehmen gegen mich finde ich eine gewisse Schüchternheit, die ich sogar zu meinen Gunsten auslegen könnte, wenn sie nicht plausibler durch mein ziemlich schroffes Benehmen erklärt wäre. Du wirst keinen Anstand nehmen, mir Aufschluß zu geben, soweit ich ihn brauche und wenn es mir deine Antwort, die du umgehend schreiben mußt, nicht unmöglich macht, wate ich nächsten Samstag durch fußtiefen Schnee zur Brautwerbung.

      Die Sache bleibt natürlich noch vollständiges Geheimnis. Schreibe mir auch, daß Ihr mir die Freude gönnt und Euren Segen dazu gebt, wenn’s zustande kommt.«

      Aus diesem »Ihr« ist wohl zu schließen, daß auch die Mutter in das Vertrauen gezogen war.

      Die treue Schwester scheint sich nicht besonnen zu haben, ob denn die Sache wirklich so eile, sie hat umgehend geantwortet. Es ist oft erheiternd zu sehen, wie dringend und plötzlich auch bei sonst ruhigen und überlegten Naturen die Brautwerbung ausgeführt und durchaus nicht mehr eine gelegene Stunde abgewartet wird. Kennen wir doch einen, der schickte seinen Werbebrief durch einen Eilboten, der nachts um zwei Uhr anlangte, die Liebste samt ihrem Vater aus dem Schlafe schreckte und die Antwort noch in nächtlicher Stunde zurückbringen sollte!

      So hat auch Karl Brater, als er die günstige Antwort der Schwester in Händen hatte, es für nötig befunden, noch am Samstag sich durch tiefen Schnee hindurch zu arbeiten nach der Bleiche, wo man an diesem Nachmittag wohl am wenigsten einen Besuch erwartete. Er ist als glücklicher Bräutigam abends wieder durch das Löpsinger Tor zurückgekehrt in seine weitläufige, einsame Amtswohnung, während die glückselige Braut sich flugs hinsetzte, um der Mutter die wonnesame Kunde mitzuteilen.

      Frau Pfaff saß diesen Winter viel einsam in ihrem früher so belebten Zimmer. Ihr Sohn Fritz, der sich auf die akademische Laufbahn vorbereitete, war der einzige, der noch bei ihr wohnte. Zu arbeiten hatte sie trotzdem noch vollauf, die treue Mutter, immer gab es zu stricken, zu nähen und zu spinnen für die großen Kinder und die kleinen Enkel, aber in der einsamen Arbeit bedrückten die Sorgen sie mehr als früher, wo fröhliche Jugend sich um sie tummelte. All die auswärtigen Kinder schrieben ja heim über ihre Sorgen und deren gab es so viele. Und für Pauline, deren Briefe immer heiter lauteten, für sie sorgte sich das Mutterherz dennoch. Was sollte aus ihrer »Line« werden, wenn die Brüder sie nicht mehr brauchten und sie, die Mutter, nimmer da sein würde? Sie mochte sich diese ihre geliebte Jüngste nicht vereinsamt vorstellen und bekümmerte sich darüber, wenn sie so allein in der langen Dämmerung der Winterabende saß und strickte.

      In solchen Gedanken mag sie wohl der Postbote getroffen haben, der ihr an einem Dezemberabend den Brief aus Nördlingen brachte. Eifrig hat sie dann wohl Feuer geschlagen, um das Unschlittlicht anzuzünden, hat ihre große Brille aufgesetzt und gelesen, was hier im Brief stand: daß ihre Pauline die glückselige Braut sei von Karl Brater! Ei, wie wird die gute Frau mit ihrer Freudenbotschaft zu ihrem Fritz geeilt sein und dann in all ihrer Lebhaftigkeit hinüber zu Frau Brater. Wie muß ihr gutes Gesicht geleuchtet haben unter dem Häubchen und wie schief mag dies in der Eile auf dem Kopfe gesessen sein! Wie werden die beiden Mütter sich besprochen haben über ihrer Kinder Glück! Vor uns liegen die ersten Briefe, die sie an das Brautpaar schrieben, diese sollen nicht umsonst so treulich bewahrt worden sein. Wir nehmen die alten Blätter und lesen was darin steht von Glück und Dankbarkeit. Groß und deutlich sind die Schriftzüge, in denen Frau Pfaff auf das nächste derbe Schreibpapier, das sie zur Hand hatte, an ihre Tochter schrieb:

       Geliebtes, teures Kind!

      Könnte ich Dir doch mit Worten die Freude und Empfindungen ausdrücken, die Dein Brief in mir hervorbrachte, so ist ja jetzt mein höchster Wunsch, Dich glücklich zu wissen, erfüllt und die einzige Sorge, die mir auch den Abschied vom Leben erschwert hätte, mir abgenommen; ich wüßte niemand in der Welt, dem ich so mit Vertrauen mein bestes Gut gegeben hätte als Brater und mit keiner Familie war ich ja seit vielen Jahren so befreundet wie mit dieser, von der Du so mit Liebe aufgenommen bist. Gott segne euch und gebe, daß all die Hoffnungen und Wünsche erfüllt werden, die uns heute alle bewegten. Mich hat die Nachricht vollkommen überrascht, ich hatte gar keine Ahnung davon, und da mir die Brautschaft von Aurore und Luise so manche Sorge gemacht hat, bin ich jetzt um so glücklicher, überhaupt war mir es heute den ganzen Tag, wie wenn ich gar nichts Trauriges erfahren hätte und mein Leben ein herrliches gewesen wäre; ach und im ganzen ist es auch so, ich war so glücklich mit eurem Vater, daß ich auch in schweren Stunden mir nie gewünscht hätte, daß es anders sein möchte, es ist ja doch das einzige wahre Gut im Leben, alles andere ist Scheingut und muß abgelegt werden wie ein Kleid; aber diese Empfindung und Liebe reichen auch gewiß noch über dieses Leben hinaus. Grüße Brater herzlich und sage ihm, mit welcher Freude ich ihn als Sohn aufnehme. Könnte ich mit Worten ausdrücken, was mich innerlich bewegt, so hätte ich ihm heute